Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Bücherschau

[Beginn Spaltensatz]

Vorzug katholischer gelehrter Autoren ist.
Die konservative Grundhaltung begünstigt
die Rücksicht auf des Lesers Aufnahmefähig¬
keit. Dies kann zur Unoriginalitäl führen,
muß es freilich nicht. Und hier liegt der
zweite Vorzug des Buches. Es zeugt von
einem so tiefdringenden Mühen um d'e
Grundlagen moderner Naturwissenschaft, daß
aus ihrer Verschmelzung mit fern aristotelisch-
thomistischen Standpunkt etwas herausge¬
kommen ist, was auch undogmatisch gerichtete
Leser fesseln und bereichern kann.

Karl Jellinek, Das Weltengeheimnis. Vor¬
lesungen zur harmonischen Vereinigung
von Natur- und Geisteswissenschaft, Phi¬
losophie, Kunst und Religion. Mit 180
Textabbildungen. Verlag von Ferdinand
Ente, Stuttgart. 192l. Brosch. M. 70.--.

Ein vielwissender Naturforscher mit theo-
sophischer Neigung fleht die Zeit für ge¬
kommen, um eine Universalwissenschcist zu
gründen, welche Naturwissenschaft und
Weltanschauung, Forschung und Religion
vereinigt. So hat Jellinek ein für unsere
Zeit höchst bezeichnendes Werk geschaffen.
Welcher ordentliche Professor der Physikali¬
schen Chemie Hütte noch vor einem Jahrzehnt
ein Buch veröffentlichen können, das
zwischen chemische und biologische Fach¬
wissenschaft eingestreute Texte aus indi¬
schen Mystikern, Gebetsanrufungen, schwärme¬
risch ekstatische Ermahnungen an den Leser,
das neue Zeitalter des Geistes mitzugründen,
enthielte? Leider müssen wir gestehen, daß
Jellineks Verfahren die neue Zeit eher
schädigt als fördert. Zwar ist dieser auf
seinem Fachgebiet ernst zu nehmende Forscher
zugleich ein ausgezeichneter Pädagoge, wo
er die neuesten Ergebnisse und Theorien der
Wissenschaft vom unbelebten Stoff vorträgt.
Aber schon in den biologischen Wissenschaften
verrät er die Sucht, mit der durch strenges
Fachwissen über den Leser gewonnene Autori¬
tät diesen geschickt ins Reich der dämono-
logischen Phantasie zu locken. Die Geistes¬
und geschichtsphilosophischen Teile aber sind
von einer schwer zu ertragenden affektierten
Seichtigkeit, die der Urteilsfähigkeit der Theo-
sophen das denkbar ungünstigste Zeugnis
ausstellt. Die Illustration ist in den natur¬

[Spaltenumbruch]

wissenschaftlichen Teilen geschickt, technisch
glänzend und zugleich originell, mit großer
Gabe Pädagogischer Anschaulichkeit zusammen¬
gestellt; aber gerade dadurch ist sie gefähr¬
lich, weil sie unmerklich und bestechend den
naiven Leser in den theosophischen Irrgarten
herüberzieht. Für Halbgebildete muß das
Buch geradezu verheerend sein. Man sieht
hier, was herauskommt, wenn ein begabter
Weltbeglücker eine Aufgabe angreift, die dem
Philosophischen Genie, großen Führern und
Klärern vorbehalten bleiben müßte. Aber
als Volkshochschulpredigt, als Lösung aller
Wsltgeheimnisse, als aufgeregtes Beglückungs¬
rezept, verbunden mit hervorragendem Fach¬
wissen, wahrlich ein Zeichen unserer aus
dem Gleichgewicht geglittenen Zeit- Wir
haben also jetzt ein wissenschaftliches Priester-
tuml

Ludwig Kohl, Das Ziel deS Lebens im
Lichte der obersten physikalischen und biolo¬
gischen Naturgesetze. München. G. Müller.
1S21.

