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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Offenherzigkeiten

Wahlverdrossenheit

Am 14. November sind im früheren roten Königreich Sachsen 30--40 Proz.
der eingeschriebenen Wähler zu Hause geblieben. Sie müssen dafür Scheltreden ohne
Maß über sich ergehen lassen. Die Presse der Linken nennt sie faul, gebauten- und
gewissenlos; dir Gegenseite wirst ihnen vor, daß allein ihre politische Unklarheit und
Schlappheit es verschuldet habe, wenn trotz allen Rückens nach rechts doch noch einmal
eine Linkenmehrheit von zwei Mann in die Dresdener Landstube einziehe. Vor¬
klage zur Beseitigung des getadelten Übels hageln nur so. Im Vordergründe steht
>le strenge Forderung der Wahlpflicht. Wer nicht stimmt, wird verdienend. Be¬
scheidenere Politiker begnügen sich mit minder grobem Geschütz gegen die offenbare
Wahlmüdigkeit. Sie empfehlen Zusammenlegung der Wahltage im Reich, in den
Einzelstaaten und Gemeinden, damit der gequälte Wähler nicht Sonntag für Sonntag
zum Wahllokal zu rennen brauche. Sie schlagen daneben eine minder aufgeregte und
, gehässige Wahlagitation vor, die jetzt gerade die Anständigen und Feinfühligen zur
Wahlabstinenz zwingt. Was die Wahlpflicht anlangt, so erinnern sich Sachverständige
-- es brauchen ja nicht gerade Sachverständige in den Fraktionen zu sein, denn diese
Herren erinnern sich bekanntlich niemals -- an die verflossenen nieder-österreichischen
Wahlsatzungen unter Franz Joseph. Dort war jeder Wähler gehalten, bei 5 bis
50 Kronen Buße, seine Stimme abzugeben, und weil die Kronenzettel damals immer¬
hin noch etlichen Wert hatten, so ließ sich wirklich viel gutmütiges Volk zur Urne
treiben. An den eigentlichen Wahlergebnissen ist freilich dadurch nichts geändert
worden, höchstens daß die konservativen Elemente etlichen Zufluß gewannen. Un¬
geheuer nahm dagegen die Zahl der weißen Zettel zu; auch fröhliche Verulkungen
der Wahlhandlung und der Wahlbewerber lagen massenweis im Zettelkasten. Glaubt
irgend jemand, daß in Deutschland solche gehässigen Ablehnungen des Parlamen¬
tarismus, die jeden wahrhaft frei gesinnten Mann mit Widerwillen, Trauer und Zorn
erfüllen müssen, nicht ins Zehn-, vielleicht Hundert- oder Tausendfache gehen würde?
Glaubt irgend jemand, durch die Wahlpflicht jene innerlich Freigewordenen zurück¬
zuerobern, die die Parlamentsspielerei für die letzte Ursache unseres völkischen,
sozialen und wirtschaftlichen Jammers halten? Wo der Wähler trotz einer wahn¬
sinnigen Agitation, trotz unaufhörlichen Peitschenknalls und Gebrülls sich von den
Parteibonzen nicht mehr einfangen lassen will, da ist Hopfen und Malz verloren. Die
Wahlmüdigkeit frißt, daran kein Zweifel, von Monat zu Monat weiter, und ob alle
Posaunen von Jericho ertönen, diese Mauer der Gleichgültigkeit werfen sie doch nicht
um: haben die Herren Posaunisten doch selber die Mauer gebaut. Es wird der Tag
kommen, an dem sich die einstweilen noch nicht müden paar Parteifexe rechts und links
ungefähr das Gleichgewicht halten (in Sachsen ist es ja beinahe so), während die
große Volksmehrheit erst gelangweilt, nachher zornmütig beiseite steht. Die dann
aufsteigenden Parlamentskrisen sind nicht mehr zu lösen und führen den gesamten
Parlamentarismus ack adsuräurn. Damit ist die Parteidämmerung gekommen.


