Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Parteipolitik in den Gemeinden

lich und anschaulich zu machen begonnen hat. Das deutsche Volk soll sich jetzt
alljährlich um die Summen schröpfen lassen, welche es unumgänglich nötig zu
seinem eigenen Lebensunterhalt, für seine Schulen, Krankenhäuser, Versicherungen,
Straßenbau, Schaffung von Arbeitsstätten, überhaupt für die Möglichkeit zu
leben und zu wirken benötigt. Daß eine solche Lehre die Anschauungswelt des
Volkes verändert, wäre selbst bei Chinesen anzunehmen.




jDarteipolitik in den Gemeinden
xoeber, Stadtrat von

eit den Neuwahlen im Frühjahr 1919 sind die Stadtverordneten¬
versammlungen im parteipolitischer Sinne politisiert worden.
Es wird keine größere Gemeinde mehr geben, wo dies nicht der
Fall ist, selbst in kleineren Orten sind die Wahlen nach diesem
Gesichtspunkte vollzogen. .Nachdem alsdann im Herbst desselben
Jahres die Neuwahlen der unbesoldeten Magistratsmitglieder folgten, gilt dies nun
auch von den Magistraten, in denen sich nur noch vereinzelte frccktionSlvse besoldete
Mitglieder befinden. Jetzt herrschen die politischen Parteien in den Kommunal¬
verwaltungen. Anders war es vordem! Wenn früher auch schon in einigen Städten
die Politisierung durchgeführt war, so traf dies doch nur in kleinem Umfange zu/
man wird nicht fehlgehen, wenn man behauptet, daß zuvor in der Mehrzahl der
Gemeinden sich die Gemeindekörperschaften in politische Parteien nicht gliederten.
Allerdings, die Sozialdemokratie machte regelmäßig eine Ausnahme, sie trat da,
wo sie in den Gemeindekörperschaften Sitze inne hatte, als Politische Partei
mit Entschiedenheit auf/ und im Westen standen sich stellenweise Liberale und
das Zentrum gegenüber. Fragt man, wie sich diese Wandlung sachlich durch
kommunale Notwendigkeiten erklärt, so fällt es schwer, eine befriedigende Antwort
zu finden. Hatten sich die kommunalen Körperschaften in ihrer bisherigen
Gruppierung bewährt? Hatten sie das Interesse der Kommune gewahrt? Die
Leistungen der Gemeinden vor dem Krieg, erst recht aber die wahrend des Krieges
sprechen ein deutliches Ja! Die deutschen Stadtgemeinden waren Muster eines
gesunden Fortschrittes. Als die Politischen Parteien bei der Neubildung der
Gemeindevertretungen allgemein mit ihren Listen für die Wahlen auftraten, mag
dies hier und dort deshalb geschehen sein, weil die Vertreter der nichtsozialdemo-
kratischen Richtungen glaubten, sie könnten der Sozialdcmokmtie im Wahlkampf
besser begegnen, wenn sie die nichtsozialdemokratischcn Wähler unter Parteipolitischer
Parole zur Wahl ausriefen. Ausschlaggebend war aber doch ein anderes. Nach
der Revolution fühlten sich die politischen Parteien zu einer gewaltigen Macht


10*
Parteipolitik in den Gemeinden

lich und anschaulich zu machen begonnen hat. Das deutsche Volk soll sich jetzt
alljährlich um die Summen schröpfen lassen, welche es unumgänglich nötig zu
seinem eigenen Lebensunterhalt, für seine Schulen, Krankenhäuser, Versicherungen,
Straßenbau, Schaffung von Arbeitsstätten, überhaupt für die Möglichkeit zu
leben und zu wirken benötigt. Daß eine solche Lehre die Anschauungswelt des
Volkes verändert, wäre selbst bei Chinesen anzunehmen.




