Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Altes und neues Heer

Altes und neues Heer
einem jungen Frontoffizier vonV. Baltikumer
1.

Schauplatz: Ein kurländisches Schloß bei Windau. Von dem Waffensaal führen
drei grosze Flügeltüren, die mit der schwarz-weitz-roten Flagge und der deutschen Marine-
Kriegsflagge umwunden find, zur Terrasse. Von dort geht eine Buchenallee zum Ostsee¬
strand, den man vom Saal aus fleht. Rechts und links der Allee: Wiesen, an¬
schließend Wald.

Soldaten der Eisernen Division, der Baltischen Landeswehr, der Garde-Reserve-
Division, der Abteilung von Petersdorf und Marinesturmkompagnie. Die Leute sind feld¬
marschmäßig, aber ohne Kopfbedeckung. Soldaten und Gewehre tragen Fliederzweige.
Die baltischen und lettischen Mädchen haben Heckenrosen im Haar. Offiziere und Mann-
chaften in abgerissenen, schmutzigem Feldgrau.

Zeit: Frühsommer 1919.




Der braungetäfelte, buchenlaub- und fliedergeschmückte Waffensaal. An den Wänden
von schwerem Schnitzwerk umrahmte Ölbilder, zum Teil leere Nahmen. In den Ecken
Ritterrüstungen. Es ist Spätnachmittag. An den Wänden brennen Fackeln. Betäubender
Duft von Flieder und Riechessenz, von vergossenem Schnaps und Wein. In der Ecke
Militärmusik: Walzer und vor allem Militärmärsche, Körbe mit Wein. Ein Feldwebel
schenkt in Kaffeetassen Schnaps. Man spielt und tanzt einen Krakowiak:

Gardejäger:

labseits mit zwei Mädchen)
Erst küss' mich ... du... .
Nun du . . . Wie? Hab ich nicht Kraft, euch beide zu lieben? Wo ist das
Mädchen, das mir allein genügt? Ihr langhaarigen, zerbrechlichen Puppen I
Habt keine Rasse. Hei Müßt erst einmal Soldaten werden.

Der Kraftfahrer: Laß doch die Weiber. Komm mit mir. Wir
spielen Karten und saufen eins und heut nacht holen wir dem Bauern sein letztes
Schwein aus dem Stall.

Da geh' du nur allein!


Gardejäger:

Der Schütze: Still die MusikI Still, sag ich! Seht, dieser Schnaps

(Er schluckt den Inhalt einer Kaffeetasse)
ist das Leben. So nehmt das Leben.
Nur nicht nippen. Teufel ja, wir lieben das Leben. Sind seine Soldaten. Lacht
mir ein Mädchenauge, leb ich. Halt ich des Freundes Hand, so leb ich. Seh
ich das kurische Land, die weite See und den weißen Strand, seh ich die Sonne
als Feuerball dort drüben vergehen, so leb ich. Ja, noch kannte ich im Genuß,
schon ist er schal. Ich sehn mich nach dem nächsten. Das Leben treibt und
Peitsche uns selber fort. Hoho. Tanze, sag ich, singt und'tanzt und liebt und
sauft und lacht und alle lacht . . . Lacht über das Leben . . . lachtI Musik:
Der Bolschewikentanz!

(Sie formieren sich und tanzen unter Johlen, Pfeifen, Brüllen und Hackenstampfen
diesen russischen Tanz. Die letzten Strahlen des Abendroth vereinen sich mit dem Fackel¬
licht. Dann zieht die taghelle nordische Dämmerung auf, die bis zum Morgen anhält.)

Eine Gruppe mit einer Laute und Gitarre durchzieht den Saal und läßt sich auf
der Terrasse nieder. Die Musik im Saal schweigt.


Altes und neues Heer

Altes und neues Heer
einem jungen Frontoffizier vonV. Baltikumer
1.

