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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Deutschlands außenpolitische Lage

"Insel", der letzten Kolonie Deutschlands, tragen. Besonders aber denken wir an
dieser Jahreswende an Oberschlesien, das Glied des deutschen Volkskörpers, das fast
am meisten von allen sein Gedeihen der Gemeinschaft mit dem Ganzen verdankt und
wiederum für das Gedeihen der Gesamtheit unentbehrlich ist. Jeder Deutsche, der
dort etwa aus feiger Furcht zögert, sich ganz einzusetzen, um das Land für das
Reich zu retten, lädt nicht nur schwere Schuld, sondern durch eine vorübergehende
Bequemlichkeit endlose Plagen aus sein eigenes Haupt. Dort im äußersten Winkel
des Vaterlandes wird in nächster Zeit um das deutsche Schicksal gekämpft. Der
Sieg ist unser, wenn jeder mannhaft nach dem Wort "Einer sür alle, alle sür einen"
handelt. Aber auch nur dann!

Wann wird die Grenze der deutschen Langmut und Halbheit, wann die
der deutschen Zwietracht im Innern erreicht sein? Die Not der Zeit und
das Wirken des Feindes ringsum, das unsere Jugend in den besetzten und
annektierten Strichen Deutschlands täglich vor Augen sieht und auch hier
in Berlin unsichtbar, aber nicht weniger schrecklich in ihren eigenen
frierenden, hungernden und rhachitisch verkümmerten Gliedmaßen fühlt,
arbeitet wie nie zuvor an der Seele unseres Volkes. Es beginnt wunder-
glciübig zu werden und auf die Geburt des Erlösers zu harren. Das Wunder, das
in der deutschen Geschichte noch aussteht, ist die Geburt des einigen Willens der
gesamten Nation. Nur aus ihm kann die Erlösung kommen, und sie wird kommen,
sicher, wenn auch spät.




Deutschlands außenpolitische Lage 5920
Gelo Hoetzsch von

ielleicht wird Deutschlands außenpolitische Lage heute am eindring¬
lichsten klar, wenn man sich -- Japans heutige Stellung im Konzert
der Weltmächte vergegenwärtigt. Am großen japanisch-amerikanischen
Gegensatz ist kein Zweifel. Von der Erneuerung des Bündnisses
zwischen England und Japan hören wir nichts. Sibirien und der
Norden Ostasiens liegt dem japanischen Machtehrgeiz frei, aber weder eine aktive
Chinapolitik Japans ist bemerkbar, noch nützt dieses die Auflösung Rußlands, um
seine Macht bis zum Baikalsee auszudehnen. Der Krieg hat Japan wirtschaftlich
und finanziell außerordentlich gestärkt, voll Blut sind alle Adern seines Macht- und
Wirtschaftskörpcrs, und alle Kräfte und Nerven dieses Imperialismus sind gespannt.
Aber ist es nicht, als wenn er an der Kette läge? Rußlands und Deutschlands Zu¬
sammenbruch hat ihm die Entlastung geraubt, ohne die er keinen anderen Wassergang
wagen kann. Es hat jetzt, wenn es sich rührt, allein alle auf dem Halse, was heute
in der Weltpolitik aktiv sein kann, es ist ohnmächtig gegen den Imperialismus der
Angelsachsen und ihrer Vasallen. Das wahre Gleichgewicht der Mächte ist heillos
zerstört, seit Deutschland aus ihrem System ausfiel, und alle Spekulation über
deutsch-japanische Beziehungen heute ist reine Phantasie, solange Rußland nicht
wieder in das System der Weltmächte eingeordnet ist.


Deutschlands außenpolitische Lage

„Insel", der letzten Kolonie Deutschlands, tragen. Besonders aber denken wir an
dieser Jahreswende an Oberschlesien, das Glied des deutschen Volkskörpers, das fast
am meisten von allen sein Gedeihen der Gemeinschaft mit dem Ganzen verdankt und
wiederum für das Gedeihen der Gesamtheit unentbehrlich ist. Jeder Deutsche, der
dort etwa aus feiger Furcht zögert, sich ganz einzusetzen, um das Land für das
Reich zu retten, lädt nicht nur schwere Schuld, sondern durch eine vorübergehende
Bequemlichkeit endlose Plagen aus sein eigenes Haupt. Dort im äußersten Winkel
des Vaterlandes wird in nächster Zeit um das deutsche Schicksal gekämpft. Der
Sieg ist unser, wenn jeder mannhaft nach dem Wort „Einer sür alle, alle sür einen"
handelt. Aber auch nur dann!

Wann wird die Grenze der deutschen Langmut und Halbheit, wann die
der deutschen Zwietracht im Innern erreicht sein? Die Not der Zeit und
das Wirken des Feindes ringsum, das unsere Jugend in den besetzten und
annektierten Strichen Deutschlands täglich vor Augen sieht und auch hier
in Berlin unsichtbar, aber nicht weniger schrecklich in ihren eigenen
frierenden, hungernden und rhachitisch verkümmerten Gliedmaßen fühlt,
arbeitet wie nie zuvor an der Seele unseres Volkes. Es beginnt wunder-
glciübig zu werden und auf die Geburt des Erlösers zu harren. Das Wunder, das
in der deutschen Geschichte noch aussteht, ist die Geburt des einigen Willens der
gesamten Nation. Nur aus ihm kann die Erlösung kommen, und sie wird kommen,
sicher, wenn auch spät.




Deutschlands außenpolitische Lage 5920
Gelo Hoetzsch von

ielleicht wird Deutschlands außenpolitische Lage heute am eindring¬
lichsten klar, wenn man sich — Japans heutige Stellung im Konzert
der Weltmächte vergegenwärtigt. Am großen japanisch-amerikanischen
Gegensatz ist kein Zweifel. Von der Erneuerung des Bündnisses
zwischen England und Japan hören wir nichts. Sibirien und der
Norden Ostasiens liegt dem japanischen Machtehrgeiz frei, aber weder eine aktive
Chinapolitik Japans ist bemerkbar, noch nützt dieses die Auflösung Rußlands, um
seine Macht bis zum Baikalsee auszudehnen. Der Krieg hat Japan wirtschaftlich
und finanziell außerordentlich gestärkt, voll Blut sind alle Adern seines Macht- und
Wirtschaftskörpcrs, und alle Kräfte und Nerven dieses Imperialismus sind gespannt.
Aber ist es nicht, als wenn er an der Kette läge? Rußlands und Deutschlands Zu¬
sammenbruch hat ihm die Entlastung geraubt, ohne die er keinen anderen Wassergang
wagen kann. Es hat jetzt, wenn es sich rührt, allein alle auf dem Halse, was heute
in der Weltpolitik aktiv sein kann, es ist ohnmächtig gegen den Imperialismus der
Angelsachsen und ihrer Vasallen. Das wahre Gleichgewicht der Mächte ist heillos
zerstört, seit Deutschland aus ihrem System ausfiel, und alle Spekulation über
deutsch-japanische Beziehungen heute ist reine Phantasie, solange Rußland nicht
wieder in das System der Weltmächte eingeordnet ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/373>, abgerufen am 01.05.2024.