Hölz ist wieder im Land

Nachdem die sächsische Staatsanwaltschaft 30 000 auf den Kopf des kom¬
munistischen Politikers Hölz ausgesetzt hatte, ist der jedenfalls nicht feige Herr aber¬
mals im Voigtlande erschienen und hat, selbstverständlich nur für die Partcikasse,
größere Beträge eingezogen. Er durfte den waghalsig aussehenden Schritt mit einiger
Ruhe riskieren. Bei seinem ersten Auftreten zog die sächsische Regierung ein ganzes
Armeekorps gegen ihn, der nur 100 bis 200 Kerle hinter sich hatte, zusammen, und
Wagte es trotzdem geschlagene volle zwei Wochen lang nicht, den Fürchterlichen auf¬
zuheben. Heute, wo Hölz allein auf sich steht, also keine Dummheiten und keine
Verrätereien zu fürchten hat, ist er überhaupt unantastbar und ungreifbar. Da
die sächsischen Wahlen erfreulicherweise eine, wenn auch verringerte sozialdemokratische
Mehrheit ergeben haben, eine Mehrheit, deren Grundlagen die bürgerliche Demokratie
ja wohl alleruntertänigst verstärken wird, so braucht Herr Hölz auch für die Zu¬
kunft keinerlei Besorgnisse zu hegen. Er wird genau so rücksichtsvoll behandelt werden


Offenherzigkeiten

Wahlverdrossenheit

Am 14. November sind im früheren roten Königreich Sachsen 30—40 Proz.
der eingeschriebenen Wähler zu Hause geblieben. Sie müssen dafür Scheltreden ohne
Maß über sich ergehen lassen. Die Presse der Linken nennt sie faul, gebauten- und
gewissenlos; dir Gegenseite wirst ihnen vor, daß allein ihre politische Unklarheit und
Schlappheit es verschuldet habe, wenn trotz allen Rückens nach rechts doch noch einmal
eine Linkenmehrheit von zwei Mann in die Dresdener Landstube einziehe. Vor¬
klage zur Beseitigung des getadelten Übels hageln nur so. Im Vordergründe steht
>le strenge Forderung der Wahlpflicht. Wer nicht stimmt, wird verdienend. Be¬
scheidenere Politiker begnügen sich mit minder grobem Geschütz gegen die offenbare
Wahlmüdigkeit. Sie empfehlen Zusammenlegung der Wahltage im Reich, in den
Einzelstaaten und Gemeinden, damit der gequälte Wähler nicht Sonntag für Sonntag
zum Wahllokal zu rennen brauche. Sie schlagen daneben eine minder aufgeregte und
, gehässige Wahlagitation vor, die jetzt gerade die Anständigen und Feinfühligen zur
Wahlabstinenz zwingt. Was die Wahlpflicht anlangt, so erinnern sich Sachverständige
— es brauchen ja nicht gerade Sachverständige in den Fraktionen zu sein, denn diese
Herren erinnern sich bekanntlich niemals — an die verflossenen nieder-österreichischen
Wahlsatzungen unter Franz Joseph. Dort war jeder Wähler gehalten, bei 5 bis
50 Kronen Buße, seine Stimme abzugeben, und weil die Kronenzettel damals immer¬
hin noch etlichen Wert hatten, so ließ sich wirklich viel gutmütiges Volk zur Urne
treiben. An den eigentlichen Wahlergebnissen ist freilich dadurch nichts geändert
worden, höchstens daß die konservativen Elemente etlichen Zufluß gewannen. Un¬
geheuer nahm dagegen die Zahl der weißen Zettel zu; auch fröhliche Verulkungen
der Wahlhandlung und der Wahlbewerber lagen massenweis im Zettelkasten. Glaubt
irgend jemand, daß in Deutschland solche gehässigen Ablehnungen des Parlamen¬
tarismus, die jeden wahrhaft frei gesinnten Mann mit Widerwillen, Trauer und Zorn
erfüllen müssen, nicht ins Zehn-, vielleicht Hundert- oder Tausendfache gehen würde?
Glaubt irgend jemand, durch die Wahlpflicht jene innerlich Freigewordenen zurück¬
zuerobern, die die Parlamentsspielerei für die letzte Ursache unseres völkischen,
sozialen und wirtschaftlichen Jammers halten? Wo der Wähler trotz einer wahn¬
sinnigen Agitation, trotz unaufhörlichen Peitschenknalls und Gebrülls sich von den
Parteibonzen nicht mehr einfangen lassen will, da ist Hopfen und Malz verloren. Die
Wahlmüdigkeit frißt, daran kein Zweifel, von Monat zu Monat weiter, und ob alle
Posaunen von Jericho ertönen, diese Mauer der Gleichgültigkeit werfen sie doch nicht
um: haben die Herren Posaunisten doch selber die Mauer gebaut. Es wird der Tag
kommen, an dem sich die einstweilen noch nicht müden paar Parteifexe rechts und links
ungefähr das Gleichgewicht halten (in Sachsen ist es ja beinahe so), während die
große Volksmehrheit erst gelangweilt, nachher zornmütig beiseite steht. Die dann
aufsteigenden Parlamentskrisen sind nicht mehr zu lösen und führen den gesamten
Parlamentarismus ack adsuräurn. Damit ist die Parteidämmerung gekommen.


