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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Dantes Weltanschauung und das zwanzigste Jahrhundert

Dantes Weltanschauung
und das zwanzigste Jahrhundert
(Bei einer Dantefeier gesprochen)
Fritz Uern von

Im letzten Heft ging ein Artikel voraus, welcher
Dantes Dichtkunst und ihr Verhältnis zur Gegen¬
wart behandelte.

I.

s ist zurzeit wieder einmal eine Modewelle unter den Gebildeten,
sich dem Katholizismus anzuschließen. Diese Welle kehrt immer
wieder, wenn große Erschütterungen ruhesuchende und autoritäts¬
bedürftige Gemüter aus dem Gleichgewicht geworfen haben. Die
heutige Welle ähnelt darin der katholisierenden Bewegung nach
den Zeiten der französischen Revolution und Napoleons. Die schwachen Naturen,
die sich, angezogen von den mystischen und kultischen Kräften des Katholizismus,
heute freiwillig auch seinen priesterlich-rituellen Einrichtungen unterwerfen, haben
aber kein Recht, sich dabei auf Dante zu berufen. Denn dieser starke und selb¬
ständige Geist hat gerade aus seiner lebendigen Frömmigkeit heraus die Priester¬
herrschaft in ihrer damaligen kirchlichen Praxis und in ihren Übergriffen ins
Politische und Weltliche verurteilt und mit einer heiligen Leidenschaft bekämpft.
Er ist doch der größte Feind des zeitgenössischen Papsttums gewesen. Wo Dante
heute stände, kann natürlich niemand sagen. Jedenfalls aber hat er der Seelen¬
leitung durch Autoritäten nur einen vorläufigen Wert für die noch unmündige
Seele beigemessen, hat gesagt, daß Priesterfluch der Seele nicht den Weg ver¬
sperren könne zu Gott, "der alles annimmt, was sich zu ihm wendet", und hat die
Anmaßung des Papstes, daß er den Himmel auf- und zuschließen könne, gegeißelt.
Die Mystik, die noch heute das edelste Kleinod des Katholizismus ist, faßt Dante
nicht in unklar dämmernden, passivem Sinn, nicht in ästhetischem Zwielicht,
sondern ihm ist die mystische Gnade die Frucht eines aktiven, in evangelischer
Freiheit durchgeführten persönlichen Lebens zu Gott. Angesichts mancher Irr¬
tümer ist es einmal Zeit, daran zu erinnern, daß der mittelalterlich gläubige
Dichter in der vordersten Reihe der frommen Reformatoren des Katholizismus
steht, die von den Spiritualen späterhin über Wielif und Hus, über die Sekten
zu Luther geführt hat.

Die Weltanschauung, die wir heute erstreben müssen, kann nicht die einfache
Rückkehr zu einer Weltanschauung sein, die zwar großartige und dauernde Ein¬
richtungen bewahrt, aber sich im Laufe der Jahrhunderte gegen die Hereinnahme des
Neuen gewehrt und abgeschlossen hat. So einfach und so kraftlos ist unsere Aufgabe
nicht, und wenn wir wirklich, wie viele glauben, einem neuen Mittelalter entgegen¬
gehen, so kann es sich dabei nicht um ein Zurückschrauben in das historische
Mittelalter handeln, sondern nur um die Erringung des "Ewigen Mittelalters",
das heißt um die Gestaltung eines neuen Spiritualen Zeitalters in Ablösung des
materialistischen, dessen Trümmer uns rings umgeben, unter dessen wenig wohn¬
lichen Dach wir noch geboren sind.


Dantes Weltanschauung und das zwanzigste Jahrhundert

Dantes Weltanschauung
und das zwanzigste Jahrhundert
(Bei einer Dantefeier gesprochen)
Fritz Uern von

Im letzten Heft ging ein Artikel voraus, welcher
Dantes Dichtkunst und ihr Verhältnis zur Gegen¬
wart behandelte.

I.

s ist zurzeit wieder einmal eine Modewelle unter den Gebildeten,
sich dem Katholizismus anzuschließen. Diese Welle kehrt immer
wieder, wenn große Erschütterungen ruhesuchende und autoritäts¬
bedürftige Gemüter aus dem Gleichgewicht geworfen haben. Die
heutige Welle ähnelt darin der katholisierenden Bewegung nach
den Zeiten der französischen Revolution und Napoleons. Die schwachen Naturen,
die sich, angezogen von den mystischen und kultischen Kräften des Katholizismus,
heute freiwillig auch seinen priesterlich-rituellen Einrichtungen unterwerfen, haben
aber kein Recht, sich dabei auf Dante zu berufen. Denn dieser starke und selb¬
ständige Geist hat gerade aus seiner lebendigen Frömmigkeit heraus die Priester¬
herrschaft in ihrer damaligen kirchlichen Praxis und in ihren Übergriffen ins
Politische und Weltliche verurteilt und mit einer heiligen Leidenschaft bekämpft.
Er ist doch der größte Feind des zeitgenössischen Papsttums gewesen. Wo Dante
heute stände, kann natürlich niemand sagen. Jedenfalls aber hat er der Seelen¬
leitung durch Autoritäten nur einen vorläufigen Wert für die noch unmündige
Seele beigemessen, hat gesagt, daß Priesterfluch der Seele nicht den Weg ver¬
sperren könne zu Gott, „der alles annimmt, was sich zu ihm wendet", und hat die
Anmaßung des Papstes, daß er den Himmel auf- und zuschließen könne, gegeißelt.
Die Mystik, die noch heute das edelste Kleinod des Katholizismus ist, faßt Dante
nicht in unklar dämmernden, passivem Sinn, nicht in ästhetischem Zwielicht,
sondern ihm ist die mystische Gnade die Frucht eines aktiven, in evangelischer
Freiheit durchgeführten persönlichen Lebens zu Gott. Angesichts mancher Irr¬
tümer ist es einmal Zeit, daran zu erinnern, daß der mittelalterlich gläubige
Dichter in der vordersten Reihe der frommen Reformatoren des Katholizismus
steht, die von den Spiritualen späterhin über Wielif und Hus, über die Sekten
zu Luther geführt hat.

