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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Wie ein Kaufmannsvolk seinen Kredit vernichtet

welche in diesem Kriege die Gegner Englands gemacht haben, sein Privateigentum
nach England legen will statt nach Amerika, wo die finanziellen Aussichten ohnehin
bessere sind. England kann einen geschlagenen Gegner weiter mit Zwangsgewalt
drangsalieren, das steht ihm völlig frei. Aber was es nicht vermag, ist, die Reste
freier Willensbestimmung, die in Deutschland heute noch bei den Privatleuten
vorhanden sind, und die künftige Willensfreiheit sämtlicher privater Eigentümer
des nicht englischen Erdballs zu verleiten, sich in der Höhle des Löwen schlafen
zu legen. Wird der deutsche Wertpapierbesitz nach Artikel 297 b des Friedens¬
vertrags von den Engländern liquidiert, so können wir dagegen nichts machen.
Aber auch der Engländer kann nichts dagegen machen, daß er zu gleicher Zeit
einen großen Teil seines Weltkredits liquidiert.

Die These der Engländer lautet: Uns ist das Privateigentum heilig, außer
wo nationale Notwendigkeiten die Nationalisierung des Privateigentms fordern.
Es muß sich in den nächsten Monaten zeigen, in welchem Umfang die
nationalen Notwendigkeiten Englands dazu führen, den Wiederaufbau der
europäischen Solidarität gegenüber Amerika durch die Zerstörung seines eigenen
Bankierkredits zu verhindern. Ist es mit England schon so weit gekommen, daß
es entgegen dem kaufmännischen Gewissen seiner Bürger die alten Depots seiner
deutschen Kunden raubt u^d die Petroleumlampen der ehemaligen deutschen Kellner in
London nur mit ungeheuerlichen Spesen belastet herausgeben kann, dann wird
eben das Übergewicht Amerikas sich um so rascher vollziehen, und kein Mensch
kann heute sagen, ob das zum Nutzen oder zum Schaden der nicht englischen
Völker Europas ist. Daß es nicht zum Nutzen Englands ist, kann man wohl mit
Bestimmtheit behaupten.

Nachwort.

Die oben ausgesprochene Vermutung, daß sich in England selbst mancher
der Schäbigkeit seiner Regierung schämen dürfte, hat sich rasch erfüllt. Die
"Westminster Gazette" vom 1. Oktober bringt einen offenen Brief an den Heraus¬
geber, überschrieben "Ein Schrei nach Gerechtigkeit". Der Versasser führt aus,
daß es im höchsten Grade "unfair" sein würde, die kleinen Leute, die ihr Leben
in England zugebracht hätten, im Vertrauen darauf, in einem anständigen und
gerechten, Land zu leben, zu plündern. Diese Leute wären schon durch die
Internierung und die sonstigen Nachteile, als Feinde behandelt zu werden, aufs
äußerste drangsaliert. Die moralische Einbuße, die sich England durch eine
weitere Verfolgung zuzöge, stände in keinem Verhältnis zu dem etwaigen
materiellen Borten. Man solle aber nicht sagen, diese Leute würden durch die
deutsche Regierung entschädigt werden, denn eine wirkliche Entschädigung wäre bei
der Entwertung der deutschen Mark ja gar nicht denkbar. Bezeichnend für den
Terror eines engherzigen Chauvinistentums in England ist es, daß der Einsender
dieses offenen Briefes nicht wagt, mit vollem Namen zu unterzeichnen. Am Ende
ist es Mr. Asquith selbst, dem als Vertreter der altliberalen englischen Welt¬
anschauung ja schon manches auf die Nerven gefallen ist, was die Knockoutmänner
zur Erschütterung deS kaufmännischen Ansehens Englands geleistet haben.




Wie ein Kaufmannsvolk seinen Kredit vernichtet

welche in diesem Kriege die Gegner Englands gemacht haben, sein Privateigentum
nach England legen will statt nach Amerika, wo die finanziellen Aussichten ohnehin
bessere sind. England kann einen geschlagenen Gegner weiter mit Zwangsgewalt
drangsalieren, das steht ihm völlig frei. Aber was es nicht vermag, ist, die Reste
freier Willensbestimmung, die in Deutschland heute noch bei den Privatleuten
vorhanden sind, und die künftige Willensfreiheit sämtlicher privater Eigentümer
des nicht englischen Erdballs zu verleiten, sich in der Höhle des Löwen schlafen
zu legen. Wird der deutsche Wertpapierbesitz nach Artikel 297 b des Friedens¬
vertrags von den Engländern liquidiert, so können wir dagegen nichts machen.
Aber auch der Engländer kann nichts dagegen machen, daß er zu gleicher Zeit
einen großen Teil seines Weltkredits liquidiert.

Die These der Engländer lautet: Uns ist das Privateigentum heilig, außer
wo nationale Notwendigkeiten die Nationalisierung des Privateigentms fordern.
Es muß sich in den nächsten Monaten zeigen, in welchem Umfang die
nationalen Notwendigkeiten Englands dazu führen, den Wiederaufbau der
europäischen Solidarität gegenüber Amerika durch die Zerstörung seines eigenen
Bankierkredits zu verhindern. Ist es mit England schon so weit gekommen, daß
es entgegen dem kaufmännischen Gewissen seiner Bürger die alten Depots seiner
deutschen Kunden raubt u^d die Petroleumlampen der ehemaligen deutschen Kellner in
London nur mit ungeheuerlichen Spesen belastet herausgeben kann, dann wird
eben das Übergewicht Amerikas sich um so rascher vollziehen, und kein Mensch
kann heute sagen, ob das zum Nutzen oder zum Schaden der nicht englischen
Völker Europas ist. Daß es nicht zum Nutzen Englands ist, kann man wohl mit
Bestimmtheit behaupten.