Hölz ist wieder im Land

Nachdem die sächsische Staatsanwaltschaft 30 000 auf den Kopf des kom¬
munistischen Politikers Hölz ausgesetzt hatte, ist der jedenfalls nicht feige Herr aber¬
mals im Voigtlande erschienen und hat, selbstverständlich nur für die Partcikasse,
größere Beträge eingezogen. Er durfte den waghalsig aussehenden Schritt mit einiger
Ruhe riskieren. Bei seinem ersten Auftreten zog die sächsische Regierung ein ganzes
Armeekorps gegen ihn, der nur 100 bis 200 Kerle hinter sich hatte, zusammen, und
Wagte es trotzdem geschlagene volle zwei Wochen lang nicht, den Fürchterlichen auf¬
zuheben. Heute, wo Hölz allein auf sich steht, also keine Dummheiten und keine
Verrätereien zu fürchten hat, ist er überhaupt unantastbar und ungreifbar. Da
die sächsischen Wahlen erfreulicherweise eine, wenn auch verringerte sozialdemokratische
Mehrheit ergeben haben, eine Mehrheit, deren Grundlagen die bürgerliche Demokratie
ja wohl alleruntertänigst verstärken wird, so braucht Herr Hölz auch für die Zu¬
kunft keinerlei Besorgnisse zu hegen. Er wird genau so rücksichtsvoll behandelt werden


