Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Altes und neues Heer

Herzens unter der Wucht des täglichen Kleinkampfes um den Kleinkram alle
großen Gesichtspunkte seines Berufes und der Erziehung und Ausbildung der
Soldaten verloren gehen sieht, sind so gering, daß eine tiefe Enttäuschung und
Erbitterung unter den Besten herrscht: Kappdämmerung.

Jedoch -- das Ziel der Republik, den Einfluß der monarchistischen Offiziere
zu mindern, wird erreicht. Die Truppe wird zwar militärisch schlecht, aber in
ruhigen Zeiten regierungstreu. In kritischen Tagen jedoch, bei einer Gegen¬
revolution, wird sie -- bar jedes selbstlosen altpreußischen Pflichtgefühls --
fragend beiseite stehen: wer bietet mehr?

Kappdämmerung.


Baltikumerabgescmg

Die Bermondtfront bricht unter dem Mangel an Geld, Proviant, Waffen,
Munition, tüchtigen Generalstäblern und kampferfahrenen Offizieren zusammen,
nachdem kein politisches Fundament zustande gekommen ist, das dieses Abenteuer
sanktioniert. Vor dem ruhmvollen Rückzug der deutschen Soldaten, die hungernd,
frierend, ohne Schuhzeug, in zusammengestoppelten Uniformen, sich zäh und mit
teutonischem Mut zur Heimat durchschlagen, verblassen alle Ausschreitungen des
Landsknechtgeistes. Noch einmal flammt, mit der Erinnerung an vierjährige
Siege, deutsches Kraftbewußtsein auf, Furcht und Achtung weckend, wenn es
heißt: "die Deutschen kommen." Stilles Heldentum und tiefe Kameradschaft
leuchten in jenen Tagen des Unglücks nur der Not. Die Tragödie im Baltikum
bringt Zehntausenden bitterste Not und Enttäuschung, und das Ende jener Sehn¬
sucht, die ein Stück Land, und sei es noch so klein, besitzen will. Unter den
Trümmern der Bermondtfront wird auch das Deutschbaltentum auf Jahrzehnte
verschüttet, bis Reichsdeutschland es wieder erstehen lassen wird.

Auf die Rücken der Baltikumer trommeln die Maschinengewehre der
Bolschewiken und Letten. Die haßerfüllte Fratze des lettischen Arbeiters grinst
an seiner Seite und heimtückisch knallt die Franktireurflinte die Befreier vom
Bolschewismus nieder. Im Westen aber steht mit einem höhnischen Zug um den
Mund das kalte mitleidslose Antlitz der Heimat.

In deutschen Lagern untergebracht, Entbehrungen ausgesetzt, das Schreck¬
gespenst der Arbeitslosigkeit vor Augen, beschäftigungslos hinter Stacheldraht
gepfercht, die goldene Freiheit der ersten Kurlandszeit in Erinnerung -- verwildern
die Truppenteile und ihr Haß gegen die Republik, die sie in Kurland im Stich
ließ, die Verbitterung über die augenblickliche und künftige ungenügende Ver¬
sorgung, schmieden Baltikumer-Offizier und -Soldat zu Schicksalskameraden.




Dies einige der außergewöhnlichen Soldatentypen, die zusammenzu¬
schweißen, Aufgabe der Winterarbeit des Jahres 1919/20 wird. Der Schein¬
erfolg einer ersten Festigung der Wehrmacht, zusammen mit den sich bald
einstellenden Miß ständen, hervorgerufen durch die schwierige Lage der Repu¬
blik, und durch die im Innersten aufgewühlten und nervösen, in Spannung leben¬
den Menschen, -- Offiziere wie Soldaten -- glaubt die Gegenrevolution benutzen
zu können: Kappdämmerung.