Nachwort.

Die oben ausgesprochene Vermutung, daß sich in England selbst mancher
der Schäbigkeit seiner Regierung schämen dürfte, hat sich rasch erfüllt. Die
„Westminster Gazette" vom 1. Oktober bringt einen offenen Brief an den Heraus¬
geber, überschrieben „Ein Schrei nach Gerechtigkeit". Der Versasser führt aus,
daß es im höchsten Grade „unfair" sein würde, die kleinen Leute, die ihr Leben
in England zugebracht hätten, im Vertrauen darauf, in einem anständigen und
gerechten, Land zu leben, zu plündern. Diese Leute wären schon durch die
Internierung und die sonstigen Nachteile, als Feinde behandelt zu werden, aufs
äußerste drangsaliert. Die moralische Einbuße, die sich England durch eine
weitere Verfolgung zuzöge, stände in keinem Verhältnis zu dem etwaigen
materiellen Borten. Man solle aber nicht sagen, diese Leute würden durch die
deutsche Regierung entschädigt werden, denn eine wirkliche Entschädigung wäre bei
der Entwertung der deutschen Mark ja gar nicht denkbar. Bezeichnend für den
Terror eines engherzigen Chauvinistentums in England ist es, daß der Einsender
dieses offenen Briefes nicht wagt, mit vollem Namen zu unterzeichnen. Am Ende
ist es Mr. Asquith selbst, dem als Vertreter der altliberalen englischen Welt¬
anschauung ja schon manches auf die Nerven gefallen ist, was die Knockoutmänner
zur Erschütterung deS kaufmännischen Ansehens Englands geleistet haben.




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[0062] Wie ein Kaufmannsvolk seinen Kredit vernichtet welche in diesem Kriege die Gegner Englands gemacht haben, sein Privateigentum nach England legen will statt nach Amerika, wo die finanziellen Aussichten ohnehin bessere sind. England kann einen geschlagenen Gegner weiter mit Zwangsgewalt drangsalieren, das steht ihm völlig frei. Aber was es nicht vermag, ist, die Reste freier Willensbestimmung, die in Deutschland heute noch bei den Privatleuten vorhanden sind, und die künftige Willensfreiheit sämtlicher privater Eigentümer des nicht englischen Erdballs zu verleiten, sich in der Höhle des Löwen schlafen zu legen. Wird der deutsche Wertpapierbesitz nach Artikel 297 b des Friedens¬ vertrags von den Engländern liquidiert, so können wir dagegen nichts machen. Aber auch der Engländer kann nichts dagegen machen, daß er zu gleicher Zeit einen großen Teil seines Weltkredits liquidiert. Die These der Engländer lautet: Uns ist das Privateigentum heilig, außer wo nationale Notwendigkeiten die Nationalisierung des Privateigentms fordern. Es muß sich in den nächsten Monaten zeigen, in welchem Umfang die nationalen Notwendigkeiten Englands dazu führen, den Wiederaufbau der europäischen Solidarität gegenüber Amerika durch die Zerstörung seines eigenen Bankierkredits zu verhindern. Ist es mit England schon so weit gekommen, daß es entgegen dem kaufmännischen Gewissen seiner Bürger die alten Depots seiner deutschen Kunden raubt u^d die Petroleumlampen der ehemaligen deutschen Kellner in London nur mit ungeheuerlichen Spesen belastet herausgeben kann, dann wird eben das Übergewicht Amerikas sich um so rascher vollziehen, und kein Mensch kann heute sagen, ob das zum Nutzen oder zum Schaden der nicht englischen Völker Europas ist. Daß es nicht zum Nutzen Englands ist, kann man wohl mit Bestimmtheit behaupten. Nachwort. Die oben ausgesprochene Vermutung, daß sich in England selbst mancher der Schäbigkeit seiner Regierung schämen dürfte, hat sich rasch erfüllt. Die „Westminster Gazette" vom 1. Oktober bringt einen offenen Brief an den Heraus¬ geber, überschrieben „Ein Schrei nach Gerechtigkeit". Der Versasser führt aus, daß es im höchsten Grade „unfair" sein würde, die kleinen Leute, die ihr Leben in England zugebracht hätten, im Vertrauen darauf, in einem anständigen und gerechten, Land zu leben, zu plündern. Diese Leute wären schon durch die Internierung und die sonstigen Nachteile, als Feinde behandelt zu werden, aufs äußerste drangsaliert. Die moralische Einbuße, die sich England durch eine weitere Verfolgung zuzöge, stände in keinem Verhältnis zu dem etwaigen materiellen Borten. Man solle aber nicht sagen, diese Leute würden durch die deutsche Regierung entschädigt werden, denn eine wirkliche Entschädigung wäre bei der Entwertung der deutschen Mark ja gar nicht denkbar. Bezeichnend für den Terror eines engherzigen Chauvinistentums in England ist es, daß der Einsender dieses offenen Briefes nicht wagt, mit vollem Namen zu unterzeichnen. Am Ende ist es Mr. Asquith selbst, dem als Vertreter der altliberalen englischen Welt¬ anschauung ja schon manches auf die Nerven gefallen ist, was die Knockoutmänner zur Erschütterung deS kaufmännischen Ansehens Englands geleistet haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/62>, abgerufen am 01.05.2024.