Schauplatz: Ein kurländisches Schloß bei Windau. Von dem Waffensaal führen
drei grosze Flügeltüren, die mit der schwarz-weitz-roten Flagge und der deutschen Marine-
Kriegsflagge umwunden find, zur Terrasse. Von dort geht eine Buchenallee zum Ostsee¬
strand, den man vom Saal aus fleht. Rechts und links der Allee: Wiesen, an¬
schließend Wald.

Soldaten der Eisernen Division, der Baltischen Landeswehr, der Garde-Reserve-
Division, der Abteilung von Petersdorf und Marinesturmkompagnie. Die Leute sind feld¬
marschmäßig, aber ohne Kopfbedeckung. Soldaten und Gewehre tragen Fliederzweige.
Die baltischen und lettischen Mädchen haben Heckenrosen im Haar. Offiziere und Mann-
chaften in abgerissenen, schmutzigem Feldgrau.

Zeit: Frühsommer 1919.




Der braungetäfelte, buchenlaub- und fliedergeschmückte Waffensaal. An den Wänden
von schwerem Schnitzwerk umrahmte Ölbilder, zum Teil leere Nahmen. In den Ecken
Ritterrüstungen. Es ist Spätnachmittag. An den Wänden brennen Fackeln. Betäubender
Duft von Flieder und Riechessenz, von vergossenem Schnaps und Wein. In der Ecke
Militärmusik: Walzer und vor allem Militärmärsche, Körbe mit Wein. Ein Feldwebel
schenkt in Kaffeetassen Schnaps. Man spielt und tanzt einen Krakowiak:

Gardejäger:

labseits mit zwei Mädchen)
Erst küss' mich ... du... .
Nun du . . . Wie? Hab ich nicht Kraft, euch beide zu lieben? Wo ist das
Mädchen, das mir allein genügt? Ihr langhaarigen, zerbrechlichen Puppen I
Habt keine Rasse. Hei Müßt erst einmal Soldaten werden.

Der Kraftfahrer: Laß doch die Weiber. Komm mit mir. Wir
spielen Karten und saufen eins und heut nacht holen wir dem Bauern sein letztes
Schwein aus dem Stall.

Da geh' du nur allein!


Gardejäger:

Der Schütze: Still die MusikI Still, sag ich! Seht, dieser Schnaps

(Er schluckt den Inhalt einer Kaffeetasse)
ist das Leben. So nehmt das Leben.
Nur nicht nippen. Teufel ja, wir lieben das Leben. Sind seine Soldaten. Lacht
mir ein Mädchenauge, leb ich. Halt ich des Freundes Hand, so leb ich. Seh
ich das kurische Land, die weite See und den weißen Strand, seh ich die Sonne
als Feuerball dort drüben vergehen, so leb ich. Ja, noch kannte ich im Genuß,
schon ist er schal. Ich sehn mich nach dem nächsten. Das Leben treibt und
Peitsche uns selber fort. Hoho. Tanze, sag ich, singt und'tanzt und liebt und
sauft und lacht und alle lacht . . . Lacht über das Leben . . . lachtI Musik:
Der Bolschewikentanz!

(Sie formieren sich und tanzen unter Johlen, Pfeifen, Brüllen und Hackenstampfen
diesen russischen Tanz. Die letzten Strahlen des Abendroth vereinen sich mit dem Fackel¬
licht. Dann zieht die taghelle nordische Dämmerung auf, die bis zum Morgen anhält.)

