Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ueber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutschen Reiches

ist, wird die Deutsche Volkspartei in ihr unentbehrlich sein als die Partei der
großen wirtschaftlichen Mächte Deutschlands. Weil die Koalition um unser Dasein
kämpfen muß, wird in ihr das nationale Moment führen, oder sie wird
nicht sein.

Es handelt sich also diesmal nicht um eine gewöhnliche parlamentarische
Verschiebung, sondern um den Wiederbeginn einer wirklichen deutschen Außen¬
politik. Die Deutsche Volkspartei wird entweder jetzt die Möglichkeiten nationaler
Haltung des niedergebrochenen Reiches neu begründen helfen oder sie wird, wenn
sie diese Aufgabe verfehlen sollte, durch den Abstrom ihrer Wähler zur Deutsch¬
nationalen Volkspartei bestraft werden. Sie wagt Großes durch den Eintritt
in die Koalition.




Über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
des Deutschen Reiches
v Großadmiral v. Tirpitz on

"I.

MM
Mi
WGHloyd George hat in der Londoner Konferenz am 1. März dieses
Jahres die Behauptung der Entente noch einmal offiziell ausge¬
sprochen, der Vernichtungsfrieden von Versailles gründe sich auf
die von Deutschland selbst anerkannte Schuld am Kriege und sei
durch diese gerechtfertigt. Mit diesem Ausspruch ist die Bedeutung
der Schuldfrage scharf gekennzeichnet. Wer mit einigem Ernst an die Frage
herangetreten ist, weiß zwar, daß mit dieser Behauptung die Lüge einen un-
geheuren Triumph feiert, aber die Geschicklichkeit unserer Feinde hat erreicht, daß
ein großer Teil der Welt sie trotzdem für Wahrheit hält. Eine solche Fälschung
der Kriegsursache wäre durch die gewaltige Propaganda allein nicht möglich ge¬
worden, wenn sie nicht zugleich aus der Selbstmörder- und Selbstbezichtigungs-
Ecke unseres eigenen Volkes heraus unterstützt worden wäre. Für diejenigen,
welche einen persönlichen Einblick in die politischen Vorgänge besitzen oder die sich
durch ernstes und vorurteilsfreies Studium ein Urteil verschafft haben, ist es
daher zur Pflicht geworden, die Wahrheit über die politische Konstellation vor
dem Kriege zur Geltung zu bringen.

Einen Teil der Schuldfrage bildet die Annahme, wir hätten durch Schaffung
unserer Seemacht etwas Unrichtiges getan, die Engländer unnötig gereizt und
damit einen wesentlichen Anstoß zum Kriege gegeben. Diese Ansicht hat bei allen
denen natürlich eine Unterstützung gefunden, die durch eine unklare Politik die
Einkreisungsbestrebungen der Entente gefördert und durch ungeschicktes Verfahren


3*
Ueber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutschen Reiches

ist, wird die Deutsche Volkspartei in ihr unentbehrlich sein als die Partei der
großen wirtschaftlichen Mächte Deutschlands. Weil die Koalition um unser Dasein
kämpfen muß, wird in ihr das nationale Moment führen, oder sie wird
nicht sein.

Es handelt sich also diesmal nicht um eine gewöhnliche parlamentarische
Verschiebung, sondern um den Wiederbeginn einer wirklichen deutschen Außen¬
politik. Die Deutsche Volkspartei wird entweder jetzt die Möglichkeiten nationaler
Haltung des niedergebrochenen Reiches neu begründen helfen oder sie wird, wenn
sie diese Aufgabe verfehlen sollte, durch den Abstrom ihrer Wähler zur Deutsch¬
nationalen Volkspartei bestraft werden. Sie wagt Großes durch den Eintritt
in die Koalition.




Über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
des Deutschen Reiches
v Großadmiral v. Tirpitz on

"I.

