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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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(Meyers Klassiker-Ausgaben). Verlag des
Bibliographischen Institutes A.-G., Leipzig
und Wien.

Der noch wenig bekannte Herausgeber
macht den Klassiker-Ausgaben des Biblio¬
graphischen Instituts Ehre und wird dem
jüngsten in dessen Reihe aufgenommenen
"Klassiker" in kritischer Liebe gerecht. Eine
feine, selbständige und aus eindringendster
Vertiefung gewonnene Kommentierung des
ganzen Werkes wie aller einzelnen Novellen
erleichtert und vertieft den Genuß der Dich¬
tungen. Nirgends stellt sich der sympathische
Herausgeber zwischen Dichter und Leser;
aber stets ist er zur Hand, um dort Aus¬
kunft zu geben, wo der Lofer nach Urdnung,
Erklärung, Verbindung verlangt. Die Texte
find sorgfältig nach oller Ausgaben ver¬
glichen. Ausgedehntes Wissen und korrekteste
Erschöpfung der literargeschichtlichen Fragen
breitet sich in den Anmerkungen aus. Die
Anordnung geht im allgemeinen in zeitlicher
Folge, doch hat der Verlag Sorge getragen,
daß in den ersten vier Bänden (in der
"kleinen Ausgabe") das allgemein Bekannte
vereinigt sei. Eine Ausgabe echter deutscher
Philologenkunst, gleich wertvoll für den
Forscher wie für das gebildete Haus. Hin¬
sichtlich der Ausstattung der Klassiker-Ausgaben
wäre zu wünschen, dasz der Verlag das
grämliche Kriegsgrau bald aufgebe und sich
einem Buchkünstler wie z. B. Tiemann in
Leipzig anvertraue.

Die Legende vom Großinquisitor. Von
Fjodor Dostojewskis, Deutsch von Alexander
Eliasberg. Furche-Verlag. Berlin. 1919.
Geheftet M. 1,50, geb. M. 3.

Das Prachtstück des Dostojewsskijschen
Schaffens wild hier zum erstenmal vollständig
übersetzt dem deutschen Publikum vorgelegt.
Es ist in der Auseinandersetzung zwischen
Religion und Priestertum ein großes Mani¬
fest; der Gewissenszwang erscheint hier ein¬
fach eine Erscheinung des Teufels Wider Gott.

Lettische Literatur: Band 1: I. Ramis,
Joseph und seine Brüder. Band S: K.
Skalbe, Wintermärchen. Band 3: N.
Blaumann, Die Jndrans. Band 4: I.
Akurater, Novellen. Band 6: R. Blau¬
mann. Novellen. Band 1 M. 22.S0, Band 2
[Spaltenumbruch]
M. 9.--. Band 3 M. 12.50, Band 4M. 8.--,
Band 6 M. 16.--. Riga. 1921. A.
Gulbis Verlag.

1. Das sehr ernst zu nehmende Drama
des lettischen Verfassers "Joseph und seine
Brüder" erfreut durch seinen lyrischen
Schwung wie durch die Schärfe der Charakter¬
zeichnung. Der Verfasser hält sich nicht durch
die Erzählungen des Alten Testaments sür
gebunden, sein Held erreicht die Verklärung
eines ägyptischen Kachemna, den sein
Schwiegervater Potiphar und die ideal ge¬
sinnte Gemahlin ehrfurchtsvoll ziehen lassen
(nachdem er seinen Brüdern, die er erst ver¬
derben wollte um der "Gerechtigkeit" willen)
verziehen hat, weil alle in dem freiwilligen
Tode Josephs die Selbstüberwindung des
Heiligen erkennen, der man nicht in den
Weg treten darf.

2. Die Wintermärchen enthüllen das tiefe
Gemüt des russisch-lettischen Volkes. Wenn
man diese kurzen, einfachen, innigen Erzäh¬
lungen liest, begreift man gar nicht, daß
dieselbe Bevölkerung, die ihnen lauscht
solcher Greueltaten, wie sie letzthin uns be¬
richtet worden sind, fähig ist.

