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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Altes und neues Heer

oft überschlich. Aus alledem entstand Schritt für Schritt jene Feindschaft
zwischen Offizier und Deckoffizier, die auch das ganze Neichsmarineweroen beein¬
flußt; denn der Deckoffizier ist in seiner großen Mehrzahl der Hetzer gegen den
Offizier. Daß der Deckoffizier sachlich im Unrecht ist, zeigt das geschichtliche
Beispiel der französischen Marine, die nach der großen Revolution die monarchistischen
Offiziere beseitigte, und eine Deckoffiziersmarine schuf, deren Geist so schlecht und
ohne jede Initiative war, daß Napoleon I., trotzdem Material und Geld vor¬
handen waren, keine England ebenbürtige Flotte schaffen konnte.

Als weiteres Erbteil der alten Marine und der traditivnslossn Organi¬
sation ist das nervöse und hastige Arbeiten in der Marine anzusehen. Als Tirpitz
eine Flotte aus dem Boden stampfen mußte -- Tirpitz ist nur der Typ, den ein
aufsteigendes Deutschland schuf -- war das nicht anders möglich als durch höchste
Beanspruchung aller Kräfte. Diese Überanstrengung hat die Nerven der Marine¬
offiziere und übrigen Berufssoldaten so mitgenommen, daß sie wohl einen zwei-
jährigen wechselreichen Krieg, aber nicht einen vierjährigen monotonen durchhalten
konnten und den Boden für die Marinemeuterei bereitet. Das unruhige Ar¬
beiten steht ganz im Gegensatz zur Armee, wo systematische, stete Arbeit jahr¬
hundertelang gezüchtet wurde und schuf eine Organisationsmanie, aus der sich
die Marine auch heute noch nicht befreit hat.

Die bei der Marine notwendige Zentralpersonalwirtschaft, d. h., daß von
einem Sammelbecken die Mannschaften für die verschiedenen Schiffe, Küsten¬
befestigungen, Landmarineteile und Speziallaufbahnen verteilt werden und die
dadurch erforderliche Anhäufung großer Menschenmassen in Wilhelmshaven und
Kiel, die Schaffung von Niesenetappen, hat ebenfalls erst die Meuterei ermöglicht.
Man hat -- befangen in seiner Organisationsmanie -- aus diesen Erfahrungen
wenig gelernt und keine Mittel und Wege gefunden, die Zentralpersonalwirtschaft
der kleinen Reichsmarine anders zu organisieren.


II.

Das Reichsmarinewerden ist nur unter dem Gesichtspunkt der Marine¬
psychose, der mangelnden Marinetradition und der Nachwirkung der alten Marine
zu verstehen.

Marinsentrvicklunz in der Revolutionszeit

Der Feindbund fordert das Minensuchen. Die Republik wirbt unter Ver¬
sprechung maßlos hoher Löhne Freiwillige für den gefährlichen Dienst. Das
übelste Gelichter aus den deutschen Hafenstädten findet sich ein und wird bis zum
Sommer 1920 (nach dem Kapp-Pulses) der Mühlstein, den die junge Marine
mitschleppen muß. der eine Gesundung unmöglich werden läßt. Zum energischen
Umbau und Abbau findet sich die Marineleitung nicht bereit, weil sie die
Schwierigkeiten der Front nicht gelten lassen will. Die Unterführung allein ist
dazu nicht fähig, denn auch von den Offizieren haben sich nicht die Besten zu
diesem Dienst und zu diesen Leuten gemeldet, sondern die, -- aktive- wie Reserve¬
offiziere --, denen es hauptsächlich auf das Geld ankam.

In Wilhelmshaven und Kiel geht die Abwicklung der Kaiserlichen Marine
so langsam wie möglich vor sich, um den Matrosenraten und anderen Nutznießern


Altes und neues Heer

oft überschlich. Aus alledem entstand Schritt für Schritt jene Feindschaft
zwischen Offizier und Deckoffizier, die auch das ganze Neichsmarineweroen beein¬
flußt; denn der Deckoffizier ist in seiner großen Mehrzahl der Hetzer gegen den
Offizier. Daß der Deckoffizier sachlich im Unrecht ist, zeigt das geschichtliche
Beispiel der französischen Marine, die nach der großen Revolution die monarchistischen
Offiziere beseitigte, und eine Deckoffiziersmarine schuf, deren Geist so schlecht und
ohne jede Initiative war, daß Napoleon I., trotzdem Material und Geld vor¬
handen waren, keine England ebenbürtige Flotte schaffen konnte.

Als weiteres Erbteil der alten Marine und der traditivnslossn Organi¬
sation ist das nervöse und hastige Arbeiten in der Marine anzusehen. Als Tirpitz
eine Flotte aus dem Boden stampfen mußte — Tirpitz ist nur der Typ, den ein
aufsteigendes Deutschland schuf — war das nicht anders möglich als durch höchste
Beanspruchung aller Kräfte. Diese Überanstrengung hat die Nerven der Marine¬
offiziere und übrigen Berufssoldaten so mitgenommen, daß sie wohl einen zwei-
jährigen wechselreichen Krieg, aber nicht einen vierjährigen monotonen durchhalten
konnten und den Boden für die Marinemeuterei bereitet. Das unruhige Ar¬
beiten steht ganz im Gegensatz zur Armee, wo systematische, stete Arbeit jahr¬
hundertelang gezüchtet wurde und schuf eine Organisationsmanie, aus der sich
die Marine auch heute noch nicht befreit hat.