Ein Mathematiker und bekannter Erfinder,
zudem ein seinein Buch nach zu urteilen
warmherziger und tieffühlender Mensch glaubt
eine durchaus neue und weittragende Lösung
des Welträtsels ergrübelt zu haben. Das ist
das psychologische Problem des Buches, und
wenn das philosophische Interesse an ihm
beim Lesen rasch erkaltet, so fesselt doch das
Menschliche, das Zeit- und Geistesgeschichtliche
einigermaßen. Kohl ist Philosophisch wie
biologisch ein reiner Autodidakt und müht
sich schwerfällig und unter unlösbarsten
Anfängerverwechslungen um Probleme, die
z. B. sich bei Driesch oder Bcrgson im Ver¬
gleich zu ihrer Behandlung bei Kohl verhalten
wie eine Tonfolge zu einem bloßen Geräusch.
Weshalb hält sich der Rezensent dann über¬
haupt bei ihm auf? wird der Leser fragen.
Nun, nicht nur deshalb, weil es ein Zeichen
unserer Zeit ist, daß Spezialisten aller Zeichen
und Grade sich jetzt um Weltanschauung und
universal-konzentrische Darstellungen mühen,
(soweit sie nicht etwa egozentrische Memoiren
schreiben, übrigens giebt es zwischen beiden
einen Mischstil, der sogar bei Kohl anklingt).
Mehr noch: hinter den gedanklichen Un¬
beholfenheiten Kohls liegt eine große und

[Ende Spaltensatz]
Bücherschau

[Beginn Spaltensatz]

Vorzug katholischer gelehrter Autoren ist.
Die konservative Grundhaltung begünstigt
die Rücksicht auf des Lesers Aufnahmefähig¬
keit. Dies kann zur Unoriginalitäl führen,
muß es freilich nicht. Und hier liegt der
zweite Vorzug des Buches. Es zeugt von
einem so tiefdringenden Mühen um d'e
Grundlagen moderner Naturwissenschaft, daß
aus ihrer Verschmelzung mit fern aristotelisch-
thomistischen Standpunkt etwas herausge¬
kommen ist, was auch undogmatisch gerichtete
Leser fesseln und bereichern kann.

Karl Jellinek, Das Weltengeheimnis. Vor¬
lesungen zur harmonischen Vereinigung
von Natur- und Geisteswissenschaft, Phi¬
losophie, Kunst und Religion. Mit 180
Textabbildungen. Verlag von Ferdinand
Ente, Stuttgart. 192l. Brosch. M. 70.—.

Ein vielwissender Naturforscher mit theo-
sophischer Neigung fleht die Zeit für ge¬
kommen, um eine Universalwissenschcist zu
gründen, welche Naturwissenschaft und
Weltanschauung, Forschung und Religion
vereinigt. So hat Jellinek ein für unsere
Zeit höchst bezeichnendes Werk geschaffen.
Welcher ordentliche Professor der Physikali¬
schen Chemie Hütte noch vor einem Jahrzehnt
ein Buch veröffentlichen können, das
zwischen chemische und biologische Fach¬
wissenschaft eingestreute Texte aus indi¬
schen Mystikern, Gebetsanrufungen, schwärme¬
risch ekstatische Ermahnungen an den Leser,
das neue Zeitalter des Geistes mitzugründen,
enthielte? Leider müssen wir gestehen, daß
Jellineks Verfahren die neue Zeit eher
schädigt als fördert. Zwar ist dieser auf
seinem Fachgebiet ernst zu nehmende Forscher
zugleich ein ausgezeichneter Pädagoge, wo
er die neuesten Ergebnisse und Theorien der
Wissenschaft vom unbelebten Stoff vorträgt.
Aber schon in den biologischen Wissenschaften
verrät er die Sucht, mit der durch strenges
Fachwissen über den Leser gewonnene Autori¬
tät diesen geschickt ins Reich der dämono-
logischen Phantasie zu locken. Die Geistes¬
und geschichtsphilosophischen Teile aber sind
von einer schwer zu ertragenden affektierten
Seichtigkeit, die der Urteilsfähigkeit der Theo-
sophen das denkbar ungünstigste Zeugnis
ausstellt. Die Illustration ist in den natur¬

[Spaltenumbruch]

wissenschaftlichen Teilen geschickt, technisch
glänzend und zugleich originell, mit großer
Gabe Pädagogischer Anschaulichkeit zusammen¬
gestellt; aber gerade dadurch ist sie gefähr¬
lich, weil sie unmerklich und bestechend den
naiven Leser in den theosophischen Irrgarten
herüberzieht. Für Halbgebildete muß das
Buch geradezu verheerend sein. Man sieht
hier, was herauskommt, wenn ein begabter
Weltbeglücker eine Aufgabe angreift, die dem
Philosophischen Genie, großen Führern und
Klärern vorbehalten bleiben müßte. Aber
als Volkshochschulpredigt, als Lösung aller
Wsltgeheimnisse, als aufgeregtes Beglückungs¬
rezept, verbunden mit hervorragendem Fach¬
wissen, wahrlich ein Zeichen unserer aus
dem Gleichgewicht geglittenen Zeit- Wir
haben also jetzt ein wissenschaftliches Priester-
tuml

Ludwig Kohl, Das Ziel deS Lebens im
Lichte der obersten physikalischen und biolo¬
gischen Naturgesetze. München. G. Müller.
1S21.

