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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Es gibt Zeiten, wo das natürliche Gefühl der
Massen eine Macht wird im Leben der Staaten.

Treitschke


Um den Frieden Europas
Fritz Rem von

jenn Lloyd George seine Stimme, die erste der Welt, erhebt, spricht
er entweder in Hemdsärmeln oder in Bäffchcn. Auf beiderlei Ton
weiß er das Maß von Energie, das England hinter eine bestimmte
Sache sehen will, drastisch anzugeben. Mit seinem neuen Hemds-
ärmclgleichnis für die weltwirtschaftliche Lage, als Billardspiel
auf stürmischer See, prägt er dem absatzlosen Industriellen und dem Arbeits¬
losen, dem Händler wie dem "Mann auf der Straße" den Widersinn der gegen¬
wärtigen Zustände und zugleich das außenpolitische Ziel ein, auf welches sich
^ Drahtzieher der Klubs verständigt zu haben scheinen. Als Büffchenredner
hätte
der^"WM
er getrost Europas Lage mit Noahs Schande vergleichen können, über die
ungeratene Sohn Ham-Fraukreich sich garstig freut, wühreud Sem-England
bieder serment, um die Blöße des Alten zu bedecken. Man erzählt in Berl.n
den Ausspruch eines sehr bekannten Engländers, der kürzlich hier geweckt und d.e
^'age gestellt habe- wie lange es Deutschland äußerstenfalls noch bis zum Staats¬
bankerott aushalte? worauf ihm geantwortet wurde: eigentlich wäre es schon
^ weit, aber durch das Goldopfer der Wirtschaftskreise bzw. den Eintritt der
Volkspartei in die Koalition werde der Zusammenbruch der deutschen Finanzen
Wohl noch um 12 bis 18 Monate hinausgeschoben. Worauf der engll,eyn
Finanzmann entsetzt ausgerufen haben soll: "Aber so lange halten wir es ,a
"licht aus."

^
Dem Deutschen fällt es in seinem intensiven Ohnmachts- und ^eA -
losigkeitsgefühl schwer, sich vorzustellen, daß bei den Siegervollern 'was großer .
wirtschaftliches Unbehagen herrsche, als bei uus. Man braucht aber alt b^Englaud reisen, es genügt schon Holland oder Skandinavien un^ das mal
Depressionsgefühl nachzuempfinden, daß der industriell ungebrochene Beugte s.es


Grenzbojen IV 1921


Es gibt Zeiten, wo das natürliche Gefühl der
Massen eine Macht wird im Leben der Staaten.

Treitschke


Um den Frieden Europas
Fritz Rem von

jenn Lloyd George seine Stimme, die erste der Welt, erhebt, spricht
er entweder in Hemdsärmeln oder in Bäffchcn. Auf beiderlei Ton
weiß er das Maß von Energie, das England hinter eine bestimmte
Sache sehen will, drastisch anzugeben. Mit seinem neuen Hemds-
ärmclgleichnis für die weltwirtschaftliche Lage, als Billardspiel
auf stürmischer See, prägt er dem absatzlosen Industriellen und dem Arbeits¬
losen, dem Händler wie dem „Mann auf der Straße" den Widersinn der gegen¬
wärtigen Zustände und zugleich das außenpolitische Ziel ein, auf welches sich
^ Drahtzieher der Klubs verständigt zu haben scheinen. Als Büffchenredner
hätte
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er getrost Europas Lage mit Noahs Schande vergleichen können, über die
ungeratene Sohn Ham-Fraukreich sich garstig freut, wühreud Sem-England
bieder serment, um die Blöße des Alten zu bedecken. Man erzählt in Berl.n
den Ausspruch eines sehr bekannten Engländers, der kürzlich hier geweckt und d.e
^'age gestellt habe- wie lange es Deutschland äußerstenfalls noch bis zum Staats¬
bankerott aushalte? worauf ihm geantwortet wurde: eigentlich wäre es schon
^ weit, aber durch das Goldopfer der Wirtschaftskreise bzw. den Eintritt der
Volkspartei in die Koalition werde der Zusammenbruch der deutschen Finanzen
Wohl noch um 12 bis 18 Monate hinausgeschoben. Worauf der engll,eyn
Finanzmann entsetzt ausgerufen haben soll: „Aber so lange halten wir es ,a
"licht aus."

^
Dem Deutschen fällt es in seinem intensiven Ohnmachts- und ^eA -
losigkeitsgefühl schwer, sich vorzustellen, daß bei den Siegervollern 'was großer .
wirtschaftliches Unbehagen herrsche, als bei uus. Man braucht aber alt b^Englaud reisen, es genügt schon Holland oder Skandinavien un^ das mal
Depressionsgefühl nachzuempfinden, daß der industriell ungebrochene Beugte s.es


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[0073] [Abbildung] Es gibt Zeiten, wo das natürliche Gefühl der Massen eine Macht wird im Leben der Staaten. Treitschke Um den Frieden Europas Fritz Rem von jenn Lloyd George seine Stimme, die erste der Welt, erhebt, spricht er entweder in Hemdsärmeln oder in Bäffchcn. Auf beiderlei Ton weiß er das Maß von Energie, das England hinter eine bestimmte Sache sehen will, drastisch anzugeben. Mit seinem neuen Hemds- ärmclgleichnis für die weltwirtschaftliche Lage, als Billardspiel auf stürmischer See, prägt er dem absatzlosen Industriellen und dem Arbeits¬ losen, dem Händler wie dem „Mann auf der Straße" den Widersinn der gegen¬ wärtigen Zustände und zugleich das außenpolitische Ziel ein, auf welches sich ^ Drahtzieher der Klubs verständigt zu haben scheinen. Als Büffchenredner hätte der^«WM er getrost Europas Lage mit Noahs Schande vergleichen können, über die ungeratene Sohn Ham-Fraukreich sich garstig freut, wühreud Sem-England bieder serment, um die Blöße des Alten zu bedecken. Man erzählt in Berl.n den Ausspruch eines sehr bekannten Engländers, der kürzlich hier geweckt und d.e ^'age gestellt habe- wie lange es Deutschland äußerstenfalls noch bis zum Staats¬ bankerott aushalte? worauf ihm geantwortet wurde: eigentlich wäre es schon ^ weit, aber durch das Goldopfer der Wirtschaftskreise bzw. den Eintritt der Volkspartei in die Koalition werde der Zusammenbruch der deutschen Finanzen Wohl noch um 12 bis 18 Monate hinausgeschoben. Worauf der engll,eyn Finanzmann entsetzt ausgerufen haben soll: „Aber so lange halten wir es ,a "licht aus." ^ Dem Deutschen fällt es in seinem intensiven Ohnmachts- und ^eA - losigkeitsgefühl schwer, sich vorzustellen, daß bei den Siegervollern 'was großer . wirtschaftliches Unbehagen herrsche, als bei uus. Man braucht aber alt b^Englaud reisen, es genügt schon Holland oder Skandinavien un^ das mal Depressionsgefühl nachzuempfinden, daß der industriell ungebrochene Beugte s.es Grenzbojen IV 1921

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/73>, abgerufen am 29.04.2024.