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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr.

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Ivilson und der Friede

Wilson und der Friede
Prof. Dr. Dietrich Schäfer von

innen kurzem jährt sich zum zweitenmal der Tag, an dem die
deutsche Reichsleitung sich bereit erklärte, auf Wilsons Friedens-
grundlagen, wie sie am 8. Januar 1918 in den 14 Punkten kund¬
gegeben waren, einzugehen. Seit mehr als Jahresfrist sind wir
im Friedensstand mit der ganzen Welt, nur nicht mit den Ver¬
einigten Staaten. Der Friedensbringer sein wollte und bei Freund und Feind
als solcher angesehen wurde, hat ihn dem eigenen Volke noch nicht zu geben
vermocht. Das berechtigt, das verpflichtet, noch einmal zu prüfen, wie dieser
Mann überhaupt zur Friedensfrage stand.

Der durch seine Stellung zum Urteil Nächstberufene, Deutschlands Bevoll¬
mächtigter in den Vereinigten Staaten, hat bis heute die Ansicht vertreten,
daß Wilson ehrlich, als Unparteiischer, habe vermitteln wollen und erst durch
den Übergang zum rücksichtslosen D-Bootkrieg bewogen worden sei, in den
Krieg einzutreten. In Amerika war das die allein herrschende Auffassung
während des Krieges; sie ist es heute nicht mehr. Allzu deutlich redet das Ge¬
ständnis, zu dem der Präsident sich auf die Anfrage des Senators McCumber
vor versammeltem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten gedrängt fühlte,
daß Amerika am Kriege teilgenommen haben würde, auch wenn Deutschland
keinerlei Feindseligkeit oder Unrecht gegen amerikanische Bürger begangen haben
würde (xvs woulä tiav"z czutersci elle war över it (-erman^ daä eoiumittoci ne>
avr ot' var c>r no act ot injustice aZawst citiWus).

In den Verhandlungen unseres parlamentarischen Untersuchungsaus¬
schusses hat der damalige Reichsminister Dr. David.sich bemüßigt gesehen, mit
großem Aufgebot von Beredsamkeit und Entrüstung darzulegen, daß unsere
Regierung soundso oft gehandelt habe, ohne daß "das deutsche Volk irgend etwas
darum wußte". Es gehört eine politische Beschränktheit dazu, wie sie ein Ka¬
binettsmitglied, ohne sich unsterblich lächerlich zu machen, doch wohl nur im
deutschen Volke aufbringen kann, zu glauben, daß auswärtige Angelegenheiten
ohne eine weitgehende Geheimhaltung mit Erfolg geleitet werden können,
zumal in kritischen Zeiten. Selbst in Sowjetrußland verkündet man wohl solche
Grundsätze, hütet sich aber sehr, sie anzuwenden. In Amerika denkt man nicht
daran. Insbesondere hat Wilson seine entscheidenden politischen Schritte mit
einem schier undurchdringlichen Schleier zu umgeben verstanden, den er nur
für nächste Vertraute gelegentlich lüftete. In der Veröffentlichung des vs-
psrtmsM ok State kurz vor Amerikas Eintritt in den Krieg waren mit Billigung
oder wenigstens' Zuladung Wilsons wichtige Aktenstücke weggelassen worden.
Im Senat darüber zur Rede gestellt, entgegnete Lansing: "Wir können es uns
am Vorabend unseres Eintritts in diesen schrecklichen Krieg nicht leisten, alle
Welt wissen zu lassen, daß wir von einer Blase von Lügnern regiert werden:
^6 esnnot attorcl on tue co"z ol' sMerinZ tuis terrikie v/ar, to let aU ttiiz vvorlä
Kuoxv, trat of srs rulecl dz? a durou ot liars. Der onairimm teilte nicht Herrn
Davids Meinung. Er erklärte, es handle sich um die einfache Frage, ob Krieg