jDarteipolitik in den Gemeinden
xoeber, Stadtrat von

eit den Neuwahlen im Frühjahr 1919 sind die Stadtverordneten¬
versammlungen im parteipolitischer Sinne politisiert worden.
Es wird keine größere Gemeinde mehr geben, wo dies nicht der
Fall ist, selbst in kleineren Orten sind die Wahlen nach diesem
Gesichtspunkte vollzogen. .Nachdem alsdann im Herbst desselben
Jahres die Neuwahlen der unbesoldeten Magistratsmitglieder folgten, gilt dies nun
auch von den Magistraten, in denen sich nur noch vereinzelte frccktionSlvse besoldete
Mitglieder befinden. Jetzt herrschen die politischen Parteien in den Kommunal¬
verwaltungen. Anders war es vordem! Wenn früher auch schon in einigen Städten
die Politisierung durchgeführt war, so traf dies doch nur in kleinem Umfange zu/
man wird nicht fehlgehen, wenn man behauptet, daß zuvor in der Mehrzahl der
Gemeinden sich die Gemeindekörperschaften in politische Parteien nicht gliederten.
Allerdings, die Sozialdemokratie machte regelmäßig eine Ausnahme, sie trat da,
wo sie in den Gemeindekörperschaften Sitze inne hatte, als Politische Partei
mit Entschiedenheit auf/ und im Westen standen sich stellenweise Liberale und
das Zentrum gegenüber. Fragt man, wie sich diese Wandlung sachlich durch
kommunale Notwendigkeiten erklärt, so fällt es schwer, eine befriedigende Antwort
zu finden. Hatten sich die kommunalen Körperschaften in ihrer bisherigen
Gruppierung bewährt? Hatten sie das Interesse der Kommune gewahrt? Die
Leistungen der Gemeinden vor dem Krieg, erst recht aber die wahrend des Krieges
sprechen ein deutliches Ja! Die deutschen Stadtgemeinden waren Muster eines
gesunden Fortschrittes. Als die Politischen Parteien bei der Neubildung der
Gemeindevertretungen allgemein mit ihren Listen für die Wahlen auftraten, mag
dies hier und dort deshalb geschehen sein, weil die Vertreter der nichtsozialdemo-
kratischen Richtungen glaubten, sie könnten der Sozialdcmokmtie im Wahlkampf
besser begegnen, wenn sie die nichtsozialdemokratischcn Wähler unter Parteipolitischer
Parole zur Wahl ausriefen. Ausschlaggebend war aber doch ein anderes. Nach
der Revolution fühlten sich die politischen Parteien zu einer gewaltigen Macht