Ein Mathematiker und bekannter Erfinder,
zudem ein seinein Buch nach zu urteilen
warmherziger und tieffühlender Mensch glaubt
eine durchaus neue und weittragende Lösung
des Welträtsels ergrübelt zu haben. Das ist
das psychologische Problem des Buches, und
wenn das philosophische Interesse an ihm
beim Lesen rasch erkaltet, so fesselt doch das
Menschliche, das Zeit- und Geistesgeschichtliche
einigermaßen. Kohl ist Philosophisch wie
biologisch ein reiner Autodidakt und müht
sich schwerfällig und unter unlösbarsten
Anfängerverwechslungen um Probleme, die
z. B. sich bei Driesch oder Bcrgson im Ver¬
gleich zu ihrer Behandlung bei Kohl verhalten
wie eine Tonfolge zu einem bloßen Geräusch.
Weshalb hält sich der Rezensent dann über¬
haupt bei ihm auf? wird der Leser fragen.
Nun, nicht nur deshalb, weil es ein Zeichen
unserer Zeit ist, daß Spezialisten aller Zeichen
und Grade sich jetzt um Weltanschauung und
universal-konzentrische Darstellungen mühen,
(soweit sie nicht etwa egozentrische Memoiren
schreiben, übrigens giebt es zwischen beiden
einen Mischstil, der sogar bei Kohl anklingt).
Mehr noch: hinter den gedanklichen Un¬
beholfenheiten Kohls liegt eine große und

