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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Aritik des ZVeltkrieges
Las Erde MoltKes und Schlieffells im großen Kriege
Von einem Generalstäbler
Mit 12 Karten. Preis: in Halbleinen geb. 30 Mark.
Generslfeldmar'chalk von Macle'sen: .... Das inhaltvolle Werk hat
mich vom Anfang bis zum Ende in hohem Grade gefesselt ....
General vor Infanterie Otto von Velow: .... wertvollste und zutreffendste
aller bisherigen Veröffentlichungen ....
Generaloberst Freiherr von Bansen: .... Meisterhafte Beurteilung, weit¬
ausschauender, großzügiger Blick und vorzügliche klare Wiedergabe ....
General Von Lrttow-Vorbeck: - - - s°hr gut und wertvoll ....
Geschichtsforscher Friedrich M. Nircheisen: .... das beste, was über
die Marneschlacht gesagt wurde ....
Militärisches Echo: .... Ein tiefgründiges, aufsehenerregendes Buch ....
Deutsch s OIP-i> rbi-ne: .... Zweifellos gehört das Werk mit zu dem Bemerkens¬
wertesten auf militärisch-kritischem Gebiet und verdient regste Beachtung in allen Kreisen ....
Wel'er-Zntttnrn .... scharf, aber sachgemäß, ein außerordentlich interessantes
^"rk, nicht nur für den Offuier, sondern vor allem auch sür den Laien.
u. 5. Noehler, Verlag, Leipzig.

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Ein Such von unvergleichlichen Reiz für alle,
Sie auf ihren Reifen im Geiste sen Wegen eines unserer
Größten folgen möchten, ist oas soeben im Erscheinen begriffene Werk
j Goethes Schweizerreisen ^
Tagebücher, Srlese, Gedichte, hanözeichnungen !
herausgegeben von Dr. Hans Wahl
: Vlrerror d"" So"the"llationalmus"um" In Weimar -
preis in gutem Gefchenkbanö 40 Mark
Eine neuartige Zusammenfassung alles dessen, was Goethe !
wirklich aus der Schweiz schrieb, im Brief, im Tage¬
buch, im Vers, in der Zeichnung, unter Bemitzang von vielen !
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Einzelnummer 60 Pf., Vierteljahr!, (b. d. Post) M. 6.--, Jahresbezug (b. Verlag) M. 20.--.
Verlag: Berlin V 9, Schellingstraße 13, Fernspr.: Liitzow 6196.
DaZ "Gewissen", dessen Leserkreis im "Ring" zusammengeschlossen ist, erscheint
wöchentlich und gibt dem politischen Einheitswillen der Jungen entschiedenen Aus¬
druck. Es wendet sich gegen Korruption, Parteihader und Klassenkampf und versieht
eine aktivistische Politik des nationalen Aufbaus auf korporativer Grundlage.
Aus dem Inhalt der Ur. 46:
Totensonntag. Von Chronist. -- Genf. Von Moeller van den Brück. -- Die Elsaß-Lothringer und wir.
Von Dr. Max Hildebert Bochen. -- Amerika und Frankreich. Von Hermann George Scheffauer.
Spuk Mitteleuropa.

Die neue Armut und die neuen Armen*)
Fritz Rem von
I.
1.

ir sind uns klar darüber, daß das deutsche Volk mitten in einer
Katastrophe steht, und doch freut sich jeder von uns, solange die
Sonne scheint, wieder verstohlen des Lebens, indem er die Wirk¬
lichkeit vergißt. Wir martern uns durch Zahlen und Erkenntnisse,
die vernichtend erscheinen, und dann setzen wir uns zu Tisch mit
dem Stoßseufzer: man könnte überhaupt nicht mehr leben und wirken, wenn man
nicht jene Zahlen auf Augenblicke abschüttelte! Wie der schwindsüchtige bis zum
letzten Augenblick an das Leben glaubt, so sind wir abgehärtet gegen Katastrophen
und vernichtende Eindrücke, denn immer kam wieder ein Tag, und immer ist uns
noch das Letzte erspart geblieben. Muß es denn wirklich kommen? Und wenn es
kommen muß, sollen wir dann nicht umso heißer den Schein des Lebens, der uns
umgibt, genießen? Vielleicht macht doch die Logik der Ereignisse irgendwo holt;
vielleicht geschieht das Wunder ohne unser Zutun von außen; vielleicht, während
die Tendenz der unerbittlichen Zahlen immer jäher in die Tiefe führt, steht das
entschwundene, uns noch so nahe Behagen der vergangenen Jahre wie eine Fata
Morgana in einer traumhaft schwankenden Zukunft wieder auf. Seit sechs Jahren
leben wir in einem unausgesetzten Trommelfeuer stärkster Erschütterungen. Das
stumpft ab. Und doch sind die Zahlen wahr, und wenn wir uns nicht täglich und
stündlich am eigenen Schöpfe packen, um uns aus dem Sumpfe selbstzufriedener
Halbheiten zu reißen, so muß uns der Sumpf verschlingen.