Altes und neues Heer

Herzens unter der Wucht des täglichen Kleinkampfes um den Kleinkram alle
großen Gesichtspunkte seines Berufes und der Erziehung und Ausbildung der
Soldaten verloren gehen sieht, sind so gering, daß eine tiefe Enttäuschung und
Erbitterung unter den Besten herrscht: Kappdämmerung.

Jedoch — das Ziel der Republik, den Einfluß der monarchistischen Offiziere
zu mindern, wird erreicht. Die Truppe wird zwar militärisch schlecht, aber in
ruhigen Zeiten regierungstreu. In kritischen Tagen jedoch, bei einer Gegen¬
revolution, wird sie — bar jedes selbstlosen altpreußischen Pflichtgefühls —
fragend beiseite stehen: wer bietet mehr?

Kappdämmerung.


Baltikumerabgescmg

Die Bermondtfront bricht unter dem Mangel an Geld, Proviant, Waffen,
Munition, tüchtigen Generalstäblern und kampferfahrenen Offizieren zusammen,
nachdem kein politisches Fundament zustande gekommen ist, das dieses Abenteuer
sanktioniert. Vor dem ruhmvollen Rückzug der deutschen Soldaten, die hungernd,
frierend, ohne Schuhzeug, in zusammengestoppelten Uniformen, sich zäh und mit
teutonischem Mut zur Heimat durchschlagen, verblassen alle Ausschreitungen des
Landsknechtgeistes. Noch einmal flammt, mit der Erinnerung an vierjährige
Siege, deutsches Kraftbewußtsein auf, Furcht und Achtung weckend, wenn es
heißt: „die Deutschen kommen." Stilles Heldentum und tiefe Kameradschaft
leuchten in jenen Tagen des Unglücks nur der Not. Die Tragödie im Baltikum
bringt Zehntausenden bitterste Not und Enttäuschung, und das Ende jener Sehn¬
sucht, die ein Stück Land, und sei es noch so klein, besitzen will. Unter den
Trümmern der Bermondtfront wird auch das Deutschbaltentum auf Jahrzehnte
verschüttet, bis Reichsdeutschland es wieder erstehen lassen wird.

Auf die Rücken der Baltikumer trommeln die Maschinengewehre der
Bolschewiken und Letten. Die haßerfüllte Fratze des lettischen Arbeiters grinst
an seiner Seite und heimtückisch knallt die Franktireurflinte die Befreier vom
Bolschewismus nieder. Im Westen aber steht mit einem höhnischen Zug um den
Mund das kalte mitleidslose Antlitz der Heimat.

In deutschen Lagern untergebracht, Entbehrungen ausgesetzt, das Schreck¬
gespenst der Arbeitslosigkeit vor Augen, beschäftigungslos hinter Stacheldraht
gepfercht, die goldene Freiheit der ersten Kurlandszeit in Erinnerung — verwildern
die Truppenteile und ihr Haß gegen die Republik, die sie in Kurland im Stich
ließ, die Verbitterung über die augenblickliche und künftige ungenügende Ver¬
sorgung, schmieden Baltikumer-Offizier und -Soldat zu Schicksalskameraden.