3. "Die Jndrans" von R. Blaumann ist
die Leartragödie in einem Bauernhause.
Die milde, der Erblindung nahe Bäuerin
ruft Sohn und Schwiegertochter zur Über¬
nahme des Hofes und erleidet mit ihrem
Gatten die furchtbare Strafe für ihre
Familienliebe und mangelnde Menschen¬
kenntnis. Auch die Novellen desselben Ver¬
fassers tragen das Gepräge einer tief
empfindenden Persönlichkeit, die den ver¬
schiedenen Formen des Leides mit feinem
Spürsinn nachgeht, aber es bleibt beim
Lesen der in bäuerlichen Kreisen sich be¬
wegenden Schilderungen niemals ein widriger
Eindruck zurück, wie er sonst so oft nach der
Lektüre hochmoderner Schriftsteller entsteht.

4. Die drei Novellen Akuraters fesseln
durch ihre feine Naturbeobachtung und hohen
Reiz der Stimmung. An Handlung sind sie
arm, aber in ihrer Reinheit wieder ein be¬
merkenswertes Zeichen der Kraft deS letti¬
schen Geistes, der vielleicht dem deutschen
näher steht, als die Letten wahrhaben wollen
und als wir Deutschen wissen. A. v. H.

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(Meyers Klassiker-Ausgaben). Verlag des
Bibliographischen Institutes A.-G., Leipzig
und Wien.

Der noch wenig bekannte Herausgeber
macht den Klassiker-Ausgaben des Biblio¬
graphischen Instituts Ehre und wird dem
jüngsten in dessen Reihe aufgenommenen
„Klassiker" in kritischer Liebe gerecht. Eine
feine, selbständige und aus eindringendster
Vertiefung gewonnene Kommentierung des
ganzen Werkes wie aller einzelnen Novellen
erleichtert und vertieft den Genuß der Dich¬
tungen. Nirgends stellt sich der sympathische
Herausgeber zwischen Dichter und Leser;
aber stets ist er zur Hand, um dort Aus¬
kunft zu geben, wo der Lofer nach Urdnung,
Erklärung, Verbindung verlangt. Die Texte
find sorgfältig nach oller Ausgaben ver¬
glichen. Ausgedehntes Wissen und korrekteste
Erschöpfung der literargeschichtlichen Fragen
breitet sich in den Anmerkungen aus. Die
Anordnung geht im allgemeinen in zeitlicher
Folge, doch hat der Verlag Sorge getragen,
daß in den ersten vier Bänden (in der
„kleinen Ausgabe") das allgemein Bekannte
vereinigt sei. Eine Ausgabe echter deutscher
Philologenkunst, gleich wertvoll für den
Forscher wie für das gebildete Haus. Hin¬
sichtlich der Ausstattung der Klassiker-Ausgaben
wäre zu wünschen, dasz der Verlag das
grämliche Kriegsgrau bald aufgebe und sich
einem Buchkünstler wie z. B. Tiemann in
Leipzig anvertraue.

Die Legende vom Großinquisitor. Von
Fjodor Dostojewskis, Deutsch von Alexander
Eliasberg. Furche-Verlag. Berlin. 1919.
Geheftet M. 1,50, geb. M. 3.

Das Prachtstück des Dostojewsskijschen
Schaffens wild hier zum erstenmal vollständig
übersetzt dem deutschen Publikum vorgelegt.
Es ist in der Auseinandersetzung zwischen
Religion und Priestertum ein großes Mani¬
fest; der Gewissenszwang erscheint hier ein¬
fach eine Erscheinung des Teufels Wider Gott.