10*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0169" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338970"/>
          <fw type="header" place="top"> Parteipolitik in den Gemeinden</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_590" prev="#ID_589"> lich und anschaulich zu machen begonnen hat. Das deutsche Volk soll sich jetzt<lb/>
alljährlich um die Summen schröpfen lassen, welche es unumgänglich nötig zu<lb/>
seinem eigenen Lebensunterhalt, für seine Schulen, Krankenhäuser, Versicherungen,<lb/>
Straßenbau, Schaffung von Arbeitsstätten, überhaupt für die Möglichkeit zu<lb/>
leben und zu wirken benötigt. Daß eine solche Lehre die Anschauungswelt des<lb/>
Volkes verändert, wäre selbst bei Chinesen anzunehmen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> jDarteipolitik in den Gemeinden<lb/><note type="byline"> xoeber, Stadtrat</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_591" next="#ID_592"> eit den Neuwahlen im Frühjahr 1919 sind die Stadtverordneten¬<lb/>
versammlungen im parteipolitischer Sinne politisiert worden.<lb/>
Es wird keine größere Gemeinde mehr geben, wo dies nicht der<lb/>
Fall ist, selbst in kleineren Orten sind die Wahlen nach diesem<lb/>
Gesichtspunkte vollzogen. .Nachdem alsdann im Herbst desselben<lb/>
Jahres die Neuwahlen der unbesoldeten Magistratsmitglieder folgten, gilt dies nun<lb/>
auch von den Magistraten, in denen sich nur noch vereinzelte frccktionSlvse besoldete<lb/>
Mitglieder befinden. Jetzt herrschen die politischen Parteien in den Kommunal¬<lb/>
verwaltungen. Anders war es vordem! Wenn früher auch schon in einigen Städten<lb/>
die Politisierung durchgeführt war, so traf dies doch nur in kleinem Umfange zu/<lb/>
man wird nicht fehlgehen, wenn man behauptet, daß zuvor in der Mehrzahl der<lb/>
Gemeinden sich die Gemeindekörperschaften in politische Parteien nicht gliederten.<lb/>
Allerdings, die Sozialdemokratie machte regelmäßig eine Ausnahme, sie trat da,<lb/>
wo sie in den Gemeindekörperschaften Sitze inne hatte, als Politische Partei<lb/>
mit Entschiedenheit auf/ und im Westen standen sich stellenweise Liberale und<lb/>
das Zentrum gegenüber. Fragt man, wie sich diese Wandlung sachlich durch<lb/>
kommunale Notwendigkeiten erklärt, so fällt es schwer, eine befriedigende Antwort<lb/>
zu finden. Hatten sich die kommunalen Körperschaften in ihrer bisherigen<lb/>
Gruppierung bewährt? Hatten sie das Interesse der Kommune gewahrt? Die<lb/>
Leistungen der Gemeinden vor dem Krieg, erst recht aber die wahrend des Krieges<lb/>
sprechen ein deutliches Ja! Die deutschen Stadtgemeinden waren Muster eines<lb/>
gesunden Fortschrittes. Als die Politischen Parteien bei der Neubildung der<lb/>
Gemeindevertretungen allgemein mit ihren Listen für die Wahlen auftraten, mag<lb/>
dies hier und dort deshalb geschehen sein, weil die Vertreter der nichtsozialdemo-<lb/>
kratischen Richtungen glaubten, sie könnten der Sozialdcmokmtie im Wahlkampf<lb/>
besser begegnen, wenn sie die nichtsozialdemokratischcn Wähler unter Parteipolitischer<lb/>
Parole zur Wahl ausriefen. Ausschlaggebend war aber doch ein anderes. Nach<lb/>
der Revolution fühlten sich die politischen Parteien zu einer gewaltigen Macht</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 10*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0169] Parteipolitik in den Gemeinden lich und anschaulich zu machen begonnen hat. Das deutsche Volk soll sich jetzt alljährlich um die Summen schröpfen lassen, welche es unumgänglich nötig zu seinem eigenen Lebensunterhalt, für seine Schulen, Krankenhäuser, Versicherungen, Straßenbau, Schaffung von Arbeitsstätten, überhaupt für die Möglichkeit zu leben und zu wirken benötigt. Daß eine solche Lehre die Anschauungswelt des Volkes verändert, wäre selbst bei Chinesen anzunehmen. jDarteipolitik in den Gemeinden xoeber, Stadtrat von eit den Neuwahlen im Frühjahr 1919 sind die Stadtverordneten¬ versammlungen im parteipolitischer Sinne politisiert worden. Es wird keine größere Gemeinde mehr geben, wo dies nicht der Fall ist, selbst in kleineren Orten sind die Wahlen nach diesem Gesichtspunkte vollzogen. .Nachdem alsdann im Herbst desselben Jahres die Neuwahlen der unbesoldeten Magistratsmitglieder folgten, gilt dies nun auch von den Magistraten, in denen sich nur noch vereinzelte frccktionSlvse besoldete Mitglieder befinden. Jetzt herrschen die politischen Parteien in den Kommunal¬ verwaltungen. Anders war es vordem! Wenn früher auch schon in einigen Städten die Politisierung durchgeführt war, so traf dies doch nur in kleinem Umfange zu/ man wird nicht fehlgehen, wenn man behauptet, daß zuvor in der Mehrzahl der Gemeinden sich die Gemeindekörperschaften in politische Parteien nicht gliederten. Allerdings, die Sozialdemokratie machte regelmäßig eine Ausnahme, sie trat da, wo sie in den Gemeindekörperschaften Sitze inne hatte, als Politische Partei mit Entschiedenheit auf/ und im Westen standen sich stellenweise Liberale und das Zentrum gegenüber. Fragt man, wie sich diese Wandlung sachlich durch kommunale Notwendigkeiten erklärt, so fällt es schwer, eine befriedigende Antwort zu finden. Hatten sich die kommunalen Körperschaften in ihrer bisherigen Gruppierung bewährt? Hatten sie das Interesse der Kommune gewahrt? Die Leistungen der Gemeinden vor dem Krieg, erst recht aber die wahrend des Krieges sprechen ein deutliches Ja! Die deutschen Stadtgemeinden waren Muster eines gesunden Fortschrittes. Als die Politischen Parteien bei der Neubildung der Gemeindevertretungen allgemein mit ihren Listen für die Wahlen auftraten, mag dies hier und dort deshalb geschehen sein, weil die Vertreter der nichtsozialdemo- kratischen Richtungen glaubten, sie könnten der Sozialdcmokmtie im Wahlkampf besser begegnen, wenn sie die nichtsozialdemokratischcn Wähler unter Parteipolitischer Parole zur Wahl ausriefen. Ausschlaggebend war aber doch ein anderes. Nach der Revolution fühlten sich die politischen Parteien zu einer gewaltigen Macht 10*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/169
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/169>, abgerufen am 28.04.2024.