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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft der Literatur

Mut aufbringen können, sie rücksichtslos zu vertreten. Werden wir nicht
tapfer, gehen wir zugrund e."

Es gibt nun auch eine T ap f er k e i t g e g e n si es s e l b se, die getrost
den Besen an die Gespinste deS eigenen Hirnes legt, wenn VolkstumSpflicht es
nötig macht. Denn daß wir Deutsche heute anderes zu tun haben, als noch
immer im Verein mit der ^Iliancs israelite die Sendung des Meistersinger-
Schöpfers anzuzweifeln, den zu verkleinern, der uns eine solche Fülle erhabenster
And lieblichster Jnbilder germanischen Wesens von Wotan und Parsifal bis zu
Evchen Pogner und Freia vor die Seele gestellt hat; daß wir jetzt Besseres zu
tun haben als die Bundesgenossenschaft dessen abzulehnen, der die Epoche pazi¬
fistischer Schmusereien durch den Mund seines König Heinrich, des Finklers,
über das Jahrhundert hinweg bedeutsam bescheidet: "Für deutsches Land
das deutsche Schwert, so sei des Reiches Kraft bewährt...",
wird Adolf Bartels bei einiger Besinnung sicher nicht bestreikn!




Die Zukunft der Literatur
Kurt Walter Goldschmidt von

er Kunst im allgemeinen, der bildenden Kunst insbesondere, wird
das nahe Ende von manchem Propheten geweissagt, den nament¬
lich die Kapriolen der jüngsten Malerei wie Todeszuckungen an¬
muten. Daß vieles in diesen jüngsten Zeiten nach Fäulnis riecht,
läßt sich ja nicht abstreiten. Trotzdem sollte man Bedenken tragen,
das Schreckbild des jüngsten Tages an die Wand zu malen. Wie oft ist die
große Schlußkatastrophe schon angekündigt worden -- und die Welt lebt und
schafft noch und trotz alledem mit erneuten Natur- und Geisteslenzen ruhig weiter.

Wir stehen den erschütternden und umwälzenden Ereignissen der jüngsten
Vergangenheit noch zu nahe, ja eigentlich stehen wir ja noch mitten in ihnen.
Ein schlüssiges und maßgebliches Urteil ist aber stets nur im Abstand zu ge¬
winnen. Ich habe oft, gerade in den Augen der Besten, ein Entsetzen starren
sehen über den Zusammenbruch ihrer freilich allzu ideologischen Friedens- und
Kulturillusionen, über die Heraufkunft des neuen Antichrists in Gestalt einer wo¬
möglich noch ins Zehnfach-Mörderische gesteigerten Technik. Man kann dies bis ins
Innerste nachfühlen -- und braucht doch nicht die gleichen verzweifelten Schlüsse
zu ziehen. Der alte Tragiker hat recht: nichts ist furchtbar-gewaltiger
l>v6-r°x>°v) als der Mensch. Auf beidem, dem "furchtbar" wie dem "gewaltig",
liegt der Ton. Die Menschheit hat in Jahrtausenden Furchtbares gelitten, Furcht¬
bares verübt -- dennoch ist sie mit dem göttlichen Leichtsinn, mit der unschuldigen
Brutalität der Natur immer wieder neu, frisch und zeugungsfähig gewesen. "Die
Geschichte macht es nicht anders als die Natur", sagt Jacob Burckhardt. Läßt sie
hier den Faden fallen, so knüpft sie ihn dort wieder an. Vielleicht ist es doch


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Die Zukunft der Literatur

Mut aufbringen können, sie rücksichtslos zu vertreten. Werden wir nicht
tapfer, gehen wir zugrund e."

Es gibt nun auch eine T ap f er k e i t g e g e n si es s e l b se, die getrost
den Besen an die Gespinste deS eigenen Hirnes legt, wenn VolkstumSpflicht es
nötig macht. Denn daß wir Deutsche heute anderes zu tun haben, als noch
immer im Verein mit der ^Iliancs israelite die Sendung des Meistersinger-
Schöpfers anzuzweifeln, den zu verkleinern, der uns eine solche Fülle erhabenster
And lieblichster Jnbilder germanischen Wesens von Wotan und Parsifal bis zu
Evchen Pogner und Freia vor die Seele gestellt hat; daß wir jetzt Besseres zu
tun haben als die Bundesgenossenschaft dessen abzulehnen, der die Epoche pazi¬
fistischer Schmusereien durch den Mund seines König Heinrich, des Finklers,
über das Jahrhundert hinweg bedeutsam bescheidet: „Für deutsches Land
das deutsche Schwert, so sei des Reiches Kraft bewährt...",
wird Adolf Bartels bei einiger Besinnung sicher nicht bestreikn!




Die Zukunft der Literatur
Kurt Walter Goldschmidt von

er Kunst im allgemeinen, der bildenden Kunst insbesondere, wird
das nahe Ende von manchem Propheten geweissagt, den nament¬
lich die Kapriolen der jüngsten Malerei wie Todeszuckungen an¬
muten. Daß vieles in diesen jüngsten Zeiten nach Fäulnis riecht,
läßt sich ja nicht abstreiten. Trotzdem sollte man Bedenken tragen,
das Schreckbild des jüngsten Tages an die Wand zu malen. Wie oft ist die
große Schlußkatastrophe schon angekündigt worden — und die Welt lebt und
schafft noch und trotz alledem mit erneuten Natur- und Geisteslenzen ruhig weiter.

