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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Der oberschlesische Lreistaatgedanke

Im Gegenteil, sie erkennt offiziell den Sowjetstaat als einzige recht¬
mäßige Regierung Rußlands an, so daß der Gesandte dieser Räuberbande, wie
Joffre 1918 von Berlin aus, unter dem Schutze der Exterritorialität die nächste
Revolution leiten kann. Freilich hat Sowjetrußland versprochen, sich aller Pro¬
paganda zu enthalten, aber nur ganz Weltfreude pflegen dem Worte von Banditen
zu trauen. Auf die sonstigen unerhörten politischen Folgen dieser Anerkennung
kann ich hier nicht eingehen. Nur so viel sei betont, daß hierdurch und durch die
mehr als schwache, unwürdige, charakterlose parteiegoistische und verantwortungs-
scheue nachrevolutionäre deutsche Politik wir immer mehr dem Abgrunde entgegen¬
treiben und die Rcichsregierung zusammen mit unsern Feinden in West und
Ost zum Schrittmacher der Weltrevolution sich herabwürdigt.




Der oberschlesische Freistaatgedanke
Han5 Joachim Von

dem Eindruck des englisch-italienischen Widerstandes gegen
die französisch-polnischen Raubpläne in Oberschlesien hat eine rege
" M Propaganda für den alten, überholten oberschlesischen Freistaats-
gedanken sowohl in Oberschlesien selbst wie im Ausland ein-
gesetzt. Der Warschauer Korrespondent des "Temps" erblickt
in einem unabhängigen neutralen Freistaat Oberschlesien das einzige Mittel, um
aus der verwickelten Lage herauszukommen, ohne erneut Blut zu vergießen.
Es sei, nachdem einmal die Waffen gesprochen hätten, unmöglich, die Zonen
genau nach "deutsch" und "polnisch" zu unterscheiden, ohne neue Konflikte herauf¬
zubeschwören. Die beste Lösung sei daher, Oberschlesien weder der einen noch
der anderen der beiden Mächte zu geben. Zu gleicher Zeit berichten Pariser
Meldungen des "Chicago Tribune", daß in England und Italien der Plan eines
selbständigen Oberschlesiens lebhast erwogen werde, um die Gegensätze in der
Entente auszugleichen. Erst nach zehn bis dreißig Jahren solle eine erneute
Volksabstimmung über das endgültige Schicksal Oberschlesiens entscheiden.

Der oberschlesische Freistaatsgedanke ist unter dem Einfluß der segensreichen
Amtstätigkeit des damaligen Staatskommissars Hörsing entstanden. Er fand seine
Organisation in dem sogenannten Bunde der Oberschlesier. Seine Hauptvertreter
waren neben ehrlichen Leuten, die ihn als Mittel zum Zweck der Erhaltung des
Deutschtums ansahen, sozialisierungsängstliche Schwerindustrielle und starke Teile
des Zentrums. Sie erstrebten mit dem Freistaat Oberschlesien nach Schweizer oder
Luxemburger Muster, beziehungsweise nach dem Beispiel Dcmzigs eine Inter-
nationalisierung und Unterstellung Oberschlesiens unter den Völkerbund. Sie
wandten sich kurz nach der Besetzung Oberschlesiens durch die alliierten Truppen
im Frühjahr vorigen Jahres in einer Denkschrift an den Obersten Rat mit der
Bitte, in Verbindung mit den Regierungen Deutschlands, Polens und der


Der oberschlesische Lreistaatgedanke

Im Gegenteil, sie erkennt offiziell den Sowjetstaat als einzige recht¬
mäßige Regierung Rußlands an, so daß der Gesandte dieser Räuberbande, wie
Joffre 1918 von Berlin aus, unter dem Schutze der Exterritorialität die nächste
Revolution leiten kann. Freilich hat Sowjetrußland versprochen, sich aller Pro¬
paganda zu enthalten, aber nur ganz Weltfreude pflegen dem Worte von Banditen
zu trauen. Auf die sonstigen unerhörten politischen Folgen dieser Anerkennung
kann ich hier nicht eingehen. Nur so viel sei betont, daß hierdurch und durch die
mehr als schwache, unwürdige, charakterlose parteiegoistische und verantwortungs-
scheue nachrevolutionäre deutsche Politik wir immer mehr dem Abgrunde entgegen¬
treiben und die Rcichsregierung zusammen mit unsern Feinden in West und
Ost zum Schrittmacher der Weltrevolution sich herabwürdigt.




Der oberschlesische Freistaatgedanke
Han5 Joachim Von

dem Eindruck des englisch-italienischen Widerstandes gegen
die französisch-polnischen Raubpläne in Oberschlesien hat eine rege
» M Propaganda für den alten, überholten oberschlesischen Freistaats-
gedanken sowohl in Oberschlesien selbst wie im Ausland ein-
gesetzt. Der Warschauer Korrespondent des „Temps" erblickt
in einem unabhängigen neutralen Freistaat Oberschlesien das einzige Mittel, um
aus der verwickelten Lage herauszukommen, ohne erneut Blut zu vergießen.
Es sei, nachdem einmal die Waffen gesprochen hätten, unmöglich, die Zonen
genau nach „deutsch" und „polnisch" zu unterscheiden, ohne neue Konflikte herauf¬
zubeschwören. Die beste Lösung sei daher, Oberschlesien weder der einen noch
der anderen der beiden Mächte zu geben. Zu gleicher Zeit berichten Pariser
Meldungen des „Chicago Tribune", daß in England und Italien der Plan eines
selbständigen Oberschlesiens lebhast erwogen werde, um die Gegensätze in der
Entente auszugleichen. Erst nach zehn bis dreißig Jahren solle eine erneute
Volksabstimmung über das endgültige Schicksal Oberschlesiens entscheiden.

Der oberschlesische Freistaatsgedanke ist unter dem Einfluß der segensreichen
Amtstätigkeit des damaligen Staatskommissars Hörsing entstanden. Er fand seine
Organisation in dem sogenannten Bunde der Oberschlesier. Seine Hauptvertreter
waren neben ehrlichen Leuten, die ihn als Mittel zum Zweck der Erhaltung des
Deutschtums ansahen, sozialisierungsängstliche Schwerindustrielle und starke Teile
des Zentrums. Sie erstrebten mit dem Freistaat Oberschlesien nach Schweizer oder
Luxemburger Muster, beziehungsweise nach dem Beispiel Dcmzigs eine Inter-
nationalisierung und Unterstellung Oberschlesiens unter den Völkerbund. Sie
wandten sich kurz nach der Besetzung Oberschlesiens durch die alliierten Truppen
im Frühjahr vorigen Jahres in einer Denkschrift an den Obersten Rat mit der
Bitte, in Verbindung mit den Regierungen Deutschlands, Polens und der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/220>, abgerufen am 28.04.2024.