Lettische Literatur: Band 1: I. Ramis,
Joseph und seine Brüder. Band S: K.
Skalbe, Wintermärchen. Band 3: N.
Blaumann, Die Jndrans. Band 4: I.
Akurater, Novellen. Band 6: R. Blau¬
mann. Novellen. Band 1 M. 22.S0, Band 2
[Spaltenumbruch]
M. 9.—. Band 3 M. 12.50, Band 4M. 8.—,
Band 6 M. 16.—. Riga. 1921. A.
Gulbis Verlag.

1. Das sehr ernst zu nehmende Drama
des lettischen Verfassers „Joseph und seine
Brüder" erfreut durch seinen lyrischen
Schwung wie durch die Schärfe der Charakter¬
zeichnung. Der Verfasser hält sich nicht durch
die Erzählungen des Alten Testaments sür
gebunden, sein Held erreicht die Verklärung
eines ägyptischen Kachemna, den sein
Schwiegervater Potiphar und die ideal ge¬
sinnte Gemahlin ehrfurchtsvoll ziehen lassen
(nachdem er seinen Brüdern, die er erst ver¬
derben wollte um der „Gerechtigkeit" willen)
verziehen hat, weil alle in dem freiwilligen
Tode Josephs die Selbstüberwindung des
Heiligen erkennen, der man nicht in den
Weg treten darf.

2. Die Wintermärchen enthüllen das tiefe
Gemüt des russisch-lettischen Volkes. Wenn
man diese kurzen, einfachen, innigen Erzäh¬
lungen liest, begreift man gar nicht, daß
dieselbe Bevölkerung, die ihnen lauscht
solcher Greueltaten, wie sie letzthin uns be¬
richtet worden sind, fähig ist.

3. „Die Jndrans" von R. Blaumann ist
die Leartragödie in einem Bauernhause.
Die milde, der Erblindung nahe Bäuerin
ruft Sohn und Schwiegertochter zur Über¬
nahme des Hofes und erleidet mit ihrem
Gatten die furchtbare Strafe für ihre
Familienliebe und mangelnde Menschen¬
kenntnis. Auch die Novellen desselben Ver¬
fassers tragen das Gepräge einer tief
empfindenden Persönlichkeit, die den ver¬
schiedenen Formen des Leides mit feinem
Spürsinn nachgeht, aber es bleibt beim
Lesen der in bäuerlichen Kreisen sich be¬
wegenden Schilderungen niemals ein widriger
Eindruck zurück, wie er sonst so oft nach der
Lektüre hochmoderner Schriftsteller entsteht.

4. Die drei Novellen Akuraters fesseln
durch ihre feine Naturbeobachtung und hohen
Reiz der Stimmung. An Handlung sind sie
arm, aber in ihrer Reinheit wieder ein be¬
merkenswertes Zeichen der Kraft deS letti¬
schen Geistes, der vielleicht dem deutschen
näher steht, als die Letten wahrhaben wollen
und als wir Deutschen wissen. A. v. H.

