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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Das Problem des praktischen Bolschewismus

Doch auch eine andere Überraschung kann sich aus den Handelsverträgen
entwickeln. Zwar gewinnt die Räteregierung durch dieselben eine scharfe
Waffe zur Bekämpfung der Gegenrevolution, wie auch ein Instrument zur
restlosen Erfassung der landwirtschaftlichen Vorräte. Wer will aber dafür gut¬
stehen, daß sie, einmal erstarkt, sich willig zeigt, dem Handel Englands Vor¬
spanndienste zu leisten? Bis jetzt hat die Räteregierung sich noch immer in der
Rolle des Schrittmachers der Weltrevolution gefallen. "Alte Liebe rostet
nicht" heißt es in einem dummen Sprichworte.


VI.

Aber vielleicht ist die Entente gezwungen, zu Rußland Beziehungen an¬
zuknüpfen. Vielleicht kann der Weltmarkt ohne Rußland nicht auskommen?
Dann ist man eben nicht imstande zu warten, bis der Bolschewismus von selbst
verschwunden ist.

Ich kann das nicht beurteilen: Vielleicht kann der Weltmarkt tatsächlich
ohne Rußland nicht auskommen. Dann ist es aber entschieden das produzierende,
das import- und exportfähige Rußland, welches der Weltmarkt nötig hat. Das
bolschewistische, das an Unterproduktion leidende Rußland dagegen ist für den
Weltmarkt ein negativer Faktor, ja geradezu eine Gefahr. Bei dem Stande
seiner jetzigen Produktion hat Rußland zu viele Einwohner. Es könnte also,
so wunderbar das auch klingt, billige Arbeitskraft exportieren, arbeitet man doch
jetzt in Rußland für paar Pfund Brot täglich, doch kein Land hat sie nötig, oder
es kann sie nicht ernähren. Sonst hat Rußland nichts auszuführen, kann also
keine sofort greifbaren Gegenwerte für etwaige Einfuhr bieten. Es könnte also
nur eine Einfuhr auf Kredit sein. Doch dann müssen die russischen Verhältnisse
vorher stabilisiert sein.

Rußland ist -- meines Erachtens -- für den Welthandel gegenwärtig
weniger wert (das bißchen Gold abgerechnet), als ein barbarisches Land. Bei
einem wilden Volke steht die Bevölkerungszahl doch im Gleichgewicht mit seiner
Produktionsfähigkeit; es wird dort noch immer irgend welche Vorräte, irgend
einen Überfluß geben, der für den Weltmarkt einen positiven Wert besitzt und
ihn bereichert. Rußland hat keinen Vorrat an Waren, wohl aber einen Überfluß
an Verbrauchern, von denen ein Teil zugrunde gehen muß, wenn er die Vorräte
des Weltmarktes nicht schmälern kann.

Angesichts dieser Sachlage gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder kann
der Weltmarkt ohne Rußland auskommen. Dann wäre es für die produzierenden
Länder nicht das Menschlichere, wohl aber das praktischste: den bolschewistischen
Brand zu lokalisieren und abzuwarten, bis er in sich selbst zusammenfällt, und
Rußland wieder import- und exportfähig wird.

Oder aber: der Weltmarkt kann nicht warten -- dann muß es doch zu
einem Eingriffe von außen kommen. Dieser Eingriff kann aber nur das eine
zum Ziele haben: Rußlands Produktion zu steigern. Rußlands Produktion
leidet an zwei Grundübeln: Erstens sind keine genügenden Produktionsmittel
mehr da. Also muß das Ausland dem russischen Volke die nötigen Produktions¬
mittel kreditieren. Zweitens hat sich die sozialistische Arbeitsmethode als un-


Das Problem des praktischen Bolschewismus

Doch auch eine andere Überraschung kann sich aus den Handelsverträgen
entwickeln. Zwar gewinnt die Räteregierung durch dieselben eine scharfe
Waffe zur Bekämpfung der Gegenrevolution, wie auch ein Instrument zur
restlosen Erfassung der landwirtschaftlichen Vorräte. Wer will aber dafür gut¬
stehen, daß sie, einmal erstarkt, sich willig zeigt, dem Handel Englands Vor¬
spanndienste zu leisten? Bis jetzt hat die Räteregierung sich noch immer in der
Rolle des Schrittmachers der Weltrevolution gefallen. „Alte Liebe rostet
nicht" heißt es in einem dummen Sprichworte.


VI.

Aber vielleicht ist die Entente gezwungen, zu Rußland Beziehungen an¬
zuknüpfen. Vielleicht kann der Weltmarkt ohne Rußland nicht auskommen?
Dann ist man eben nicht imstande zu warten, bis der Bolschewismus von selbst
verschwunden ist.

Ich kann das nicht beurteilen: Vielleicht kann der Weltmarkt tatsächlich
ohne Rußland nicht auskommen. Dann ist es aber entschieden das produzierende,
das import- und exportfähige Rußland, welches der Weltmarkt nötig hat. Das
bolschewistische, das an Unterproduktion leidende Rußland dagegen ist für den
Weltmarkt ein negativer Faktor, ja geradezu eine Gefahr. Bei dem Stande
seiner jetzigen Produktion hat Rußland zu viele Einwohner. Es könnte also,
so wunderbar das auch klingt, billige Arbeitskraft exportieren, arbeitet man doch
jetzt in Rußland für paar Pfund Brot täglich, doch kein Land hat sie nötig, oder
es kann sie nicht ernähren. Sonst hat Rußland nichts auszuführen, kann also
keine sofort greifbaren Gegenwerte für etwaige Einfuhr bieten. Es könnte also
nur eine Einfuhr auf Kredit sein. Doch dann müssen die russischen Verhältnisse
vorher stabilisiert sein.