Die bei der Marine notwendige Zentralpersonalwirtschaft, d. h., daß von
einem Sammelbecken die Mannschaften für die verschiedenen Schiffe, Küsten¬
befestigungen, Landmarineteile und Speziallaufbahnen verteilt werden und die
dadurch erforderliche Anhäufung großer Menschenmassen in Wilhelmshaven und
Kiel, die Schaffung von Niesenetappen, hat ebenfalls erst die Meuterei ermöglicht.
Man hat — befangen in seiner Organisationsmanie — aus diesen Erfahrungen
wenig gelernt und keine Mittel und Wege gefunden, die Zentralpersonalwirtschaft
der kleinen Reichsmarine anders zu organisieren.


II.

Das Reichsmarinewerden ist nur unter dem Gesichtspunkt der Marine¬
psychose, der mangelnden Marinetradition und der Nachwirkung der alten Marine
zu verstehen.

Marinsentrvicklunz in der Revolutionszeit

Der Feindbund fordert das Minensuchen. Die Republik wirbt unter Ver¬
sprechung maßlos hoher Löhne Freiwillige für den gefährlichen Dienst. Das
übelste Gelichter aus den deutschen Hafenstädten findet sich ein und wird bis zum
Sommer 1920 (nach dem Kapp-Pulses) der Mühlstein, den die junge Marine
mitschleppen muß. der eine Gesundung unmöglich werden läßt. Zum energischen
Umbau und Abbau findet sich die Marineleitung nicht bereit, weil sie die
Schwierigkeiten der Front nicht gelten lassen will. Die Unterführung allein ist
dazu nicht fähig, denn auch von den Offizieren haben sich nicht die Besten zu
diesem Dienst und zu diesen Leuten gemeldet, sondern die, — aktive- wie Reserve¬
offiziere —, denen es hauptsächlich auf das Geld ankam.

In Wilhelmshaven und Kiel geht die Abwicklung der Kaiserlichen Marine
so langsam wie möglich vor sich, um den Matrosenraten und anderen Nutznießern


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[0156] Altes und neues Heer oft überschlich. Aus alledem entstand Schritt für Schritt jene Feindschaft zwischen Offizier und Deckoffizier, die auch das ganze Neichsmarineweroen beein¬ flußt; denn der Deckoffizier ist in seiner großen Mehrzahl der Hetzer gegen den Offizier. Daß der Deckoffizier sachlich im Unrecht ist, zeigt das geschichtliche Beispiel der französischen Marine, die nach der großen Revolution die monarchistischen Offiziere beseitigte, und eine Deckoffiziersmarine schuf, deren Geist so schlecht und ohne jede Initiative war, daß Napoleon I., trotzdem Material und Geld vor¬ handen waren, keine England ebenbürtige Flotte schaffen konnte. Als weiteres Erbteil der alten Marine und der traditivnslossn Organi¬ sation ist das nervöse und hastige Arbeiten in der Marine anzusehen. Als Tirpitz eine Flotte aus dem Boden stampfen mußte — Tirpitz ist nur der Typ, den ein aufsteigendes Deutschland schuf — war das nicht anders möglich als durch höchste Beanspruchung aller Kräfte. Diese Überanstrengung hat die Nerven der Marine¬ offiziere und übrigen Berufssoldaten so mitgenommen, daß sie wohl einen zwei- jährigen wechselreichen Krieg, aber nicht einen vierjährigen monotonen durchhalten konnten und den Boden für die Marinemeuterei bereitet. Das unruhige Ar¬ beiten steht ganz im Gegensatz zur Armee, wo systematische, stete Arbeit jahr¬ hundertelang gezüchtet wurde und schuf eine Organisationsmanie, aus der sich die Marine auch heute noch nicht befreit hat. Die bei der Marine notwendige Zentralpersonalwirtschaft, d. h., daß von einem Sammelbecken die Mannschaften für die verschiedenen Schiffe, Küsten¬ befestigungen, Landmarineteile und Speziallaufbahnen verteilt werden und die dadurch erforderliche Anhäufung großer Menschenmassen in Wilhelmshaven und Kiel, die Schaffung von Niesenetappen, hat ebenfalls erst die Meuterei ermöglicht. Man hat — befangen in seiner Organisationsmanie — aus diesen Erfahrungen wenig gelernt und keine Mittel und Wege gefunden, die Zentralpersonalwirtschaft der kleinen Reichsmarine anders zu organisieren. II. Das Reichsmarinewerden ist nur unter dem Gesichtspunkt der Marine¬ psychose, der mangelnden Marinetradition und der Nachwirkung der alten Marine zu verstehen. Marinsentrvicklunz in der Revolutionszeit Der Feindbund fordert das Minensuchen. Die Republik wirbt unter Ver¬ sprechung maßlos hoher Löhne Freiwillige für den gefährlichen Dienst. Das übelste Gelichter aus den deutschen Hafenstädten findet sich ein und wird bis zum Sommer 1920 (nach dem Kapp-Pulses) der Mühlstein, den die junge Marine mitschleppen muß. der eine Gesundung unmöglich werden läßt. Zum energischen Umbau und Abbau findet sich die Marineleitung nicht bereit, weil sie die Schwierigkeiten der Front nicht gelten lassen will. Die Unterführung allein ist dazu nicht fähig, denn auch von den Offizieren haben sich nicht die Besten zu diesem Dienst und zu diesen Leuten gemeldet, sondern die, — aktive- wie Reserve¬ offiziere —, denen es hauptsächlich auf das Geld ankam. In Wilhelmshaven und Kiel geht die Abwicklung der Kaiserlichen Marine so langsam wie möglich vor sich, um den Matrosenraten und anderen Nutznießern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/156>, abgerufen am 28.04.2024.