Dies einige der außergewöhnlichen Soldatentypen, die zusammenzu¬
schweißen, Aufgabe der Winterarbeit des Jahres 1919/20 wird. Der Schein¬
erfolg einer ersten Festigung der Wehrmacht, zusammen mit den sich bald
einstellenden Miß ständen, hervorgerufen durch die schwierige Lage der Repu¬
blik, und durch die im Innersten aufgewühlten und nervösen, in Spannung leben¬
den Menschen, — Offiziere wie Soldaten — glaubt die Gegenrevolution benutzen
zu können: Kappdämmerung.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339582"/>
            <fw type="header" place="top"> Altes und neues Heer</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_115" prev="#ID_114"> Herzens unter der Wucht des täglichen Kleinkampfes um den Kleinkram alle<lb/>
großen Gesichtspunkte seines Berufes und der Erziehung und Ausbildung der<lb/>
Soldaten verloren gehen sieht, sind so gering, daß eine tiefe Enttäuschung und<lb/>
Erbitterung unter den Besten herrscht: Kappdämmerung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_116"> Jedoch &#x2014; das Ziel der Republik, den Einfluß der monarchistischen Offiziere<lb/>
zu mindern, wird erreicht. Die Truppe wird zwar militärisch schlecht, aber in<lb/>
ruhigen Zeiten regierungstreu. In kritischen Tagen jedoch, bei einer Gegen¬<lb/>
revolution, wird sie &#x2014; bar jedes selbstlosen altpreußischen Pflichtgefühls &#x2014;<lb/>
fragend beiseite stehen: wer bietet mehr?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_117"> Kappdämmerung.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Baltikumerabgescmg</head><lb/>
            <p xml:id="ID_118"> Die Bermondtfront bricht unter dem Mangel an Geld, Proviant, Waffen,<lb/>
Munition, tüchtigen Generalstäblern und kampferfahrenen Offizieren zusammen,<lb/>
nachdem kein politisches Fundament zustande gekommen ist, das dieses Abenteuer<lb/>
sanktioniert. Vor dem ruhmvollen Rückzug der deutschen Soldaten, die hungernd,<lb/>
frierend, ohne Schuhzeug, in zusammengestoppelten Uniformen, sich zäh und mit<lb/>
teutonischem Mut zur Heimat durchschlagen, verblassen alle Ausschreitungen des<lb/>
Landsknechtgeistes. Noch einmal flammt, mit der Erinnerung an vierjährige<lb/>
Siege, deutsches Kraftbewußtsein auf, Furcht und Achtung weckend, wenn es<lb/>
heißt: &#x201E;die Deutschen kommen." Stilles Heldentum und tiefe Kameradschaft<lb/>
leuchten in jenen Tagen des Unglücks nur der Not. Die Tragödie im Baltikum<lb/>
bringt Zehntausenden bitterste Not und Enttäuschung, und das Ende jener Sehn¬<lb/>
sucht, die ein Stück Land, und sei es noch so klein, besitzen will. Unter den<lb/>
Trümmern der Bermondtfront wird auch das Deutschbaltentum auf Jahrzehnte<lb/>
verschüttet, bis Reichsdeutschland es wieder erstehen lassen wird.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_119"> Auf die Rücken der Baltikumer trommeln die Maschinengewehre der<lb/>
Bolschewiken und Letten. Die haßerfüllte Fratze des lettischen Arbeiters grinst<lb/>
an seiner Seite und heimtückisch knallt die Franktireurflinte die Befreier vom<lb/>
Bolschewismus nieder. Im Westen aber steht mit einem höhnischen Zug um den<lb/>
Mund das kalte mitleidslose Antlitz der Heimat.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_120"> In deutschen Lagern untergebracht, Entbehrungen ausgesetzt, das Schreck¬<lb/>
gespenst der Arbeitslosigkeit vor Augen, beschäftigungslos hinter Stacheldraht<lb/>
gepfercht, die goldene Freiheit der ersten Kurlandszeit in Erinnerung &#x2014; verwildern<lb/>
die Truppenteile und ihr Haß gegen die Republik, die sie in Kurland im Stich<lb/>
ließ, die Verbitterung über die augenblickliche und künftige ungenügende Ver¬<lb/>
sorgung, schmieden Baltikumer-Offizier und -Soldat zu Schicksalskameraden.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p xml:id="ID_121"> Dies einige der außergewöhnlichen Soldatentypen, die zusammenzu¬<lb/>