Einer der wenigen nüchtern blickenden sozialistischen Wirtschaftsschriftsteller,
Richard Calwer, hat im Oktober 1920 die Forderung aufgestellt, daß, um den sonst
unvermeidlichen Staatsbankerott zu verhüten, die Löhne und Gehälter aller Arbeiter
und Beamten um 50 vom Hundert herabgesetzt, die Arbeitszeit von 8 auf 1t Stunden
"Höhe, der Arbeitszwang eingeführt, alle überflüssigen Beamten und Arbeiter ent¬
lassen, der Zinsfuß der fundierten Schulden auf 25 v. H. ermäßigt, die Arbeits¬
losenunterstützung aufgehoben, der Druck neuer Banknoten vollständig eingestellt
werde. Auch nach Durchführung dieser Punkte -- Calwer selbst zweifelt an ihrer
Durchführbarkeit -- würde es noch nicht einmal gewiß sein, ob sich der "Zusammen¬
bruch" in verhältnismäßig naher Zukunft verhüten ließe.



Nachstehendes sind die Grundacdcmken deS Vortrages, mit welchem der VII. evangelisch-
landeskirchliche Sonate Kursus zu Berlin und Düsseldorf, September und Okwber 19S0 ein¬
geleitet wurde. Nach dein Plan des Kursus sollte der Vortrag auch einen Überblick über die
. gesamte wirtschaftliche Laae Deutschlands geben; doch konnte ein Teil dieser Aufgabe durch
den Nieder"scheu Vortrag (Grenzboten, Heft 47/48) als ersüllt angesehen werden. Weitere
Aiteraturangaben siehe am Schluß.
Fritz Kern, Die neu- Armut und die neuen Armen 1

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Aritik des ZVeltkrieges
Las Erde MoltKes und Schlieffells im großen Kriege
Von einem Generalstäbler
Mit 12 Karten. Preis: in Halbleinen geb. 30 Mark.
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mich vom Anfang bis zum Ende in hohem Grade gefesselt ....
General vor Infanterie Otto von Velow: .... wertvollste und zutreffendste
aller bisherigen Veröffentlichungen ....
Generaloberst Freiherr von Bansen: .... Meisterhafte Beurteilung, weit¬
ausschauender, großzügiger Blick und vorzügliche klare Wiedergabe ....
General Von Lrttow-Vorbeck: - - - s°hr gut und wertvoll ....
Geschichtsforscher Friedrich M. Nircheisen: .... das beste, was über
die Marneschlacht gesagt wurde ....
Militärisches Echo: .... Ein tiefgründiges, aufsehenerregendes Buch ....
Deutsch s OIP-i> rbi-ne: .... Zweifellos gehört das Werk mit zu dem Bemerkens¬
wertesten auf militärisch-kritischem Gebiet und verdient regste Beachtung in allen Kreisen ....
Wel'er-Zntttnrn .... scharf, aber sachgemäß, ein außerordentlich interessantes
^«rk, nicht nur für den Offuier, sondern vor allem auch sür den Laien.
u. 5. Noehler, Verlag, Leipzig.

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wirklich aus der Schweiz schrieb, im Brief, im Tage¬
buch, im Vers, in der Zeichnung, unter Bemitzang von vielen !
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Einzelnummer 60 Pf., Vierteljahr!, (b. d. Post) M. 6.—, Jahresbezug (b. Verlag) M. 20.—.
Verlag: Berlin V 9, Schellingstraße 13, Fernspr.: Liitzow 6196.
DaZ „Gewissen", dessen Leserkreis im „Ring" zusammengeschlossen ist, erscheint
wöchentlich und gibt dem politischen Einheitswillen der Jungen entschiedenen Aus¬
druck. Es wendet sich gegen Korruption, Parteihader und Klassenkampf und versieht
eine aktivistische Politik des nationalen Aufbaus auf korporativer Grundlage.
Aus dem Inhalt der Ur. 46:
Totensonntag. Von Chronist. — Genf. Von Moeller van den Brück. — Die Elsaß-Lothringer und wir.
Von Dr. Max Hildebert Bochen. — Amerika und Frankreich. Von Hermann George Scheffauer.
Spuk Mitteleuropa.