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339351"/>
            <fw type="header" place="top"> Bücherschau</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_777" prev="#ID_776"> Vorzug katholischer gelehrter Autoren ist.<lb/>
Die konservative Grundhaltung begünstigt<lb/>
die Rücksicht auf des Lesers Aufnahmefähig¬<lb/>
keit. Dies kann zur Unoriginalitäl führen,<lb/>
muß es freilich nicht. Und hier liegt der<lb/>
zweite Vorzug des Buches. Es zeugt von<lb/>
einem so tiefdringenden Mühen um d'e<lb/>
Grundlagen moderner Naturwissenschaft, daß<lb/>
aus ihrer Verschmelzung mit fern aristotelisch-<lb/>
thomistischen Standpunkt etwas herausge¬<lb/>
kommen ist, was auch undogmatisch gerichtete<lb/>
Leser fesseln und bereichern kann.</p>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Karl Jellinek, Das Weltengeheimnis. Vor¬<lb/>
lesungen zur harmonischen Vereinigung<lb/>
von Natur- und Geisteswissenschaft, Phi¬<lb/>
losophie, Kunst und Religion. Mit 180<lb/>
Textabbildungen. Verlag von Ferdinand<lb/>
Ente, Stuttgart. 192l. Brosch. M. 70.&#x2014;.</head>
            <p xml:id="ID_778" next="#ID_779"> Ein vielwissender Naturforscher mit theo-<lb/>
sophischer Neigung fleht die Zeit für ge¬<lb/>
kommen, um eine Universalwissenschcist zu<lb/>
gründen, welche Naturwissenschaft und<lb/>
Weltanschauung, Forschung und Religion<lb/>
vereinigt. So hat Jellinek ein für unsere<lb/>
Zeit höchst bezeichnendes Werk geschaffen.<lb/>
Welcher ordentliche Professor der Physikali¬<lb/>
schen Chemie Hütte noch vor einem Jahrzehnt<lb/>
ein Buch veröffentlichen können, das<lb/>
zwischen chemische und biologische Fach¬<lb/>
wissenschaft eingestreute Texte aus indi¬<lb/>
schen Mystikern, Gebetsanrufungen, schwärme¬<lb/>
risch ekstatische Ermahnungen an den Leser,<lb/>
das neue Zeitalter des Geistes mitzugründen,<lb/>
enthielte? Leider müssen wir gestehen, daß<lb/>
Jellineks Verfahren die neue Zeit eher<lb/>
schädigt als fördert. Zwar ist dieser auf<lb/>
seinem Fachgebiet ernst zu nehmende Forscher<lb/>
zugleich ein ausgezeichneter Pädagoge, wo<lb/>
er die neuesten Ergebnisse und Theorien der<lb/>
Wissenschaft vom unbelebten Stoff vorträgt.<lb/>
Aber schon in den biologischen Wissenschaften<lb/>
verrät er die Sucht, mit der durch strenges<lb/>
Fachwissen über den Leser gewonnene Autori¬<lb/>
tät diesen geschickt ins Reich der dämono-<lb/>
logischen Phantasie zu locken. Die Geistes¬<lb/>
und geschichtsphilosophischen Teile aber sind<lb/>
von einer schwer zu ertragenden affektierten<lb/>
Seichtigkeit, die der Urteilsfähigkeit der Theo-<lb/>
sophen das denkbar ungünstigste Zeugnis<lb/>
ausstellt.  Die Illustration ist in den natur¬</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_779" prev="#ID_778"> wissenschaftlichen Teilen geschickt, technisch<lb/>
glänzend und zugleich originell, mit großer<lb/>
Gabe Pädagogischer Anschaulichkeit zusammen¬<lb/>
gestellt; aber gerade dadurch ist sie gefähr¬<lb/>
lich, weil sie unmerklich und bestechend den<lb/>
naiven Leser in den theosophischen Irrgarten<lb/>
herüberzieht. Für Halbgebildete muß das<lb/>
Buch geradezu verheerend sein. Man sieht<lb/>
hier, was herauskommt, wenn ein begabter<lb/>
Weltbeglücker eine Aufgabe angreift, die dem<lb/>
Philosophischen Genie, großen Führern und<lb/>
Klärern vorbehalten bleiben müßte. Aber<lb/>
als Volkshochschulpredigt, als Lösung aller<lb/>
Wsltgeheimnisse, als aufgeregtes Beglückungs¬<lb/>
rezept, verbunden mit hervorragendem Fach¬<lb/>
wissen, wahrlich ein Zeichen unserer aus<lb/>
dem Gleichgewicht geglittenen Zeit- Wir<lb/>
haben also jetzt ein wissenschaftliches Priester-<lb/>
tuml</p>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Ludwig Kohl, Das Ziel deS Lebens im<lb/>
Lichte der obersten physikalischen und biolo¬<lb/>
gischen Naturgesetze. München. G. Müller.<lb/>
1S21.</head>
            <p xml:id="ID_780" next="#ID_781"> Ein Mathematiker und bekannter Erfinder,<lb/>
zudem ein seinein Buch nach zu urteilen<lb/>
warmherziger und tieffühlender Mensch glaubt<lb/>
eine durchaus neue und weittragende Lösung<lb/>
des Welträtsels ergrübelt zu haben. Das ist<lb/>
das psychologische Problem des Buches, und<lb/>
wenn das philosophische Interesse an ihm<lb/>
beim Lesen rasch erkaltet, so fesselt doch das<lb/>
Menschliche, das Zeit- und Geistesgeschichtliche<lb/>
einigermaßen. Kohl ist Philosophisch wie<lb/>
biologisch ein reiner Autodidakt und müht<lb/>
sich schwerfällig und unter unlösbarsten<lb/>
Anfängerverwechslungen um Probleme, die<lb/>
z. B. sich bei Driesch oder Bcrgson im Ver¬<lb/>
gleich zu ihrer Behandlung bei Kohl verhalten<lb/>
wie eine Tonfolge zu einem bloßen Geräusch.<lb/>
Weshalb hält sich der Rezensent dann über¬<lb/>
haupt bei ihm auf? wird der Leser fragen.<lb/>
Nun, nicht nur deshalb, weil es ein Zeichen<lb/>