schweißen, Aufgabe der Winterarbeit des Jahres 1919/20 wird. Der Schein¬<lb/>
erfolg einer ersten Festigung der Wehrmacht, zusammen mit den sich bald<lb/>
einstellenden Miß ständen, hervorgerufen durch die schwierige Lage der Repu¬<lb/>
blik, und durch die im Innersten aufgewühlten und nervösen, in Spannung leben¬<lb/>
den Menschen, &#x2014; Offiziere wie Soldaten &#x2014; glaubt die Gegenrevolution benutzen<lb/>
zu können: Kappdämmerung.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] Altes und neues Heer Herzens unter der Wucht des täglichen Kleinkampfes um den Kleinkram alle großen Gesichtspunkte seines Berufes und der Erziehung und Ausbildung der Soldaten verloren gehen sieht, sind so gering, daß eine tiefe Enttäuschung und Erbitterung unter den Besten herrscht: Kappdämmerung. Jedoch — das Ziel der Republik, den Einfluß der monarchistischen Offiziere zu mindern, wird erreicht. Die Truppe wird zwar militärisch schlecht, aber in ruhigen Zeiten regierungstreu. In kritischen Tagen jedoch, bei einer Gegen¬ revolution, wird sie — bar jedes selbstlosen altpreußischen Pflichtgefühls — fragend beiseite stehen: wer bietet mehr? Kappdämmerung. Baltikumerabgescmg Die Bermondtfront bricht unter dem Mangel an Geld, Proviant, Waffen, Munition, tüchtigen Generalstäblern und kampferfahrenen Offizieren zusammen, nachdem kein politisches Fundament zustande gekommen ist, das dieses Abenteuer sanktioniert. Vor dem ruhmvollen Rückzug der deutschen Soldaten, die hungernd, frierend, ohne Schuhzeug, in zusammengestoppelten Uniformen, sich zäh und mit teutonischem Mut zur Heimat durchschlagen, verblassen alle Ausschreitungen des Landsknechtgeistes. Noch einmal flammt, mit der Erinnerung an vierjährige Siege, deutsches Kraftbewußtsein auf, Furcht und Achtung weckend, wenn es heißt: „die Deutschen kommen." Stilles Heldentum und tiefe Kameradschaft leuchten in jenen Tagen des Unglücks nur der Not. Die Tragödie im Baltikum bringt Zehntausenden bitterste Not und Enttäuschung, und das Ende jener Sehn¬ sucht, die ein Stück Land, und sei es noch so klein, besitzen will. Unter den Trümmern der Bermondtfront wird auch das Deutschbaltentum auf Jahrzehnte verschüttet, bis Reichsdeutschland es wieder erstehen lassen wird. Auf die Rücken der Baltikumer trommeln die Maschinengewehre der Bolschewiken und Letten. Die haßerfüllte Fratze des lettischen Arbeiters grinst an seiner Seite und heimtückisch knallt die Franktireurflinte die Befreier vom Bolschewismus nieder. Im Westen aber steht mit einem höhnischen Zug um den Mund das kalte mitleidslose Antlitz der Heimat. In deutschen Lagern untergebracht, Entbehrungen ausgesetzt, das Schreck¬ gespenst der Arbeitslosigkeit vor Augen, beschäftigungslos hinter Stacheldraht gepfercht, die goldene Freiheit der ersten Kurlandszeit in Erinnerung — verwildern die Truppenteile und ihr Haß gegen die Republik, die sie in Kurland im Stich ließ, die Verbitterung über die augenblickliche und künftige ungenügende Ver¬ sorgung, schmieden Baltikumer-Offizier und -Soldat zu Schicksalskameraden. Dies einige der außergewöhnlichen Soldatentypen, die zusammenzu¬ schweißen, Aufgabe der Winterarbeit des Jahres 1919/20 wird. Der Schein¬ erfolg einer ersten Festigung der Wehrmacht, zusammen mit den sich bald einstellenden Miß ständen, hervorgerufen durch die schwierige Lage der Repu¬ blik, und durch die im Innersten aufgewühlten und nervösen, in Spannung leben¬ den Menschen, — Offiziere wie Soldaten — glaubt die Gegenrevolution benutzen zu können: Kappdämmerung.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/33
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/33>, abgerufen am 28.04.2024.