Die neue Armut und die neuen Armen*)
Fritz Rem von
I.
1.

ir sind uns klar darüber, daß das deutsche Volk mitten in einer
Katastrophe steht, und doch freut sich jeder von uns, solange die
Sonne scheint, wieder verstohlen des Lebens, indem er die Wirk¬
lichkeit vergißt. Wir martern uns durch Zahlen und Erkenntnisse,
die vernichtend erscheinen, und dann setzen wir uns zu Tisch mit
dem Stoßseufzer: man könnte überhaupt nicht mehr leben und wirken, wenn man
nicht jene Zahlen auf Augenblicke abschüttelte! Wie der schwindsüchtige bis zum
letzten Augenblick an das Leben glaubt, so sind wir abgehärtet gegen Katastrophen
und vernichtende Eindrücke, denn immer kam wieder ein Tag, und immer ist uns
noch das Letzte erspart geblieben. Muß es denn wirklich kommen? Und wenn es
kommen muß, sollen wir dann nicht umso heißer den Schein des Lebens, der uns
umgibt, genießen? Vielleicht macht doch die Logik der Ereignisse irgendwo holt;
vielleicht geschieht das Wunder ohne unser Zutun von außen; vielleicht, während
die Tendenz der unerbittlichen Zahlen immer jäher in die Tiefe führt, steht das
entschwundene, uns noch so nahe Behagen der vergangenen Jahre wie eine Fata
Morgana in einer traumhaft schwankenden Zukunft wieder auf. Seit sechs Jahren
leben wir in einem unausgesetzten Trommelfeuer stärkster Erschütterungen. Das
stumpft ab. Und doch sind die Zahlen wahr, und wenn wir uns nicht täglich und
stündlich am eigenen Schöpfe packen, um uns aus dem Sumpfe selbstzufriedener
Halbheiten zu reißen, so muß uns der Sumpf verschlingen.

Einer der wenigen nüchtern blickenden sozialistischen Wirtschaftsschriftsteller,
Richard Calwer, hat im Oktober 1920 die Forderung aufgestellt, daß, um den sonst
unvermeidlichen Staatsbankerott zu verhüten, die Löhne und Gehälter aller Arbeiter
und Beamten um 50 vom Hundert herabgesetzt, die Arbeitszeit von 8 auf 1t Stunden
«Höhe, der Arbeitszwang eingeführt, alle überflüssigen Beamten und Arbeiter ent¬
lassen, der Zinsfuß der fundierten Schulden auf 25 v. H. ermäßigt, die Arbeits¬
losenunterstützung aufgehoben, der Druck neuer Banknoten vollständig eingestellt
werde. Auch nach Durchführung dieser Punkte — Calwer selbst zweifelt an ihrer
Durchführbarkeit — würde es noch nicht einmal gewiß sein, ob sich der „Zusammen¬
bruch" in verhältnismäßig naher Zukunft verhüten ließe.



