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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Französische Grpressungs- und Linkreisungspolitik usw.

Wege sind für das deutsche Volk schwer zu überwindende Schranken aufgerichtet.
Je mehr aber das deutsche Volk dieser natürlichen Richtung seiner Expansion
folgt, desto sicherer kann es auf Gesundung hoffen. Den bedeutendsten Weg nach
diesem Wirkungsfeld des deutschen Volkes bildet natürlich die Donau. In dem
Maße, als die deutsche Gesamtpolitik mehr auf den Osten eingestellt
ist, ist auch unter diesem Gesichtspunkt die Voraussetzung für eine
außenpolitische Sonderaufgabe und damit für die politische "Unab¬
hängigkeit" des Südostdeutschtums gegenstandslos geworden.




Französische Grpressungs- und Einkreisungspolitik
vor dem deutsch-französischen Krieg'
Lrich Aarwiese von

em Gedächtnis unseres Volks ist nahezu alles entschwunden, was
über die Zeit der Schwedennot und der Reformation zurückliegt.
So äußerte sich einst Heinrich von Treitschke. Heute kann man
getrost behaupten, daß die Masse unseres Volks schon von den
politischen Vorgängen, die den deutsch-französischen Krieg mit ver¬
anlaßt haben, nichts weiß. Es erscheint daher von Wert, sich die Ereignisse
Mer Zeit erneut zu vergegenwärtigen, um daraus die Zusammenhänge der
französischen Politik von heute und damals zu erkennen.

Unmittelbar nach der Schlacht von Königgrätz hatte Kaiser Franz Joseph
Venetien, um dessen Besitz Italien kämpfte, an Frankreich abgetreten, und schon
bin 5. IM 18S6 verkündete Napoleon im Moniteur, Osterreich habe seine Ver¬
mittlung zur Herbeiführung eines Waffenstillstandes mit Preußen angerufen.
Das -Telegramm Napoleons, das den König Wilhelm aufforderte, die französische
Vermittlung anzunehmen und die preußischen Friedensbedingungen zu nennen,
^af an demselben 5. Juli im Hauptquartier zu Horschwitz ein. Die Wirkung
war erschütternd. Napoleon, der soviel Zusicherungen wohlwollender Neutralität
gegeben hatte, fiel plötzlich dem Sieger in den Arm, um ihm den Siegespreis
zu verkürzen. So groß der Zorn des Königs und Bismarcks auch war, man
entschloß sich doch zu einer versöhnlichen Antwort. Die Annahme des An-rbietens
wurde ausgesprochen und Prinz Reuß mit einem eigenhändigen Brief des Königs
"ach Paris geschickt.

Am 23. Juli ließ die französische Regierung durch Benedetti erklären, die
Anerkennung einer Vergrößerung Preußens könne nur in Verbindung mit der
Frage der französischen Kompensationen verhandelt werden, und am 89. Juli
""riß der französische Minister Drouyn de l'Huys im Verein mit der Kaiserin
Eugenie in Viehs dem kränken Napoleon die Erlaubnis, die Abtretung großer
Landstriche von Deutschland zu fordern. Benedetti trug Bismarck die unerhörten


Französische Grpressungs- und Linkreisungspolitik usw.

Wege sind für das deutsche Volk schwer zu überwindende Schranken aufgerichtet.
Je mehr aber das deutsche Volk dieser natürlichen Richtung seiner Expansion
folgt, desto sicherer kann es auf Gesundung hoffen. Den bedeutendsten Weg nach
diesem Wirkungsfeld des deutschen Volkes bildet natürlich die Donau. In dem
Maße, als die deutsche Gesamtpolitik mehr auf den Osten eingestellt
ist, ist auch unter diesem Gesichtspunkt die Voraussetzung für eine
außenpolitische Sonderaufgabe und damit für die politische „Unab¬
hängigkeit" des Südostdeutschtums gegenstandslos geworden.




Französische Grpressungs- und Einkreisungspolitik
vor dem deutsch-französischen Krieg'
Lrich Aarwiese von

em Gedächtnis unseres Volks ist nahezu alles entschwunden, was
über die Zeit der Schwedennot und der Reformation zurückliegt.
So äußerte sich einst Heinrich von Treitschke. Heute kann man
getrost behaupten, daß die Masse unseres Volks schon von den
politischen Vorgängen, die den deutsch-französischen Krieg mit ver¬
anlaßt haben, nichts weiß. Es erscheint daher von Wert, sich die Ereignisse
Mer Zeit erneut zu vergegenwärtigen, um daraus die Zusammenhänge der
französischen Politik von heute und damals zu erkennen.

Unmittelbar nach der Schlacht von Königgrätz hatte Kaiser Franz Joseph
Venetien, um dessen Besitz Italien kämpfte, an Frankreich abgetreten, und schon
bin 5. IM 18S6 verkündete Napoleon im Moniteur, Osterreich habe seine Ver¬
mittlung zur Herbeiführung eines Waffenstillstandes mit Preußen angerufen.
Das -Telegramm Napoleons, das den König Wilhelm aufforderte, die französische
Vermittlung anzunehmen und die preußischen Friedensbedingungen zu nennen,
^af an demselben 5. Juli im Hauptquartier zu Horschwitz ein. Die Wirkung
war erschütternd. Napoleon, der soviel Zusicherungen wohlwollender Neutralität
gegeben hatte, fiel plötzlich dem Sieger in den Arm, um ihm den Siegespreis
zu verkürzen. So groß der Zorn des Königs und Bismarcks auch war, man
entschloß sich doch zu einer versöhnlichen Antwort. Die Annahme des An-rbietens
wurde ausgesprochen und Prinz Reuß mit einem eigenhändigen Brief des Königs
«ach Paris geschickt.

Am 23. Juli ließ die französische Regierung durch Benedetti erklären, die
Anerkennung einer Vergrößerung Preußens könne nur in Verbindung mit der
Frage der französischen Kompensationen verhandelt werden, und am 89. Juli
«"riß der französische Minister Drouyn de l'Huys im Verein mit der Kaiserin
Eugenie in Viehs dem kränken Napoleon die Erlaubnis, die Abtretung großer
Landstriche von Deutschland zu fordern. Benedetti trug Bismarck die unerhörten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/147>, abgerufen am 27.04.2024.