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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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lassen, so entsetzlich lähmend der außenpolitische Sinn unseres Volks ist, dessen
Politisierung trotz Revolution und Parlamentarismus mindestens nur sehr langsame
Fortschritte macht. Das gilt für die Außenpolitik noch mehr als für die Innenpolitik.
Aber wir werden als Volk und Staat nicht wieder zur Höhe hinaufsteigen, wenn sich
der deutsche Mensch nicht erzieht zum außenpolitischen Sinn, wenn er sich nicht
erfüllt mit dem unlösbaren Zusammenhang inner- und außenpolitischer Ent¬
wicklung, inner- und außenpolitischen Tuns, in dem festen Bunde, dem Preußen
seine schnelle Erhebung nach 1806 dankte, dem Bunde von Macht und Idee!




Deutschlands mnerpolitische Lage ^)20
?r, Aarl Bernhard Ritter, !)c>n Mitglied der preußischen Landesversammlnng

in 9. Juni des Jahres schrieb ich an dieser Stelle unter dem Ein¬
druck der Reichstagswahlen: "Der Sinn dieser Wahlen geht auf
ein Neues. Jenseits aller Parteien und aller Parteipolitik sucht das
Volk nach den sachkundigen, unabhängigen Führern.... Die Demo¬
kratie als Parteircgierung sollte in diesen Wahlen ihr Urteil
empfangen. Sie muß damit abgetan sein." Man hat auf diese deutliche Be¬
kundung des Volkswillens nicht gehört. Die Regierungsbildung, die den Juni¬
wahlen folgte, war ein Schauspiel parteitaktischer Mcichlerei schlimmster Art. Die
praktische Leistung einer so unrühmlich zustande gekommenen Regierung entspricht
dieser ihrer Entstehungsgeschichte. Unsicherheit und Unentschlossenheit in allen Ma߬
nahmen, weitere Abhängigkeit von Strömungen heterogenster Art ist ihr Kennzeichen.
Nur durch volles Begreifen der Aufgabe, die sich nach dieser Wahl für die Parteien
ergab, Vermittler, nicht Organe des Volkswillens zu sein, und darum durch einen
klaren Verzicht auf Weiterführung der vom Volke abgelehnten Regierungsweise
konnte die in der Tat "parlamentarisch" nicht zu lösende Krisis überwunden werden.
Man hat nicht begriffen und hat dadurch die Krisis in Permanenz erklärt. Oder ist
ein Zustand, wie der gegenwärtige, bei dem die Minderheitsregierung abhängig ist
von der Gnade einer Partei, die brutal, ohne auch nur das "Gesicht" zu wahren, zu
erkennen gab, daß sie sich lediglich von parteitaktischen Erwägungen leiten zu lassen
gedenke, etwas anderes als eine permanente Krisis? Man hat uns gesagt, es sei
schwer, ja unmöglich gewesen, Fachmänner für die Ministersessel zu gewinnen.
Können halbe Entschlüsse etwas anderes als halbe Ergebnisse zeitigen?

Die völlige Abhängigkeit der Reichsregierung von der linken Opposition wird
aber erst dann ganz erkennbar, wenn man bedenkt, daß in fast allen Regierungen der
Länder, vor allem in der Preußenregierung, eben diese Opposition die fast un¬
geschmälerte Herrschaft ausübt. Der Verwaltungsapparat des weitaus größten
Teils des Reichsgebiets ist in sozialdemokratischer Hand. Es bedürfte nicht erst
der agitatorischen Leistung des Abgeordneten und Ministerpräsidenten Braun, um
die ganze Unmöglichkeit dieses Zustandes kraß zu beleuchten.

Inzwischen dringt abermals die Stimme eines unverkennbaren Volksurteils
über unser derzeitiges System an das Ohr der Verantwortlicher. 30 bis 40 ?S der


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lassen, so entsetzlich lähmend der außenpolitische Sinn unseres Volks ist, dessen
Politisierung trotz Revolution und Parlamentarismus mindestens nur sehr langsame
Fortschritte macht. Das gilt für die Außenpolitik noch mehr als für die Innenpolitik.
Aber wir werden als Volk und Staat nicht wieder zur Höhe hinaufsteigen, wenn sich
der deutsche Mensch nicht erzieht zum außenpolitischen Sinn, wenn er sich nicht
erfüllt mit dem unlösbaren Zusammenhang inner- und außenpolitischer Ent¬
wicklung, inner- und außenpolitischen Tuns, in dem festen Bunde, dem Preußen
seine schnelle Erhebung nach 1806 dankte, dem Bunde von Macht und Idee!




Deutschlands mnerpolitische Lage ^)20
?r, Aarl Bernhard Ritter, !)c>n Mitglied der preußischen Landesversammlnng

in 9. Juni des Jahres schrieb ich an dieser Stelle unter dem Ein¬
druck der Reichstagswahlen: „Der Sinn dieser Wahlen geht auf
ein Neues. Jenseits aller Parteien und aller Parteipolitik sucht das
Volk nach den sachkundigen, unabhängigen Führern.... Die Demo¬
kratie als Parteircgierung sollte in diesen Wahlen ihr Urteil
empfangen. Sie muß damit abgetan sein." Man hat auf diese deutliche Be¬
kundung des Volkswillens nicht gehört. Die Regierungsbildung, die den Juni¬
wahlen folgte, war ein Schauspiel parteitaktischer Mcichlerei schlimmster Art. Die
praktische Leistung einer so unrühmlich zustande gekommenen Regierung entspricht
dieser ihrer Entstehungsgeschichte. Unsicherheit und Unentschlossenheit in allen Ma߬
nahmen, weitere Abhängigkeit von Strömungen heterogenster Art ist ihr Kennzeichen.
Nur durch volles Begreifen der Aufgabe, die sich nach dieser Wahl für die Parteien
ergab, Vermittler, nicht Organe des Volkswillens zu sein, und darum durch einen
klaren Verzicht auf Weiterführung der vom Volke abgelehnten Regierungsweise
konnte die in der Tat „parlamentarisch" nicht zu lösende Krisis überwunden werden.
Man hat nicht begriffen und hat dadurch die Krisis in Permanenz erklärt. Oder ist
ein Zustand, wie der gegenwärtige, bei dem die Minderheitsregierung abhängig ist
von der Gnade einer Partei, die brutal, ohne auch nur das „Gesicht" zu wahren, zu
erkennen gab, daß sie sich lediglich von parteitaktischen Erwägungen leiten zu lassen
gedenke, etwas anderes als eine permanente Krisis? Man hat uns gesagt, es sei
schwer, ja unmöglich gewesen, Fachmänner für die Ministersessel zu gewinnen.
Können halbe Entschlüsse etwas anderes als halbe Ergebnisse zeitigen?

Die völlige Abhängigkeit der Reichsregierung von der linken Opposition wird
aber erst dann ganz erkennbar, wenn man bedenkt, daß in fast allen Regierungen der
Länder, vor allem in der Preußenregierung, eben diese Opposition die fast un¬
geschmälerte Herrschaft ausübt. Der Verwaltungsapparat des weitaus größten
Teils des Reichsgebiets ist in sozialdemokratischer Hand. Es bedürfte nicht erst
der agitatorischen Leistung des Abgeordneten und Ministerpräsidenten Braun, um
die ganze Unmöglichkeit dieses Zustandes kraß zu beleuchten.

Inzwischen dringt abermals die Stimme eines unverkennbaren Volksurteils
über unser derzeitiges System an das Ohr der Verantwortlicher. 30 bis 40 ?S der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/378>, abgerufen am 01.05.2024.