unserer Zeit ist, daß Spezialisten aller Zeichen<lb/>
und Grade sich jetzt um Weltanschauung und<lb/>
universal-konzentrische Darstellungen mühen,<lb/>
(soweit sie nicht etwa egozentrische Memoiren<lb/>
schreiben, übrigens giebt es zwischen beiden<lb/>
einen Mischstil, der sogar bei Kohl anklingt).<lb/>
Mehr noch: hinter den gedanklichen Un¬<lb/>
beholfenheiten Kohls liegt eine große und</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Bücherschau Vorzug katholischer gelehrter Autoren ist. Die konservative Grundhaltung begünstigt die Rücksicht auf des Lesers Aufnahmefähig¬ keit. Dies kann zur Unoriginalitäl führen, muß es freilich nicht. Und hier liegt der zweite Vorzug des Buches. Es zeugt von einem so tiefdringenden Mühen um d'e Grundlagen moderner Naturwissenschaft, daß aus ihrer Verschmelzung mit fern aristotelisch- thomistischen Standpunkt etwas herausge¬ kommen ist, was auch undogmatisch gerichtete Leser fesseln und bereichern kann. Karl Jellinek, Das Weltengeheimnis. Vor¬ lesungen zur harmonischen Vereinigung von Natur- und Geisteswissenschaft, Phi¬ losophie, Kunst und Religion. Mit 180 Textabbildungen. Verlag von Ferdinand Ente, Stuttgart. 192l. Brosch. M. 70.—. Ein vielwissender Naturforscher mit theo- sophischer Neigung fleht die Zeit für ge¬ kommen, um eine Universalwissenschcist zu gründen, welche Naturwissenschaft und Weltanschauung, Forschung und Religion vereinigt. So hat Jellinek ein für unsere Zeit höchst bezeichnendes Werk geschaffen. Welcher ordentliche Professor der Physikali¬ schen Chemie Hütte noch vor einem Jahrzehnt ein Buch veröffentlichen können, das zwischen chemische und biologische Fach¬ wissenschaft eingestreute Texte aus indi¬ schen Mystikern, Gebetsanrufungen, schwärme¬ risch ekstatische Ermahnungen an den Leser, das neue Zeitalter des Geistes mitzugründen, enthielte? Leider müssen wir gestehen, daß Jellineks Verfahren die neue Zeit eher schädigt als fördert. Zwar ist dieser auf seinem Fachgebiet ernst zu nehmende Forscher zugleich ein ausgezeichneter Pädagoge, wo er die neuesten Ergebnisse und Theorien der Wissenschaft vom unbelebten Stoff vorträgt. Aber schon in den biologischen Wissenschaften verrät er die Sucht, mit der durch strenges Fachwissen über den Leser gewonnene Autori¬ tät diesen geschickt ins Reich der dämono- logischen Phantasie zu locken. Die Geistes¬ und geschichtsphilosophischen Teile aber sind von einer schwer zu ertragenden affektierten Seichtigkeit, die der Urteilsfähigkeit der Theo- sophen das denkbar ungünstigste Zeugnis ausstellt. Die Illustration ist in den natur¬ wissenschaftlichen Teilen geschickt, technisch glänzend und zugleich originell, mit großer Gabe Pädagogischer Anschaulichkeit zusammen¬ gestellt; aber gerade dadurch ist sie gefähr¬ lich, weil sie unmerklich und bestechend den naiven Leser in den theosophischen Irrgarten herüberzieht. Für Halbgebildete muß das Buch geradezu verheerend sein. Man sieht hier, was herauskommt, wenn ein begabter Weltbeglücker eine Aufgabe angreift, die dem Philosophischen Genie, großen Führern und Klärern vorbehalten bleiben müßte. Aber als Volkshochschulpredigt, als Lösung aller Wsltgeheimnisse, als aufgeregtes Beglückungs¬ rezept, verbunden mit hervorragendem Fach¬ wissen, wahrlich ein Zeichen unserer aus dem Gleichgewicht geglittenen Zeit- Wir haben also jetzt ein wissenschaftliches Priester- tuml Ludwig Kohl, Das Ziel deS Lebens im Lichte der obersten physikalischen und biolo¬ gischen Naturgesetze. München. G. Müller. 1S21. Ein Mathematiker und bekannter Erfinder, zudem ein seinein Buch nach zu urteilen warmherziger und tieffühlender Mensch glaubt eine durchaus neue und weittragende Lösung des Welträtsels ergrübelt zu haben. Das ist das psychologische Problem des Buches, und wenn das philosophische Interesse an ihm beim Lesen rasch erkaltet, so fesselt doch das Menschliche, das Zeit- und Geistesgeschichtliche einigermaßen. Kohl ist Philosophisch wie biologisch ein reiner Autodidakt und müht sich schwerfällig und unter unlösbarsten Anfängerverwechslungen um Probleme, die z. B. sich bei Driesch oder Bcrgson im Ver¬ gleich zu ihrer Behandlung bei Kohl verhalten wie eine Tonfolge zu einem bloßen Geräusch. Weshalb hält sich der Rezensent dann über¬ haupt bei ihm auf? wird der Leser fragen. Nun, nicht nur deshalb, weil es ein Zeichen unserer Zeit ist, daß Spezialisten aller Zeichen und Grade sich jetzt um Weltanschauung und universal-konzentrische Darstellungen mühen, (soweit sie nicht etwa egozentrische Memoiren schreiben, übrigens giebt es zwischen beiden einen Mischstil, der sogar bei Kohl anklingt). Mehr noch: hinter den gedanklichen Un¬ beholfenheiten Kohls liegt eine große und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/202>, abgerufen am 04.05.2024.