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[0236] Bücherschau (Meyers Klassiker-Ausgaben). Verlag des Bibliographischen Institutes A.-G., Leipzig und Wien. Der noch wenig bekannte Herausgeber macht den Klassiker-Ausgaben des Biblio¬ graphischen Instituts Ehre und wird dem jüngsten in dessen Reihe aufgenommenen „Klassiker" in kritischer Liebe gerecht. Eine feine, selbständige und aus eindringendster Vertiefung gewonnene Kommentierung des ganzen Werkes wie aller einzelnen Novellen erleichtert und vertieft den Genuß der Dich¬ tungen. Nirgends stellt sich der sympathische Herausgeber zwischen Dichter und Leser; aber stets ist er zur Hand, um dort Aus¬ kunft zu geben, wo der Lofer nach Urdnung, Erklärung, Verbindung verlangt. Die Texte find sorgfältig nach oller Ausgaben ver¬ glichen. Ausgedehntes Wissen und korrekteste Erschöpfung der literargeschichtlichen Fragen breitet sich in den Anmerkungen aus. Die Anordnung geht im allgemeinen in zeitlicher Folge, doch hat der Verlag Sorge getragen, daß in den ersten vier Bänden (in der „kleinen Ausgabe") das allgemein Bekannte vereinigt sei. Eine Ausgabe echter deutscher Philologenkunst, gleich wertvoll für den Forscher wie für das gebildete Haus. Hin¬ sichtlich der Ausstattung der Klassiker-Ausgaben wäre zu wünschen, dasz der Verlag das grämliche Kriegsgrau bald aufgebe und sich einem Buchkünstler wie z. B. Tiemann in Leipzig anvertraue. Die Legende vom Großinquisitor. Von Fjodor Dostojewskis, Deutsch von Alexander Eliasberg. Furche-Verlag. Berlin. 1919. Geheftet M. 1,50, geb. M. 3. Das Prachtstück des Dostojewsskijschen Schaffens wild hier zum erstenmal vollständig übersetzt dem deutschen Publikum vorgelegt. Es ist in der Auseinandersetzung zwischen Religion und Priestertum ein großes Mani¬ fest; der Gewissenszwang erscheint hier ein¬ fach eine Erscheinung des Teufels Wider Gott. Lettische Literatur: Band 1: I. Ramis, Joseph und seine Brüder. Band S: K. Skalbe, Wintermärchen. Band 3: N. Blaumann, Die Jndrans. Band 4: I. Akurater, Novellen. Band 6: R. Blau¬ mann. Novellen. Band 1 M. 22.S0, Band 2 M. 9.—. Band 3 M. 12.50, Band 4M. 8.—, Band 6 M. 16.—. Riga. 1921. A. Gulbis Verlag. 1. Das sehr ernst zu nehmende Drama des lettischen Verfassers „Joseph und seine Brüder" erfreut durch seinen lyrischen Schwung wie durch die Schärfe der Charakter¬ zeichnung. Der Verfasser hält sich nicht durch die Erzählungen des Alten Testaments sür gebunden, sein Held erreicht die Verklärung eines ägyptischen Kachemna, den sein Schwiegervater Potiphar und die ideal ge¬ sinnte Gemahlin ehrfurchtsvoll ziehen lassen (nachdem er seinen Brüdern, die er erst ver¬ derben wollte um der „Gerechtigkeit" willen) verziehen hat, weil alle in dem freiwilligen Tode Josephs die Selbstüberwindung des Heiligen erkennen, der man nicht in den Weg treten darf. 2. Die Wintermärchen enthüllen das tiefe Gemüt des russisch-lettischen Volkes. Wenn man diese kurzen, einfachen, innigen Erzäh¬ lungen liest, begreift man gar nicht, daß dieselbe Bevölkerung, die ihnen lauscht solcher Greueltaten, wie sie letzthin uns be¬ richtet worden sind, fähig ist. 3. „Die Jndrans" von R. Blaumann ist die Leartragödie in einem Bauernhause. Die milde, der Erblindung nahe Bäuerin ruft Sohn und Schwiegertochter zur Über¬ nahme des Hofes und erleidet mit ihrem Gatten die furchtbare Strafe für ihre Familienliebe und mangelnde Menschen¬ kenntnis. Auch die Novellen desselben Ver¬ fassers tragen das Gepräge einer tief empfindenden Persönlichkeit, die den ver¬ schiedenen Formen des Leides mit feinem Spürsinn nachgeht, aber es bleibt beim Lesen der in bäuerlichen Kreisen sich be¬ wegenden Schilderungen niemals ein widriger Eindruck zurück, wie er sonst so oft nach der Lektüre hochmoderner Schriftsteller entsteht. 4. Die drei Novellen Akuraters fesseln durch ihre feine Naturbeobachtung und hohen Reiz der Stimmung. An Handlung sind sie arm, aber in ihrer Reinheit wieder ein be¬ merkenswertes Zeichen der Kraft deS letti¬ schen Geistes, der vielleicht dem deutschen näher steht, als die Letten wahrhaben wollen und als wir Deutschen wissen. A. v. H.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/236>, abgerufen am 04.05.2024.