Eine Gruppe mit einer Laute und Gitarre durchzieht den Saal und läßt sich auf
der Terrasse nieder. Die Musik im Saal schweigt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339440"/>
          <fw type="header" place="top"> Altes und neues Heer</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Altes und neues Heer<lb/><note type="byline"> einem jungen Frontoffizier</note> vonV. Baltikumer</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 1.</head><lb/>
            <stage>
              <p xml:id="ID_1142"> Schauplatz: Ein kurländisches Schloß bei Windau. Von dem Waffensaal führen<lb/>
drei grosze Flügeltüren, die mit der schwarz-weitz-roten Flagge und der deutschen Marine-<lb/>
Kriegsflagge umwunden find, zur Terrasse. Von dort geht eine Buchenallee zum Ostsee¬<lb/>
strand, den man vom Saal aus fleht. Rechts und links der Allee: Wiesen, an¬<lb/>
schließend Wald.</p>
              <p xml:id="ID_1143"> Soldaten der Eisernen Division, der Baltischen Landeswehr, der Garde-Reserve-<lb/>
Division, der Abteilung von Petersdorf und Marinesturmkompagnie. Die Leute sind feld¬<lb/>
marschmäßig, aber ohne Kopfbedeckung. Soldaten und Gewehre tragen Fliederzweige.<lb/>
Die baltischen und lettischen Mädchen haben Heckenrosen im Haar. Offiziere und Mann-<lb/>
chaften in abgerissenen, schmutzigem Feldgrau.</p>
              <p xml:id="ID_1144"> Zeit: Frühsommer 1919.</p>
            </stage><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <stage> Der braungetäfelte, buchenlaub- und fliedergeschmückte Waffensaal. An den Wänden<lb/>
von schwerem Schnitzwerk umrahmte Ölbilder, zum Teil leere Nahmen. In den Ecken<lb/>
Ritterrüstungen. Es ist Spätnachmittag. An den Wänden brennen Fackeln. Betäubender<lb/>
Duft von Flieder und Riechessenz, von vergossenem Schnaps und Wein. In der Ecke<lb/>
Militärmusik: Walzer und vor allem Militärmärsche, Körbe mit Wein. Ein Feldwebel<lb/>
schenkt in Kaffeetassen Schnaps. Man spielt und tanzt einen Krakowiak:</stage><lb/>
            <p xml:id="ID_1145"><note type="speaker"> Gardejäger: </note><stage> labseits mit zwei Mädchen)</stage> Erst küss' mich ... du... .<lb/>
Nun du . . . Wie? Hab ich nicht Kraft, euch beide zu lieben? Wo ist das<lb/>
Mädchen, das mir allein genügt? Ihr langhaarigen, zerbrechlichen Puppen I<lb/>
Habt keine Rasse. Hei Müßt erst einmal Soldaten werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1146"><note type="speaker"> Der Kraftfahrer:</note> Laß doch die Weiber. Komm mit mir. Wir<lb/>
spielen Karten und saufen eins und heut nacht holen wir dem Bauern sein letztes<lb/>
Schwein aus dem Stall.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1147"> Da geh' du nur allein!</p><lb/>
            <note type="speaker"> Gardejäger:</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1148"><note type="speaker"> Der Schütze:</note> Still die MusikI Still, sag ich! Seht, dieser Schnaps<lb/><stage> (Er schluckt den Inhalt einer Kaffeetasse)</stage> ist das Leben. So nehmt das Leben.<lb/>
Nur nicht nippen. Teufel ja, wir lieben das Leben. Sind seine Soldaten. Lacht<lb/>
mir ein Mädchenauge, leb ich. Halt ich des Freundes Hand, so leb ich. Seh<lb/>
ich das kurische Land, die weite See und den weißen Strand, seh ich die Sonne<lb/>
als Feuerball dort drüben vergehen, so leb ich. Ja, noch kannte ich im Genuß,<lb/>
schon ist er schal. Ich sehn mich nach dem nächsten. Das Leben treibt und<lb/>
Peitsche uns selber fort. Hoho. Tanze, sag ich, singt und'tanzt und liebt und<lb/>
sauft und lacht und alle lacht . . . Lacht über das Leben . . . lachtI Musik:<lb/>
Der Bolschewikentanz!</p><lb/>