MM
Mi
WGHloyd George hat in der Londoner Konferenz am 1. März dieses
Jahres die Behauptung der Entente noch einmal offiziell ausge¬
sprochen, der Vernichtungsfrieden von Versailles gründe sich auf
die von Deutschland selbst anerkannte Schuld am Kriege und sei
durch diese gerechtfertigt. Mit diesem Ausspruch ist die Bedeutung
der Schuldfrage scharf gekennzeichnet. Wer mit einigem Ernst an die Frage
herangetreten ist, weiß zwar, daß mit dieser Behauptung die Lüge einen un-
geheuren Triumph feiert, aber die Geschicklichkeit unserer Feinde hat erreicht, daß
ein großer Teil der Welt sie trotzdem für Wahrheit hält. Eine solche Fälschung
der Kriegsursache wäre durch die gewaltige Propaganda allein nicht möglich ge¬
worden, wenn sie nicht zugleich aus der Selbstmörder- und Selbstbezichtigungs-
Ecke unseres eigenen Volkes heraus unterstützt worden wäre. Für diejenigen,
welche einen persönlichen Einblick in die politischen Vorgänge besitzen oder die sich
durch ernstes und vorurteilsfreies Studium ein Urteil verschafft haben, ist es
daher zur Pflicht geworden, die Wahrheit über die politische Konstellation vor
dem Kriege zur Geltung zu bringen.

Einen Teil der Schuldfrage bildet die Annahme, wir hätten durch Schaffung
unserer Seemacht etwas Unrichtiges getan, die Engländer unnötig gereizt und
damit einen wesentlichen Anstoß zum Kriege gegeben. Diese Ansicht hat bei allen
denen natürlich eine Unterstützung gefunden, die durch eine unklare Politik die
Einkreisungsbestrebungen der Entente gefördert und durch ungeschicktes Verfahren