Ivilson und der Friede

Wilson und der Friede
Prof. Dr. Dietrich Schäfer von

innen kurzem jährt sich zum zweitenmal der Tag, an dem die
deutsche Reichsleitung sich bereit erklärte, auf Wilsons Friedens-
grundlagen, wie sie am 8. Januar 1918 in den 14 Punkten kund¬
gegeben waren, einzugehen. Seit mehr als Jahresfrist sind wir
im Friedensstand mit der ganzen Welt, nur nicht mit den Ver¬
einigten Staaten. Der Friedensbringer sein wollte und bei Freund und Feind
als solcher angesehen wurde, hat ihn dem eigenen Volke noch nicht zu geben
vermocht. Das berechtigt, das verpflichtet, noch einmal zu prüfen, wie dieser
Mann überhaupt zur Friedensfrage stand.

Der durch seine Stellung zum Urteil Nächstberufene, Deutschlands Bevoll¬
mächtigter in den Vereinigten Staaten, hat bis heute die Ansicht vertreten,
daß Wilson ehrlich, als Unparteiischer, habe vermitteln wollen und erst durch
den Übergang zum rücksichtslosen D-Bootkrieg bewogen worden sei, in den
Krieg einzutreten. In Amerika war das die allein herrschende Auffassung
während des Krieges; sie ist es heute nicht mehr. Allzu deutlich redet das Ge¬
ständnis, zu dem der Präsident sich auf die Anfrage des Senators McCumber
vor versammeltem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten gedrängt fühlte,
daß Amerika am Kriege teilgenommen haben würde, auch wenn Deutschland
keinerlei Feindseligkeit oder Unrecht gegen amerikanische Bürger begangen haben
würde (xvs woulä tiav«z czutersci elle war över it (-erman^ daä eoiumittoci ne>
avr ot' var c>r no act ot injustice aZawst citiWus).

In den Verhandlungen unseres parlamentarischen Untersuchungsaus¬
schusses hat der damalige Reichsminister Dr. David.sich bemüßigt gesehen, mit
großem Aufgebot von Beredsamkeit und Entrüstung darzulegen, daß unsere
Regierung soundso oft gehandelt habe, ohne daß „das deutsche Volk irgend etwas
darum wußte". Es gehört eine politische Beschränktheit dazu, wie sie ein Ka¬
binettsmitglied, ohne sich unsterblich lächerlich zu machen, doch wohl nur im
deutschen Volke aufbringen kann, zu glauben, daß auswärtige Angelegenheiten
ohne eine weitgehende Geheimhaltung mit Erfolg geleitet werden können,
zumal in kritischen Zeiten. Selbst in Sowjetrußland verkündet man wohl solche
Grundsätze, hütet sich aber sehr, sie anzuwenden. In Amerika denkt man nicht
daran. Insbesondere hat Wilson seine entscheidenden politischen Schritte mit
einem schier undurchdringlichen Schleier zu umgeben verstanden, den er nur
für nächste Vertraute gelegentlich lüftete. In der Veröffentlichung des vs-
psrtmsM ok State kurz vor Amerikas Eintritt in den Krieg waren mit Billigung
oder wenigstens' Zuladung Wilsons wichtige Aktenstücke weggelassen worden.
Im Senat darüber zur Rede gestellt, entgegnete Lansing: „Wir können es uns
am Vorabend unseres Eintritts in diesen schrecklichen Krieg nicht leisten, alle
Welt wissen zu lassen, daß wir von einer Blase von Lügnern regiert werden:
^6 esnnot attorcl on tue co«z ol' sMerinZ tuis terrikie v/ar, to let aU ttiiz vvorlä
Kuoxv, trat of srs rulecl dz? a durou ot liars. Der onairimm teilte nicht Herrn
Davids Meinung. Er erklärte, es handle sich um die einfache Frage, ob Krieg


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_338022/63>, abgerufen am 01.05.2024.