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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Die klagende Wissenschaft

T>le klagende Wissenschaft
Fritz Rem von
1.

war vor dem Krieg das Zentralorgan des Wissenschaft-
M^Z^^A neben Denkens der Welt. Man mißdeute diese Behauptung nicht
als chauvinistische Qberhebung. Kleine, allerdings auch nahever-
wandte Länder wie Holland, Schweden, Schweiz leisteten wissen-
schaftlich im Verhältnis mindestens ebensoviel. Große Gelehrte,
Entdecker, wissenschaftliche Persönlichkeiten und schufen gab es auch in den angel¬
sächsischen Ländern, Italien, Frankreich und sporadisch in den slawischen und
spanischen Kulturgebieten. Die Japaner hatten noch nichts schöpferisches ge¬
zeitigt, aber fügten sich als Gehilfen ein, in der Hoffnung, selbst einmal Meister
zu werden.

Trotzdem ist unser Eingangssatz richtig. Nicht nur, weil etwa 40 Prozent
aller wissenschaftlichen Erzeugung aus dem kleinen Deutschland kam, oder weil der
deutsche Gelehrte, ohne es absichtlich anzustreben, quantitativ und qualitativ die
internationalen wissenschaftlichen Unternehmungen regelmäßig führte. Sondern vor
allen Dingen: er war eben das biologische Zentralnervensystem des Gelehrten¬
körpers der Menschheit. An unsere Organisationen, Institute, Literatur schloß sich
auf den meisten Forschungsgebieten an, was sonst auf der Welt an der Erweiterung
der wissenschaftlichen Einsicht arbeitete. Mehr und mehr erwies sich dies für alle
als praktisch. Es war nicht immer so gewesen. Bis ins achtzehnte Jahrhundert
führten die Westmächte, wie politisch, so wissenschaftlich, Frankreich, England, die
Niederlande. Im neunzehnten Jahrhundert glitt die wissenschaftliche Führung auf
Deutschland hinüber, und da die Menschheit auf diesem Gebiet sichtbare und un¬
sichtbare Organisationen immer sucht, so gravitierte in steigendem Maß der orbis
erucktus um das Land, welches die dichteste und arbeitsfähigste wissenschaftliche
Energie besaß. Die Franzosen schrieben uns ab, ohne zu zitieren wo immer es
sich vermeiden ließ. Die Angelsachsen gaben uns auf diesem Gebiet die Ehre, mit
einem nicht ganz unberechtigten Instinkt dafür, daß Studium und Imperium sich
in etwas widersprächen und daß die gelehrte Einstellung, trotz ihrer großen wirt¬
schaftlichen Segnungen für Deutschland, doch die Ausbildung politischer Praxis
nicht begünstigte, so daß die Fruchtbarkeit Deutschlands an Forschern, Gelehrten,
Technikern, Wirtschaftlern die besten Köpfe von der Richtung auf Staat und Politik
eher abzog. Jedenfalls aber: niemand in der Welt konnte sich vorstellen, daß dieses
sich immer mehr spezialisierende wissenschaftliche Gehirn der Menschheit ausfiele
oder künstlich verwundet würde. Nur die Franzosen allein konnten dies wünschen,
weil ihnen alles, auch die Wissenschaft, zurücksteht hinter der Verkuppelung
Deutschlands.


2.

Ein Aufsatz von Dr. E. Wildhagen über "Die Not der deutschen Wissen¬
schaft" (Internationale Monatsschrift. Leipzig. Teubner 1921) gibt die er¬
schütternden Zahlen über die Gefahr, welche uns und die Menschheit im allge¬
meinen als eine erst allmählich zutage tretende Kriegsfolge bedroht. Er stellt zu¬
sammen, wie gerade unsere wertvollste literarische Erzeugung abgebunden wird.


Die klagende Wissenschaft

T>le klagende Wissenschaft
Fritz Rem von
1.

war vor dem Krieg das Zentralorgan des Wissenschaft-
M^Z^^A neben Denkens der Welt. Man mißdeute diese Behauptung nicht
als chauvinistische Qberhebung. Kleine, allerdings auch nahever-
wandte Länder wie Holland, Schweden, Schweiz leisteten wissen-
schaftlich im Verhältnis mindestens ebensoviel. Große Gelehrte,
Entdecker, wissenschaftliche Persönlichkeiten und schufen gab es auch in den angel¬
sächsischen Ländern, Italien, Frankreich und sporadisch in den slawischen und
spanischen Kulturgebieten. Die Japaner hatten noch nichts schöpferisches ge¬
zeitigt, aber fügten sich als Gehilfen ein, in der Hoffnung, selbst einmal Meister
zu werden.