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[0233] Offenherzigkeiten Wahlverdrossenheit Am 14. November sind im früheren roten Königreich Sachsen 30—40 Proz. der eingeschriebenen Wähler zu Hause geblieben. Sie müssen dafür Scheltreden ohne Maß über sich ergehen lassen. Die Presse der Linken nennt sie faul, gebauten- und gewissenlos; dir Gegenseite wirst ihnen vor, daß allein ihre politische Unklarheit und Schlappheit es verschuldet habe, wenn trotz allen Rückens nach rechts doch noch einmal eine Linkenmehrheit von zwei Mann in die Dresdener Landstube einziehe. Vor¬ klage zur Beseitigung des getadelten Übels hageln nur so. Im Vordergründe steht >le strenge Forderung der Wahlpflicht. Wer nicht stimmt, wird verdienend. Be¬ scheidenere Politiker begnügen sich mit minder grobem Geschütz gegen die offenbare Wahlmüdigkeit. Sie empfehlen Zusammenlegung der Wahltage im Reich, in den Einzelstaaten und Gemeinden, damit der gequälte Wähler nicht Sonntag für Sonntag zum Wahllokal zu rennen brauche. Sie schlagen daneben eine minder aufgeregte und , gehässige Wahlagitation vor, die jetzt gerade die Anständigen und Feinfühligen zur Wahlabstinenz zwingt. Was die Wahlpflicht anlangt, so erinnern sich Sachverständige — es brauchen ja nicht gerade Sachverständige in den Fraktionen zu sein, denn diese Herren erinnern sich bekanntlich niemals — an die verflossenen nieder-österreichischen Wahlsatzungen unter Franz Joseph. Dort war jeder Wähler gehalten, bei 5 bis 50 Kronen Buße, seine Stimme abzugeben, und weil die Kronenzettel damals immer¬ hin noch etlichen Wert hatten, so ließ sich wirklich viel gutmütiges Volk zur Urne treiben. An den eigentlichen Wahlergebnissen ist freilich dadurch nichts geändert worden, höchstens daß die konservativen Elemente etlichen Zufluß gewannen. Un¬ geheuer nahm dagegen die Zahl der weißen Zettel zu; auch fröhliche Verulkungen der Wahlhandlung und der Wahlbewerber lagen massenweis im Zettelkasten. Glaubt irgend jemand, daß in Deutschland solche gehässigen Ablehnungen des Parlamen¬ tarismus, die jeden wahrhaft frei gesinnten Mann mit Widerwillen, Trauer und Zorn erfüllen müssen, nicht ins Zehn-, vielleicht Hundert- oder Tausendfache gehen würde? Glaubt irgend jemand, durch die Wahlpflicht jene innerlich Freigewordenen zurück¬ zuerobern, die die Parlamentsspielerei für die letzte Ursache unseres völkischen, sozialen und wirtschaftlichen Jammers halten? Wo der Wähler trotz einer wahn¬ sinnigen Agitation, trotz unaufhörlichen Peitschenknalls und Gebrülls sich von den Parteibonzen nicht mehr einfangen lassen will, da ist Hopfen und Malz verloren. Die Wahlmüdigkeit frißt, daran kein Zweifel, von Monat zu Monat weiter, und ob alle Posaunen von Jericho ertönen, diese Mauer der Gleichgültigkeit werfen sie doch nicht um: haben die Herren Posaunisten doch selber die Mauer gebaut. Es wird der Tag kommen, an dem sich die einstweilen noch nicht müden paar Parteifexe rechts und links ungefähr das Gleichgewicht halten (in Sachsen ist es ja beinahe so), während die große Volksmehrheit erst gelangweilt, nachher zornmütig beiseite steht. Die dann aufsteigenden Parlamentskrisen sind nicht mehr zu lösen und führen den gesamten Parlamentarismus ack adsuräurn. Damit ist die Parteidämmerung gekommen. Hölz ist wieder im Land Nachdem die sächsische Staatsanwaltschaft 30 000 auf den Kopf des kom¬ munistischen Politikers Hölz ausgesetzt hatte, ist der jedenfalls nicht feige Herr aber¬ mals im Voigtlande erschienen und hat, selbstverständlich nur für die Partcikasse, größere Beträge eingezogen. Er durfte den waghalsig aussehenden Schritt mit einiger Ruhe riskieren. Bei seinem ersten Auftreten zog die sächsische Regierung ein ganzes Armeekorps gegen ihn, der nur 100 bis 200 Kerle hinter sich hatte, zusammen, und Wagte es trotzdem geschlagene volle zwei Wochen lang nicht, den Fürchterlichen auf¬ zuheben. Heute, wo Hölz allein auf sich steht, also keine Dummheiten und keine Verrätereien zu fürchten hat, ist er überhaupt unantastbar und ungreifbar. Da die sächsischen Wahlen erfreulicherweise eine, wenn auch verringerte sozialdemokratische Mehrheit ergeben haben, eine Mehrheit, deren Grundlagen die bürgerliche Demokratie ja wohl alleruntertänigst verstärken wird, so braucht Herr Hölz auch für die Zu¬ kunft keinerlei Besorgnisse zu hegen. Er wird genau so rücksichtsvoll behandelt werden

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/233>, abgerufen am 01.05.2024.