Nachstehendes sind die Grundacdcmken deS Vortrages, mit welchem der VII. evangelisch-
landeskirchliche Sonate Kursus zu Berlin und Düsseldorf, September und Okwber 19S0 ein¬
geleitet wurde. Nach dein Plan des Kursus sollte der Vortrag auch einen Überblick über die
. gesamte wirtschaftliche Laae Deutschlands geben; doch konnte ein Teil dieser Aufgabe durch
den Nieder«scheu Vortrag (Grenzboten, Heft 47/48) als ersüllt angesehen werden. Weitere
Aiteraturangaben siehe am Schluß.
Fritz Kern, Die neu- Armut und die neuen Armen 1
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[0241] Soeben erschien: Aritik des ZVeltkrieges Las Erde MoltKes und Schlieffells im großen Kriege Von einem Generalstäbler Mit 12 Karten. Preis: in Halbleinen geb. 30 Mark. Generslfeldmar'chalk von Macle'sen: .... Das inhaltvolle Werk hat mich vom Anfang bis zum Ende in hohem Grade gefesselt .... General vor Infanterie Otto von Velow: .... wertvollste und zutreffendste aller bisherigen Veröffentlichungen .... Generaloberst Freiherr von Bansen: .... Meisterhafte Beurteilung, weit¬ ausschauender, großzügiger Blick und vorzügliche klare Wiedergabe .... General Von Lrttow-Vorbeck: - - - s°hr gut und wertvoll .... Geschichtsforscher Friedrich M. Nircheisen: .... das beste, was über die Marneschlacht gesagt wurde .... Militärisches Echo: .... Ein tiefgründiges, aufsehenerregendes Buch .... Deutsch s OIP-i> rbi-ne: .... Zweifellos gehört das Werk mit zu dem Bemerkens¬ wertesten auf militärisch-kritischem Gebiet und verdient regste Beachtung in allen Kreisen .... 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Verlag: Berlin V 9, Schellingstraße 13, Fernspr.: Liitzow 6196. DaZ „Gewissen", dessen Leserkreis im „Ring" zusammengeschlossen ist, erscheint wöchentlich und gibt dem politischen Einheitswillen der Jungen entschiedenen Aus¬ druck. Es wendet sich gegen Korruption, Parteihader und Klassenkampf und versieht eine aktivistische Politik des nationalen Aufbaus auf korporativer Grundlage. Aus dem Inhalt der Ur. 46: Totensonntag. Von Chronist. — Genf. Von Moeller van den Brück. — Die Elsaß-Lothringer und wir. Von Dr. Max Hildebert Bochen. — Amerika und Frankreich. Von Hermann George Scheffauer. Spuk Mitteleuropa. Die neue Armut und die neuen Armen*) Fritz Rem von I. 1. ir sind uns klar darüber, daß das deutsche Volk mitten in einer Katastrophe steht, und doch freut sich jeder von uns, solange die Sonne scheint, wieder verstohlen des Lebens, indem er die Wirk¬ lichkeit vergißt. Wir martern uns durch Zahlen und Erkenntnisse, die vernichtend erscheinen, und dann setzen wir uns zu Tisch mit dem Stoßseufzer: man könnte überhaupt nicht mehr leben und wirken, wenn man nicht jene Zahlen auf Augenblicke abschüttelte! Wie der schwindsüchtige bis zum letzten Augenblick an das Leben glaubt, so sind wir abgehärtet gegen Katastrophen und vernichtende Eindrücke, denn immer kam wieder ein Tag, und immer ist uns noch das Letzte erspart geblieben. Muß es denn wirklich kommen? Und wenn es kommen muß, sollen wir dann nicht umso heißer den Schein des Lebens, der uns umgibt, genießen? Vielleicht macht doch die Logik der Ereignisse irgendwo holt; vielleicht geschieht das Wunder ohne unser Zutun von außen; vielleicht, während die Tendenz der unerbittlichen Zahlen immer jäher in die Tiefe führt, steht das entschwundene, uns noch so nahe Behagen der vergangenen Jahre wie eine Fata Morgana in einer traumhaft schwankenden Zukunft wieder auf. Seit sechs Jahren leben wir in einem unausgesetzten Trommelfeuer stärkster Erschütterungen. Das stumpft ab. Und doch sind die Zahlen wahr, und wenn wir uns nicht täglich und stündlich am eigenen Schöpfe packen, um uns aus dem Sumpfe selbstzufriedener Halbheiten zu reißen, so muß uns der Sumpf verschlingen. Einer der wenigen nüchtern blickenden sozialistischen Wirtschaftsschriftsteller, Richard Calwer, hat im Oktober 1920 die Forderung aufgestellt, daß, um den sonst unvermeidlichen Staatsbankerott zu verhüten, die Löhne und Gehälter aller Arbeiter und Beamten um 50 vom Hundert herabgesetzt, die Arbeitszeit von 8 auf 1t Stunden «Höhe, der Arbeitszwang eingeführt, alle überflüssigen Beamten und Arbeiter ent¬ lassen, der Zinsfuß der fundierten Schulden auf 25 v. H. ermäßigt, die Arbeits¬ losenunterstützung aufgehoben, der Druck neuer Banknoten vollständig eingestellt werde. Auch nach Durchführung dieser Punkte — Calwer selbst zweifelt an ihrer Durchführbarkeit — würde es noch nicht einmal gewiß sein, ob sich der „Zusammen¬ bruch" in verhältnismäßig naher Zukunft verhüten ließe. Nachstehendes sind die Grundacdcmken deS Vortrages, mit welchem der VII. evangelisch- landeskirchliche Sonate Kursus zu Berlin und Düsseldorf, September und Okwber 19S0 ein¬ geleitet wurde. Nach dein Plan des Kursus sollte der Vortrag auch einen Überblick über die . gesamte wirtschaftliche Laae Deutschlands geben; doch konnte ein Teil dieser Aufgabe durch den Nieder«scheu Vortrag (Grenzboten, Heft 47/48) als ersüllt angesehen werden. Weitere Aiteraturangaben siehe am Schluß. Fritz Kern, Die neu- Armut und die neuen Armen 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/241>, abgerufen am 01.05.2024.