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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Ausgegeben am


Jeder Staat soll die Bürgschaft seiner
Sicherheit allein in sich selber suchen.

Treitschke


9le Politik der Gntente in den Jahren M8 bis
Ein Beitrag zur Schuldfrage
Vrofessor Dr. Fritz Härtung von

le Frage nach der Schuld am Kriege ist eine Schicksalsfrage für das
deutsche Volk. Auf die Behauptung, daß Deutschland den Krieg
vorsätzlich herbeigeführt habe, stützt der Bund unserer Feinde den
Versailler Frieden, der nicht wie frühere Friedensschlüsse einen
Ausgleich unter den Machtverhältnissen der Staaten herbeiführen,
sondern Deutschland bestrafen und zur Strafe vernichten will; noch auf der Lon¬
doner Konferenz hat Lloyd George anerkannt, daß die wichtigsten Bestimmungen
des Friedens von der Schuldfrage abhängen.

Auch inncrpolitisch ist diese Frage von ungeheurer Tragweite; denn der
Hauptteil der Schuld, mit der unser altes Regierungssystem beladen sein soll, be¬
steht in der Annahme, daß es zur Erlangung der Weltherrschaft mit voller Absicht
auf den Krieg losgesteuert sei.

Unter diesen Umständen bedarf es Wohl keiner Rechtfertigung, wenn wir
Historiker die Schuldfrage nicht als Angelegenheit der Fachgelehrsamkeit im engen
Kreise behandeln, sondern das Interesse der Allgemeinheit dafür in Anspruch zu
nehmen wagen. Wir werden damit den methodischen Grundzügen unserer Wissen¬
schaft nicht untreu, wollen sie vielmehr gegenüber der Leidenschaft des politischen
Kampfes, dem es nicht um die Wahrheit, sondern um Verdammung des politischen
Gegners zu tun ist, wieder zur Geltung bringen. Wir erblicken unsere Aufgabe
nicht darin, möglichst rasch zu dem einfachen Ergebnis: schuldig oder unschuldig
zu gelangen, sondern wollen mit Rankcscher Objektivität zunächst nur ein Bild da¬
von geben^ "wie es eigentlich gewesen".


Grenzboten III 192t 19


Ausgegeben am


Jeder Staat soll die Bürgschaft seiner
Sicherheit allein in sich selber suchen.

Treitschke


9le Politik der Gntente in den Jahren M8 bis
Ein Beitrag zur Schuldfrage
Vrofessor Dr. Fritz Härtung von

le Frage nach der Schuld am Kriege ist eine Schicksalsfrage für das
deutsche Volk. Auf die Behauptung, daß Deutschland den Krieg
vorsätzlich herbeigeführt habe, stützt der Bund unserer Feinde den
Versailler Frieden, der nicht wie frühere Friedensschlüsse einen
Ausgleich unter den Machtverhältnissen der Staaten herbeiführen,
sondern Deutschland bestrafen und zur Strafe vernichten will; noch auf der Lon¬
doner Konferenz hat Lloyd George anerkannt, daß die wichtigsten Bestimmungen
des Friedens von der Schuldfrage abhängen.

Auch inncrpolitisch ist diese Frage von ungeheurer Tragweite; denn der
Hauptteil der Schuld, mit der unser altes Regierungssystem beladen sein soll, be¬
steht in der Annahme, daß es zur Erlangung der Weltherrschaft mit voller Absicht
auf den Krieg losgesteuert sei.

Unter diesen Umständen bedarf es Wohl keiner Rechtfertigung, wenn wir
Historiker die Schuldfrage nicht als Angelegenheit der Fachgelehrsamkeit im engen
Kreise behandeln, sondern das Interesse der Allgemeinheit dafür in Anspruch zu
nehmen wagen. Wir werden damit den methodischen Grundzügen unserer Wissen¬
schaft nicht untreu, wollen sie vielmehr gegenüber der Leidenschaft des politischen
Kampfes, dem es nicht um die Wahrheit, sondern um Verdammung des politischen
Gegners zu tun ist, wieder zur Geltung bringen. Wir erblicken unsere Aufgabe
nicht darin, möglichst rasch zu dem einfachen Ergebnis: schuldig oder unschuldig
zu gelangen, sondern wollen mit Rankcscher Objektivität zunächst nur ein Bild da¬
von geben^ „wie es eigentlich gewesen".


Grenzboten III 192t 19
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[0303] [Abbildung] Ausgegeben am Jeder Staat soll die Bürgschaft seiner Sicherheit allein in sich selber suchen. Treitschke 9le Politik der Gntente in den Jahren M8 bis Ein Beitrag zur Schuldfrage Vrofessor Dr. Fritz Härtung von le Frage nach der Schuld am Kriege ist eine Schicksalsfrage für das deutsche Volk. Auf die Behauptung, daß Deutschland den Krieg vorsätzlich herbeigeführt habe, stützt der Bund unserer Feinde den Versailler Frieden, der nicht wie frühere Friedensschlüsse einen Ausgleich unter den Machtverhältnissen der Staaten herbeiführen, sondern Deutschland bestrafen und zur Strafe vernichten will; noch auf der Lon¬ doner Konferenz hat Lloyd George anerkannt, daß die wichtigsten Bestimmungen des Friedens von der Schuldfrage abhängen. Auch inncrpolitisch ist diese Frage von ungeheurer Tragweite; denn der Hauptteil der Schuld, mit der unser altes Regierungssystem beladen sein soll, be¬ steht in der Annahme, daß es zur Erlangung der Weltherrschaft mit voller Absicht auf den Krieg losgesteuert sei. Unter diesen Umständen bedarf es Wohl keiner Rechtfertigung, wenn wir Historiker die Schuldfrage nicht als Angelegenheit der Fachgelehrsamkeit im engen Kreise behandeln, sondern das Interesse der Allgemeinheit dafür in Anspruch zu nehmen wagen. Wir werden damit den methodischen Grundzügen unserer Wissen¬ schaft nicht untreu, wollen sie vielmehr gegenüber der Leidenschaft des politischen Kampfes, dem es nicht um die Wahrheit, sondern um Verdammung des politischen Gegners zu tun ist, wieder zur Geltung bringen. Wir erblicken unsere Aufgabe nicht darin, möglichst rasch zu dem einfachen Ergebnis: schuldig oder unschuldig zu gelangen, sondern wollen mit Rankcscher Objektivität zunächst nur ein Bild da¬ von geben^ „wie es eigentlich gewesen". Grenzboten III 192t 19

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/303>, abgerufen am 04.05.2024.