Trotzdem ist unser Eingangssatz richtig. Nicht nur, weil etwa 40 Prozent
aller wissenschaftlichen Erzeugung aus dem kleinen Deutschland kam, oder weil der
deutsche Gelehrte, ohne es absichtlich anzustreben, quantitativ und qualitativ die
internationalen wissenschaftlichen Unternehmungen regelmäßig führte. Sondern vor
allen Dingen: er war eben das biologische Zentralnervensystem des Gelehrten¬
körpers der Menschheit. An unsere Organisationen, Institute, Literatur schloß sich
auf den meisten Forschungsgebieten an, was sonst auf der Welt an der Erweiterung
der wissenschaftlichen Einsicht arbeitete. Mehr und mehr erwies sich dies für alle
als praktisch. Es war nicht immer so gewesen. Bis ins achtzehnte Jahrhundert
führten die Westmächte, wie politisch, so wissenschaftlich, Frankreich, England, die
Niederlande. Im neunzehnten Jahrhundert glitt die wissenschaftliche Führung auf
Deutschland hinüber, und da die Menschheit auf diesem Gebiet sichtbare und un¬
sichtbare Organisationen immer sucht, so gravitierte in steigendem Maß der orbis
erucktus um das Land, welches die dichteste und arbeitsfähigste wissenschaftliche
Energie besaß. Die Franzosen schrieben uns ab, ohne zu zitieren wo immer es
sich vermeiden ließ. Die Angelsachsen gaben uns auf diesem Gebiet die Ehre, mit
einem nicht ganz unberechtigten Instinkt dafür, daß Studium und Imperium sich
in etwas widersprächen und daß die gelehrte Einstellung, trotz ihrer großen wirt¬
schaftlichen Segnungen für Deutschland, doch die Ausbildung politischer Praxis
nicht begünstigte, so daß die Fruchtbarkeit Deutschlands an Forschern, Gelehrten,
Technikern, Wirtschaftlern die besten Köpfe von der Richtung auf Staat und Politik
eher abzog. Jedenfalls aber: niemand in der Welt konnte sich vorstellen, daß dieses
sich immer mehr spezialisierende wissenschaftliche Gehirn der Menschheit ausfiele
oder künstlich verwundet würde. Nur die Franzosen allein konnten dies wünschen,
weil ihnen alles, auch die Wissenschaft, zurücksteht hinter der Verkuppelung
Deutschlands.


2.

Ein Aufsatz von Dr. E. Wildhagen über „Die Not der deutschen Wissen¬
schaft" (Internationale Monatsschrift. Leipzig. Teubner 1921) gibt die er¬
schütternden Zahlen über die Gefahr, welche uns und die Menschheit im allge¬
meinen als eine erst allmählich zutage tretende Kriegsfolge bedroht. Er stellt zu¬
sammen, wie gerade unsere wertvollste literarische Erzeugung abgebunden wird.


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[0224] Die klagende Wissenschaft T>le klagende Wissenschaft Fritz Rem von 1. war vor dem Krieg das Zentralorgan des Wissenschaft- M^Z^^A neben Denkens der Welt. Man mißdeute diese Behauptung nicht als chauvinistische Qberhebung. Kleine, allerdings auch nahever- wandte Länder wie Holland, Schweden, Schweiz leisteten wissen- schaftlich im Verhältnis mindestens ebensoviel. Große Gelehrte, Entdecker, wissenschaftliche Persönlichkeiten und schufen gab es auch in den angel¬ sächsischen Ländern, Italien, Frankreich und sporadisch in den slawischen und spanischen Kulturgebieten. Die Japaner hatten noch nichts schöpferisches ge¬ zeitigt, aber fügten sich als Gehilfen ein, in der Hoffnung, selbst einmal Meister zu werden. Trotzdem ist unser Eingangssatz richtig. Nicht nur, weil etwa 40 Prozent aller wissenschaftlichen Erzeugung aus dem kleinen Deutschland kam, oder weil der deutsche Gelehrte, ohne es absichtlich anzustreben, quantitativ und qualitativ die internationalen wissenschaftlichen Unternehmungen regelmäßig führte. Sondern vor allen Dingen: er war eben das biologische Zentralnervensystem des Gelehrten¬ körpers der Menschheit. An unsere Organisationen, Institute, Literatur schloß sich auf den meisten Forschungsgebieten an, was sonst auf der Welt an der Erweiterung der wissenschaftlichen Einsicht arbeitete. Mehr und mehr erwies sich dies für alle als praktisch. Es war nicht immer so gewesen. Bis ins achtzehnte Jahrhundert führten die Westmächte, wie politisch, so wissenschaftlich, Frankreich, England, die Niederlande. Im neunzehnten Jahrhundert glitt die wissenschaftliche Führung auf Deutschland hinüber, und da die Menschheit auf diesem Gebiet sichtbare und un¬ sichtbare Organisationen immer sucht, so gravitierte in steigendem Maß der orbis erucktus um das Land, welches die dichteste und arbeitsfähigste wissenschaftliche Energie besaß. Die Franzosen schrieben uns ab, ohne zu zitieren wo immer es sich vermeiden ließ. Die Angelsachsen gaben uns auf diesem Gebiet die Ehre, mit einem nicht ganz unberechtigten Instinkt dafür, daß Studium und Imperium sich in etwas widersprächen und daß die gelehrte Einstellung, trotz ihrer großen wirt¬ schaftlichen Segnungen für Deutschland, doch die Ausbildung politischer Praxis nicht begünstigte, so daß die Fruchtbarkeit Deutschlands an Forschern, Gelehrten, Technikern, Wirtschaftlern die besten Köpfe von der Richtung auf Staat und Politik eher abzog. Jedenfalls aber: niemand in der Welt konnte sich vorstellen, daß dieses sich immer mehr spezialisierende wissenschaftliche Gehirn der Menschheit ausfiele oder künstlich verwundet würde. Nur die Franzosen allein konnten dies wünschen, weil ihnen alles, auch die Wissenschaft, zurücksteht hinter der Verkuppelung Deutschlands. 2. Ein Aufsatz von Dr. E. Wildhagen über „Die Not der deutschen Wissen¬ schaft" (Internationale Monatsschrift. Leipzig. Teubner 1921) gibt die er¬ schütternden Zahlen über die Gefahr, welche uns und die Menschheit im allge¬ meinen als eine erst allmählich zutage tretende Kriegsfolge bedroht. Er stellt zu¬ sammen, wie gerade unsere wertvollste literarische Erzeugung abgebunden wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/224>, abgerufen am 04.05.2024.