Die Weltanschauung, die wir heute erstreben müssen, kann nicht die einfache
Rückkehr zu einer Weltanschauung sein, die zwar großartige und dauernde Ein¬
richtungen bewahrt, aber sich im Laufe der Jahrhunderte gegen die Hereinnahme des
Neuen gewehrt und abgeschlossen hat. So einfach und so kraftlos ist unsere Aufgabe
nicht, und wenn wir wirklich, wie viele glauben, einem neuen Mittelalter entgegen¬
gehen, so kann es sich dabei nicht um ein Zurückschrauben in das historische
Mittelalter handeln, sondern nur um die Erringung des „Ewigen Mittelalters",
das heißt um die Gestaltung eines neuen Spiritualen Zeitalters in Ablösung des
materialistischen, dessen Trümmer uns rings umgeben, unter dessen wenig wohn¬
lichen Dach wir noch geboren sind.


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[0314] Dantes Weltanschauung und das zwanzigste Jahrhundert Dantes Weltanschauung und das zwanzigste Jahrhundert (Bei einer Dantefeier gesprochen) Fritz Uern von Im letzten Heft ging ein Artikel voraus, welcher Dantes Dichtkunst und ihr Verhältnis zur Gegen¬ wart behandelte. I. s ist zurzeit wieder einmal eine Modewelle unter den Gebildeten, sich dem Katholizismus anzuschließen. Diese Welle kehrt immer wieder, wenn große Erschütterungen ruhesuchende und autoritäts¬ bedürftige Gemüter aus dem Gleichgewicht geworfen haben. Die heutige Welle ähnelt darin der katholisierenden Bewegung nach den Zeiten der französischen Revolution und Napoleons. Die schwachen Naturen, die sich, angezogen von den mystischen und kultischen Kräften des Katholizismus, heute freiwillig auch seinen priesterlich-rituellen Einrichtungen unterwerfen, haben aber kein Recht, sich dabei auf Dante zu berufen. Denn dieser starke und selb¬ ständige Geist hat gerade aus seiner lebendigen Frömmigkeit heraus die Priester¬ herrschaft in ihrer damaligen kirchlichen Praxis und in ihren Übergriffen ins Politische und Weltliche verurteilt und mit einer heiligen Leidenschaft bekämpft. Er ist doch der größte Feind des zeitgenössischen Papsttums gewesen. Wo Dante heute stände, kann natürlich niemand sagen. Jedenfalls aber hat er der Seelen¬ leitung durch Autoritäten nur einen vorläufigen Wert für die noch unmündige Seele beigemessen, hat gesagt, daß Priesterfluch der Seele nicht den Weg ver¬ sperren könne zu Gott, „der alles annimmt, was sich zu ihm wendet", und hat die Anmaßung des Papstes, daß er den Himmel auf- und zuschließen könne, gegeißelt. Die Mystik, die noch heute das edelste Kleinod des Katholizismus ist, faßt Dante nicht in unklar dämmernden, passivem Sinn, nicht in ästhetischem Zwielicht, sondern ihm ist die mystische Gnade die Frucht eines aktiven, in evangelischer Freiheit durchgeführten persönlichen Lebens zu Gott. Angesichts mancher Irr¬ tümer ist es einmal Zeit, daran zu erinnern, daß der mittelalterlich gläubige Dichter in der vordersten Reihe der frommen Reformatoren des Katholizismus steht, die von den Spiritualen späterhin über Wielif und Hus, über die Sekten zu Luther geführt hat. Die Weltanschauung, die wir heute erstreben müssen, kann nicht die einfache Rückkehr zu einer Weltanschauung sein, die zwar großartige und dauernde Ein¬ richtungen bewahrt, aber sich im Laufe der Jahrhunderte gegen die Hereinnahme des Neuen gewehrt und abgeschlossen hat. So einfach und so kraftlos ist unsere Aufgabe nicht, und wenn wir wirklich, wie viele glauben, einem neuen Mittelalter entgegen¬ gehen, so kann es sich dabei nicht um ein Zurückschrauben in das historische Mittelalter handeln, sondern nur um die Erringung des „Ewigen Mittelalters", das heißt um die Gestaltung eines neuen Spiritualen Zeitalters in Ablösung des materialistischen, dessen Trümmer uns rings umgeben, unter dessen wenig wohn¬ lichen Dach wir noch geboren sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/314>, abgerufen am 04.05.2024.