3*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0043" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/339592"/>
          <fw type="header" place="top"> Ueber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutschen Reiches</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_155" prev="#ID_154"> ist, wird die Deutsche Volkspartei in ihr unentbehrlich sein als die Partei der<lb/>
großen wirtschaftlichen Mächte Deutschlands. Weil die Koalition um unser Dasein<lb/>
kämpfen muß, wird in ihr das nationale Moment führen, oder sie wird<lb/>
nicht sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_156"> Es handelt sich also diesmal nicht um eine gewöhnliche parlamentarische<lb/>
Verschiebung, sondern um den Wiederbeginn einer wirklichen deutschen Außen¬<lb/>
politik. Die Deutsche Volkspartei wird entweder jetzt die Möglichkeiten nationaler<lb/>
Haltung des niedergebrochenen Reiches neu begründen helfen oder sie wird, wenn<lb/>
sie diese Aufgabe verfehlen sollte, durch den Abstrom ihrer Wähler zur Deutsch¬<lb/>
nationalen Volkspartei bestraft werden. Sie wagt Großes durch den Eintritt<lb/>
in die Koalition.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_157"> Über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<lb/>
des Deutschen Reiches<lb/>
v<note type="byline"> Großadmiral v. Tirpitz</note> on</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> "I.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_158"> MM<lb/>
Mi<lb/>
WGHloyd George hat in der Londoner Konferenz am 1. März dieses<lb/>
Jahres die Behauptung der Entente noch einmal offiziell ausge¬<lb/>
sprochen, der Vernichtungsfrieden von Versailles gründe sich auf<lb/>
die von Deutschland selbst anerkannte Schuld am Kriege und sei<lb/>
durch diese gerechtfertigt. Mit diesem Ausspruch ist die Bedeutung<lb/>
der Schuldfrage scharf gekennzeichnet. Wer mit einigem Ernst an die Frage<lb/>
herangetreten ist, weiß zwar, daß mit dieser Behauptung die Lüge einen un-<lb/>
geheuren Triumph feiert, aber die Geschicklichkeit unserer Feinde hat erreicht, daß<lb/>
ein großer Teil der Welt sie trotzdem für Wahrheit hält. Eine solche Fälschung<lb/>
der Kriegsursache wäre durch die gewaltige Propaganda allein nicht möglich ge¬<lb/>
worden, wenn sie nicht zugleich aus der Selbstmörder- und Selbstbezichtigungs-<lb/>
Ecke unseres eigenen Volkes heraus unterstützt worden wäre. Für diejenigen,<lb/>
welche einen persönlichen Einblick in die politischen Vorgänge besitzen oder die sich<lb/>
durch ernstes und vorurteilsfreies Studium ein Urteil verschafft haben, ist es<lb/>
daher zur Pflicht geworden, die Wahrheit über die politische Konstellation vor<lb/>
dem Kriege zur Geltung zu bringen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_159" next="#ID_160"> Einen Teil der Schuldfrage bildet die Annahme, wir hätten durch Schaffung<lb/>
unserer Seemacht etwas Unrichtiges getan, die Engländer unnötig gereizt und<lb/>
damit einen wesentlichen Anstoß zum Kriege gegeben. Diese Ansicht hat bei allen<lb/>
denen natürlich eine Unterstützung gefunden, die durch eine unklare Politik die<lb/>
Einkreisungsbestrebungen der Entente gefördert und durch ungeschicktes Verfahren</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 3*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0043] Ueber Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutschen Reiches ist, wird die Deutsche Volkspartei in ihr unentbehrlich sein als die Partei der großen wirtschaftlichen Mächte Deutschlands. Weil die Koalition um unser Dasein kämpfen muß, wird in ihr das nationale Moment führen, oder sie wird nicht sein. Es handelt sich also diesmal nicht um eine gewöhnliche parlamentarische Verschiebung, sondern um den Wiederbeginn einer wirklichen deutschen Außen¬ politik. Die Deutsche Volkspartei wird entweder jetzt die Möglichkeiten nationaler Haltung des niedergebrochenen Reiches neu begründen helfen oder sie wird, wenn sie diese Aufgabe verfehlen sollte, durch den Abstrom ihrer Wähler zur Deutsch¬ nationalen Volkspartei bestraft werden. Sie wagt Großes durch den Eintritt in die Koalition. Über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Deutschen Reiches v Großadmiral v. Tirpitz on "I. MM Mi WGHloyd George hat in der Londoner Konferenz am 1. März dieses Jahres die Behauptung der Entente noch einmal offiziell ausge¬ sprochen, der Vernichtungsfrieden von Versailles gründe sich auf die von Deutschland selbst anerkannte Schuld am Kriege und sei durch diese gerechtfertigt. Mit diesem Ausspruch ist die Bedeutung der Schuldfrage scharf gekennzeichnet. Wer mit einigem Ernst an die Frage herangetreten ist, weiß zwar, daß mit dieser Behauptung die Lüge einen un- geheuren Triumph feiert, aber die Geschicklichkeit unserer Feinde hat erreicht, daß ein großer Teil der Welt sie trotzdem für Wahrheit hält. Eine solche Fälschung der Kriegsursache wäre durch die gewaltige Propaganda allein nicht möglich ge¬ worden, wenn sie nicht zugleich aus der Selbstmörder- und Selbstbezichtigungs- Ecke unseres eigenen Volkes heraus unterstützt worden wäre. Für diejenigen, welche einen persönlichen Einblick in die politischen Vorgänge besitzen oder die sich durch ernstes und vorurteilsfreies Studium ein Urteil verschafft haben, ist es daher zur Pflicht geworden, die Wahrheit über die politische Konstellation vor dem Kriege zur Geltung zu bringen. Einen Teil der Schuldfrage bildet die Annahme, wir hätten durch Schaffung unserer Seemacht etwas Unrichtiges getan, die Engländer unnötig gereizt und damit einen wesentlichen Anstoß zum Kriege gegeben. Diese Ansicht hat bei allen denen natürlich eine Unterstützung gefunden, die durch eine unklare Politik die Einkreisungsbestrebungen der Entente gefördert und durch ungeschicktes Verfahren 3*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/43
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/43>, abgerufen am 29.04.2024.