Rußland ist — meines Erachtens — für den Welthandel gegenwärtig
weniger wert (das bißchen Gold abgerechnet), als ein barbarisches Land. Bei
einem wilden Volke steht die Bevölkerungszahl doch im Gleichgewicht mit seiner
Produktionsfähigkeit; es wird dort noch immer irgend welche Vorräte, irgend
einen Überfluß geben, der für den Weltmarkt einen positiven Wert besitzt und
ihn bereichert. Rußland hat keinen Vorrat an Waren, wohl aber einen Überfluß
an Verbrauchern, von denen ein Teil zugrunde gehen muß, wenn er die Vorräte
des Weltmarktes nicht schmälern kann.

Angesichts dieser Sachlage gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder kann
der Weltmarkt ohne Rußland auskommen. Dann wäre es für die produzierenden
Länder nicht das Menschlichere, wohl aber das praktischste: den bolschewistischen
Brand zu lokalisieren und abzuwarten, bis er in sich selbst zusammenfällt, und
Rußland wieder import- und exportfähig wird.

Oder aber: der Weltmarkt kann nicht warten — dann muß es doch zu
einem Eingriffe von außen kommen. Dieser Eingriff kann aber nur das eine
zum Ziele haben: Rußlands Produktion zu steigern. Rußlands Produktion
leidet an zwei Grundübeln: Erstens sind keine genügenden Produktionsmittel
mehr da. Also muß das Ausland dem russischen Volke die nötigen Produktions¬
mittel kreditieren. Zweitens hat sich die sozialistische Arbeitsmethode als un-


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[0306] Das Problem des praktischen Bolschewismus Doch auch eine andere Überraschung kann sich aus den Handelsverträgen entwickeln. Zwar gewinnt die Räteregierung durch dieselben eine scharfe Waffe zur Bekämpfung der Gegenrevolution, wie auch ein Instrument zur restlosen Erfassung der landwirtschaftlichen Vorräte. Wer will aber dafür gut¬ stehen, daß sie, einmal erstarkt, sich willig zeigt, dem Handel Englands Vor¬ spanndienste zu leisten? Bis jetzt hat die Räteregierung sich noch immer in der Rolle des Schrittmachers der Weltrevolution gefallen. „Alte Liebe rostet nicht" heißt es in einem dummen Sprichworte. VI. Aber vielleicht ist die Entente gezwungen, zu Rußland Beziehungen an¬ zuknüpfen. Vielleicht kann der Weltmarkt ohne Rußland nicht auskommen? Dann ist man eben nicht imstande zu warten, bis der Bolschewismus von selbst verschwunden ist. Ich kann das nicht beurteilen: Vielleicht kann der Weltmarkt tatsächlich ohne Rußland nicht auskommen. Dann ist es aber entschieden das produzierende, das import- und exportfähige Rußland, welches der Weltmarkt nötig hat. Das bolschewistische, das an Unterproduktion leidende Rußland dagegen ist für den Weltmarkt ein negativer Faktor, ja geradezu eine Gefahr. Bei dem Stande seiner jetzigen Produktion hat Rußland zu viele Einwohner. Es könnte also, so wunderbar das auch klingt, billige Arbeitskraft exportieren, arbeitet man doch jetzt in Rußland für paar Pfund Brot täglich, doch kein Land hat sie nötig, oder es kann sie nicht ernähren. Sonst hat Rußland nichts auszuführen, kann also keine sofort greifbaren Gegenwerte für etwaige Einfuhr bieten. Es könnte also nur eine Einfuhr auf Kredit sein. Doch dann müssen die russischen Verhältnisse vorher stabilisiert sein. Rußland ist — meines Erachtens — für den Welthandel gegenwärtig weniger wert (das bißchen Gold abgerechnet), als ein barbarisches Land. Bei einem wilden Volke steht die Bevölkerungszahl doch im Gleichgewicht mit seiner Produktionsfähigkeit; es wird dort noch immer irgend welche Vorräte, irgend einen Überfluß geben, der für den Weltmarkt einen positiven Wert besitzt und ihn bereichert. Rußland hat keinen Vorrat an Waren, wohl aber einen Überfluß an Verbrauchern, von denen ein Teil zugrunde gehen muß, wenn er die Vorräte des Weltmarktes nicht schmälern kann. Angesichts dieser Sachlage gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder kann der Weltmarkt ohne Rußland auskommen. Dann wäre es für die produzierenden Länder nicht das Menschlichere, wohl aber das praktischste: den bolschewistischen Brand zu lokalisieren und abzuwarten, bis er in sich selbst zusammenfällt, und Rußland wieder import- und exportfähig wird. Oder aber: der Weltmarkt kann nicht warten — dann muß es doch zu einem Eingriffe von außen kommen. Dieser Eingriff kann aber nur das eine zum Ziele haben: Rußlands Produktion zu steigern. Rußlands Produktion leidet an zwei Grundübeln: Erstens sind keine genügenden Produktionsmittel mehr da. Also muß das Ausland dem russischen Volke die nötigen Produktions¬ mittel kreditieren. Zweitens hat sich die sozialistische Arbeitsmethode als un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/306>, abgerufen am 05.05.2024.