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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Altes und neues Heer

Zerbrochen liegt das Kaiserreich. Die Wankelmütigkeit seines Kaisers, die
Borniertheit seiner Höflinge, die Geldgier seines Parvenue-Bürgertums, die Ve"
bohrtheit seiner Führer: sie haben abgewirtschaftet. In meinem Herzen ist kein
Platz mehr für dies Ideal. Die Führerschicht hat versagt. Das Volk musz zur
Herrschaft. Neue frische Kräfte heran.

Ich denke an manchen meiner einfachen Soldaten. Ihr gesunder Sinn
schafft raschere Entschlüsse, als ein Korps von Gcheimräten. Einen aufblühenden
Volksstaat zu schützen und Kraft zu geben -- Herrgott, ist das nicht eine Auf
gäbe, wert, sein Leben, seinen Ruf einzusetzen und wert, ihn wider das Geschrei
der Kameraden von einst zu wahren? Keiner von ihnen wagt die Tradition zu
brechen! Ich will's I Fehlt doch in Deutschland nur der Soldatenführer, dessen
Lebenswerk aus tiefster Überzeugung der Schutz der Republik ist. Hinter den
Taten dieser weichlichen Republik muß die Macht des Schwertes stehen, dann
wird sie aufblühen und in kurzer Zeit sich Freunde werben.

Wir brauchen den General der Republik. Ich weiß es. Ich kann's.
Ich will's!"

Er geht zum Schreibtisch, greift nach der Feder und schreibt an den
Reichspräsidenten. Sein Blick fällt auf das Bild seines alten Regimentskomman¬
deurs. Auf das Bild mit der Widmung:

"Der Offizier lebt nicht sich, sondern dem Korps, mag der einzelne drunter
zerbrechen. -- Nicht der Revolution, sondern der Tradition', das vergessen heißt:
Sterbestunde des Standes."

Der General stiert auf das Bild. Erinnerungen der Leutnantszeit werden
wach. Aus der Schublade zieht er seinen Revolver.

"Leben ohne zu schaffen, kann ich nicht. Schaffen gegen ein heiliges
Gesetz will ich nicht!"

Den Blick fest auf den Spruch geheftet, das Auge klar und ruhig wie beim
Befehl vor der Schlacht: erschießt er sich. . . .


Der Volksoffizier.

" . . . Nun ist endlich meine Sehnsucht in Er¬
füllung gegangen, die Sehnsucht von 20 Jahren: nun bin ich Leutnant! Dank
der Revolution! Zwar begegne ich oft einem heimlichen Lächeln meiner Leute,
wenn sie ihren alten weißhaarigen Leutnant sehen, wenn er unwillkürlich vom
Offizierston in derben Unteroffizierston verfällt. Zwar schweigen die Herren
Kameraden, die vornehmen Herren, wenn ich ins Kasino komme, aber: ich bin
Leutnant!!

Nun war ich auf Kursus. Man hat mir in meinen alten Kopf Mathematik,
Französisch. Englisch hineingepfropft. Keine Nacht vor 2 Uhr kam ich ins Bett.
Und als die Prüfung kam, da machten die jungen Herren es spielend, sie, die
meist auf ihren Pferden durch die Heide jagten, für die die Arbeit Nebensache
war, und ich -- siel durch.

Als Kompagniefeldwebel war ich ein kleiner König. Jetzt als Leutnant
fange ich an, wo ich vor 20 Jahren begonnen habe: Ich bilde 20 Rekruten aus.
Deshalb, nein deshalb wollte ich nicht Leutnant werden.


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Altes und neues Heer

Zerbrochen liegt das Kaiserreich. Die Wankelmütigkeit seines Kaisers, die
Borniertheit seiner Höflinge, die Geldgier seines Parvenue-Bürgertums, die Ve»
bohrtheit seiner Führer: sie haben abgewirtschaftet. In meinem Herzen ist kein
Platz mehr für dies Ideal. Die Führerschicht hat versagt. Das Volk musz zur
Herrschaft. Neue frische Kräfte heran.

Ich denke an manchen meiner einfachen Soldaten. Ihr gesunder Sinn
schafft raschere Entschlüsse, als ein Korps von Gcheimräten. Einen aufblühenden
Volksstaat zu schützen und Kraft zu geben — Herrgott, ist das nicht eine Auf
gäbe, wert, sein Leben, seinen Ruf einzusetzen und wert, ihn wider das Geschrei
der Kameraden von einst zu wahren? Keiner von ihnen wagt die Tradition zu
brechen! Ich will's I Fehlt doch in Deutschland nur der Soldatenführer, dessen
Lebenswerk aus tiefster Überzeugung der Schutz der Republik ist. Hinter den
Taten dieser weichlichen Republik muß die Macht des Schwertes stehen, dann
wird sie aufblühen und in kurzer Zeit sich Freunde werben.

Wir brauchen den General der Republik. Ich weiß es. Ich kann's.
Ich will's!"

Er geht zum Schreibtisch, greift nach der Feder und schreibt an den
Reichspräsidenten. Sein Blick fällt auf das Bild seines alten Regimentskomman¬
deurs. Auf das Bild mit der Widmung:

„Der Offizier lebt nicht sich, sondern dem Korps, mag der einzelne drunter
zerbrechen. — Nicht der Revolution, sondern der Tradition', das vergessen heißt:
Sterbestunde des Standes."