            <stage>
              <p xml:id="ID_1149"> (Sie formieren sich und tanzen unter Johlen, Pfeifen, Brüllen und Hackenstampfen<lb/>
diesen russischen Tanz. Die letzten Strahlen des Abendroth vereinen sich mit dem Fackel¬<lb/>
licht. Dann zieht die taghelle nordische Dämmerung auf, die bis zum Morgen anhält.)</p>
              <p xml:id="ID_1150"> Eine Gruppe mit einer Laute und Gitarre durchzieht den Saal und läßt sich auf<lb/>
der Terrasse nieder. Die Musik im Saal schweigt.</p>
            </stage><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0291] Altes und neues Heer Altes und neues Heer einem jungen Frontoffizier vonV. Baltikumer 1. Schauplatz: Ein kurländisches Schloß bei Windau. Von dem Waffensaal führen drei grosze Flügeltüren, die mit der schwarz-weitz-roten Flagge und der deutschen Marine- Kriegsflagge umwunden find, zur Terrasse. Von dort geht eine Buchenallee zum Ostsee¬ strand, den man vom Saal aus fleht. Rechts und links der Allee: Wiesen, an¬ schließend Wald. Soldaten der Eisernen Division, der Baltischen Landeswehr, der Garde-Reserve- Division, der Abteilung von Petersdorf und Marinesturmkompagnie. Die Leute sind feld¬ marschmäßig, aber ohne Kopfbedeckung. Soldaten und Gewehre tragen Fliederzweige. Die baltischen und lettischen Mädchen haben Heckenrosen im Haar. Offiziere und Mann- chaften in abgerissenen, schmutzigem Feldgrau. Zeit: Frühsommer 1919. Der braungetäfelte, buchenlaub- und fliedergeschmückte Waffensaal. An den Wänden von schwerem Schnitzwerk umrahmte Ölbilder, zum Teil leere Nahmen. In den Ecken Ritterrüstungen. Es ist Spätnachmittag. An den Wänden brennen Fackeln. Betäubender Duft von Flieder und Riechessenz, von vergossenem Schnaps und Wein. In der Ecke Militärmusik: Walzer und vor allem Militärmärsche, Körbe mit Wein. Ein Feldwebel schenkt in Kaffeetassen Schnaps. Man spielt und tanzt einen Krakowiak: Gardejäger: labseits mit zwei Mädchen) Erst küss' mich ... du... . Nun du . . . Wie? Hab ich nicht Kraft, euch beide zu lieben? Wo ist das Mädchen, das mir allein genügt? Ihr langhaarigen, zerbrechlichen Puppen I Habt keine Rasse. Hei Müßt erst einmal Soldaten werden. Der Kraftfahrer: Laß doch die Weiber. Komm mit mir. Wir spielen Karten und saufen eins und heut nacht holen wir dem Bauern sein letztes Schwein aus dem Stall. Da geh' du nur allein! Gardejäger: Der Schütze: Still die MusikI Still, sag ich! Seht, dieser Schnaps (Er schluckt den Inhalt einer Kaffeetasse) ist das Leben. So nehmt das Leben. Nur nicht nippen. Teufel ja, wir lieben das Leben. Sind seine Soldaten. Lacht mir ein Mädchenauge, leb ich. Halt ich des Freundes Hand, so leb ich. Seh ich das kurische Land, die weite See und den weißen Strand, seh ich die Sonne als Feuerball dort drüben vergehen, so leb ich. Ja, noch kannte ich im Genuß, schon ist er schal. Ich sehn mich nach dem nächsten. Das Leben treibt und Peitsche uns selber fort. Hoho. Tanze, sag ich, singt und'tanzt und liebt und sauft und lacht und alle lacht . . . Lacht über das Leben . . . lachtI Musik: Der Bolschewikentanz! (Sie formieren sich und tanzen unter Johlen, Pfeifen, Brüllen und Hackenstampfen diesen russischen Tanz. Die letzten Strahlen des Abendroth vereinen sich mit dem Fackel¬ licht. Dann zieht die taghelle nordische Dämmerung auf, die bis zum Morgen anhält.) Eine Gruppe mit einer Laute und Gitarre durchzieht den Saal und läßt sich auf der Terrasse nieder. Die Musik im Saal schweigt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/291
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/291>, abgerufen am 04.05.2024.