Wir stehen den erschütternden und umwälzenden Ereignissen der jüngsten
Vergangenheit noch zu nahe, ja eigentlich stehen wir ja noch mitten in ihnen.
Ein schlüssiges und maßgebliches Urteil ist aber stets nur im Abstand zu ge¬
winnen. Ich habe oft, gerade in den Augen der Besten, ein Entsetzen starren
sehen über den Zusammenbruch ihrer freilich allzu ideologischen Friedens- und
Kulturillusionen, über die Heraufkunft des neuen Antichrists in Gestalt einer wo¬
möglich noch ins Zehnfach-Mörderische gesteigerten Technik. Man kann dies bis ins
Innerste nachfühlen — und braucht doch nicht die gleichen verzweifelten Schlüsse
zu ziehen. Der alte Tragiker hat recht: nichts ist furchtbar-gewaltiger
l>v6-r°x>°v) als der Mensch. Auf beidem, dem „furchtbar" wie dem „gewaltig",
liegt der Ton. Die Menschheit hat in Jahrtausenden Furchtbares gelitten, Furcht¬
bares verübt — dennoch ist sie mit dem göttlichen Leichtsinn, mit der unschuldigen
Brutalität der Natur immer wieder neu, frisch und zeugungsfähig gewesen. „Die
Geschichte macht es nicht anders als die Natur", sagt Jacob Burckhardt. Läßt sie
hier den Faden fallen, so knüpft sie ihn dort wieder an. Vielleicht ist es doch


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[0329] Die Zukunft der Literatur Mut aufbringen können, sie rücksichtslos zu vertreten. Werden wir nicht tapfer, gehen wir zugrund e." Es gibt nun auch eine T ap f er k e i t g e g e n si es s e l b se, die getrost den Besen an die Gespinste deS eigenen Hirnes legt, wenn VolkstumSpflicht es nötig macht. Denn daß wir Deutsche heute anderes zu tun haben, als noch immer im Verein mit der ^Iliancs israelite die Sendung des Meistersinger- Schöpfers anzuzweifeln, den zu verkleinern, der uns eine solche Fülle erhabenster And lieblichster Jnbilder germanischen Wesens von Wotan und Parsifal bis zu Evchen Pogner und Freia vor die Seele gestellt hat; daß wir jetzt Besseres zu tun haben als die Bundesgenossenschaft dessen abzulehnen, der die Epoche pazi¬ fistischer Schmusereien durch den Mund seines König Heinrich, des Finklers, über das Jahrhundert hinweg bedeutsam bescheidet: „Für deutsches Land das deutsche Schwert, so sei des Reiches Kraft bewährt...", wird Adolf Bartels bei einiger Besinnung sicher nicht bestreikn! Die Zukunft der Literatur Kurt Walter Goldschmidt von er Kunst im allgemeinen, der bildenden Kunst insbesondere, wird das nahe Ende von manchem Propheten geweissagt, den nament¬ lich die Kapriolen der jüngsten Malerei wie Todeszuckungen an¬ muten. Daß vieles in diesen jüngsten Zeiten nach Fäulnis riecht, läßt sich ja nicht abstreiten. Trotzdem sollte man Bedenken tragen, das Schreckbild des jüngsten Tages an die Wand zu malen. Wie oft ist die große Schlußkatastrophe schon angekündigt worden — und die Welt lebt und schafft noch und trotz alledem mit erneuten Natur- und Geisteslenzen ruhig weiter. Wir stehen den erschütternden und umwälzenden Ereignissen der jüngsten Vergangenheit noch zu nahe, ja eigentlich stehen wir ja noch mitten in ihnen. Ein schlüssiges und maßgebliches Urteil ist aber stets nur im Abstand zu ge¬ winnen. Ich habe oft, gerade in den Augen der Besten, ein Entsetzen starren sehen über den Zusammenbruch ihrer freilich allzu ideologischen Friedens- und Kulturillusionen, über die Heraufkunft des neuen Antichrists in Gestalt einer wo¬ möglich noch ins Zehnfach-Mörderische gesteigerten Technik. Man kann dies bis ins Innerste nachfühlen — und braucht doch nicht die gleichen verzweifelten Schlüsse zu ziehen. Der alte Tragiker hat recht: nichts ist furchtbar-gewaltiger l>v6-r°x>°v) als der Mensch. Auf beidem, dem „furchtbar" wie dem „gewaltig", liegt der Ton. Die Menschheit hat in Jahrtausenden Furchtbares gelitten, Furcht¬ bares verübt — dennoch ist sie mit dem göttlichen Leichtsinn, mit der unschuldigen Brutalität der Natur immer wieder neu, frisch und zeugungsfähig gewesen. „Die Geschichte macht es nicht anders als die Natur", sagt Jacob Burckhardt. Läßt sie hier den Faden fallen, so knüpft sie ihn dort wieder an. Vielleicht ist es doch 20»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/329>, abgerufen am 28.04.2024.