Der General stiert auf das Bild. Erinnerungen der Leutnantszeit werden
wach. Aus der Schublade zieht er seinen Revolver.

„Leben ohne zu schaffen, kann ich nicht. Schaffen gegen ein heiliges
Gesetz will ich nicht!"

Den Blick fest auf den Spruch geheftet, das Auge klar und ruhig wie beim
Befehl vor der Schlacht: erschießt er sich. . . .


Der Volksoffizier.

„ . . . Nun ist endlich meine Sehnsucht in Er¬
füllung gegangen, die Sehnsucht von 20 Jahren: nun bin ich Leutnant! Dank
der Revolution! Zwar begegne ich oft einem heimlichen Lächeln meiner Leute,
wenn sie ihren alten weißhaarigen Leutnant sehen, wenn er unwillkürlich vom
Offizierston in derben Unteroffizierston verfällt. Zwar schweigen die Herren
Kameraden, die vornehmen Herren, wenn ich ins Kasino komme, aber: ich bin
Leutnant!!

Nun war ich auf Kursus. Man hat mir in meinen alten Kopf Mathematik,
Französisch. Englisch hineingepfropft. Keine Nacht vor 2 Uhr kam ich ins Bett.
Und als die Prüfung kam, da machten die jungen Herren es spielend, sie, die
meist auf ihren Pferden durch die Heide jagten, für die die Arbeit Nebensache
war, und ich — siel durch.

Als Kompagniefeldwebel war ich ein kleiner König. Jetzt als Leutnant
fange ich an, wo ich vor 20 Jahren begonnen habe: Ich bilde 20 Rekruten aus.
Deshalb, nein deshalb wollte ich nicht Leutnant werden.


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[0251] Altes und neues Heer Zerbrochen liegt das Kaiserreich. Die Wankelmütigkeit seines Kaisers, die Borniertheit seiner Höflinge, die Geldgier seines Parvenue-Bürgertums, die Ve» bohrtheit seiner Führer: sie haben abgewirtschaftet. In meinem Herzen ist kein Platz mehr für dies Ideal. Die Führerschicht hat versagt. Das Volk musz zur Herrschaft. Neue frische Kräfte heran. Ich denke an manchen meiner einfachen Soldaten. Ihr gesunder Sinn schafft raschere Entschlüsse, als ein Korps von Gcheimräten. Einen aufblühenden Volksstaat zu schützen und Kraft zu geben — Herrgott, ist das nicht eine Auf gäbe, wert, sein Leben, seinen Ruf einzusetzen und wert, ihn wider das Geschrei der Kameraden von einst zu wahren? Keiner von ihnen wagt die Tradition zu brechen! Ich will's I Fehlt doch in Deutschland nur der Soldatenführer, dessen Lebenswerk aus tiefster Überzeugung der Schutz der Republik ist. Hinter den Taten dieser weichlichen Republik muß die Macht des Schwertes stehen, dann wird sie aufblühen und in kurzer Zeit sich Freunde werben. Wir brauchen den General der Republik. Ich weiß es. Ich kann's. Ich will's!" Er geht zum Schreibtisch, greift nach der Feder und schreibt an den Reichspräsidenten. Sein Blick fällt auf das Bild seines alten Regimentskomman¬ deurs. Auf das Bild mit der Widmung: „Der Offizier lebt nicht sich, sondern dem Korps, mag der einzelne drunter zerbrechen. — Nicht der Revolution, sondern der Tradition', das vergessen heißt: Sterbestunde des Standes." Der General stiert auf das Bild. Erinnerungen der Leutnantszeit werden wach. Aus der Schublade zieht er seinen Revolver. „Leben ohne zu schaffen, kann ich nicht. Schaffen gegen ein heiliges Gesetz will ich nicht!" Den Blick fest auf den Spruch geheftet, das Auge klar und ruhig wie beim Befehl vor der Schlacht: erschießt er sich. . . . Der Volksoffizier. „ . . . Nun ist endlich meine Sehnsucht in Er¬ füllung gegangen, die Sehnsucht von 20 Jahren: nun bin ich Leutnant! Dank der Revolution! Zwar begegne ich oft einem heimlichen Lächeln meiner Leute, wenn sie ihren alten weißhaarigen Leutnant sehen, wenn er unwillkürlich vom Offizierston in derben Unteroffizierston verfällt. Zwar schweigen die Herren Kameraden, die vornehmen Herren, wenn ich ins Kasino komme, aber: ich bin Leutnant!! Nun war ich auf Kursus. Man hat mir in meinen alten Kopf Mathematik, Französisch. Englisch hineingepfropft. Keine Nacht vor 2 Uhr kam ich ins Bett. Und als die Prüfung kam, da machten die jungen Herren es spielend, sie, die meist auf ihren Pferden durch die Heide jagten, für die die Arbeit Nebensache war, und ich — siel durch. Als Kompagniefeldwebel war ich ein kleiner König. Jetzt als Leutnant fange ich an, wo ich vor 20 Jahren begonnen habe: Ich bilde 20 Rekruten aus. Deshalb, nein deshalb wollte ich nicht Leutnant werden. 1«'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/251>, abgerufen am 28.04.2024.