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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Altes und neues Heer

Der Herr Leutnant -- Erscheinung und Opfer der Revolution. Schicksal,
nicht Schuld I


Der alte Soldat

Er stand im Stall bei seinen Pferden, die er zwei Stunden lang gestriegelt
hatte, fuhr noch einmal liebkosend über seine beiden Viecher und wandte sich dann
nach einigen ermahnenden Worten an die jungen Pferdeburschen, leise pfeifend
zum gehen. Langsam, seine Braut konnte warten, erst kamen die Pferde! Er
war schon ein altgedienter Kavallerist. 1913 eingezogen, hatte er den Krieg an
vielen Fronten mitgemacht, wovon E. K. l. und die Narben im Gesicht und am
Körper, um die ihn die Jungen beneideten, erzählten. Wenn er jetzt bei der
Reichswehr diente, geschah es, um nicht die Gewohnheit zu wechseln, vor allem:
er hatte die Tiere lieb. Sein alter Beruf, am Schraubstock zu stehen, in der
engen Fabrik, in der dumpfen Stadt behagte ihm nicht. Die Vorgesetzten waren
froh, bei den vielen jungen Soldaten einen sachkundigen Mann zu haben, dessen
ruhiges, verständiges Wesen, gleichmäßige soldatische Straffheit, von der man
merkte, daß sie ihm in Leib und Seele übergegangen war. und daß er sie
unbewußt übte, guten Einfluß auf die jungen Soldaten hatte, die Respekt
vor ihm hatten und sich von ihm zu Ordnung, Sauberkeit und Disziplin erziehen
ließen. Er hatte nur eine Besonderheit: er sah die jungen Offiziere scheel an.
Sie durften ihm in seine Arbeit nicht hineinreden; dann wurde er dickköpfig und
interesselos. Er war fest davon überzeugt, daß die jungen Herren ihm, den alt¬
gedienter, nichts lehren konnten. Sein Ton war zwar militärisch, aber er nahm
sich doch Freiheiten heraus, wenn auch in seiner stillen Art, die man nur ihm
durchgehen ließ. Als einer der jungen Soldaten sich ein vorlautes Wort erlaubte,
und dann sich auf sein Beispiel berief, machte er dem Jungen handgreiflich klar:
"Was ich darf, darfst du noch lange nicht!"

Der alte Soldat -- der Vorgesetzte brauchte nur Takt, dann war er die
treueste Stütze der Truppe.


Der junge Soldat

Hackenklappend, schleppsäbelmsselnd. sporenklirrend -- kichernd, neckend,
blitzenden Auges -- rasch verliebt, schnell im Streit, immer fröhlich und hilfs¬
bereit, weich und lenksam wie ein Kind, wild wie ein dummer Junge, anhänglich
wie ein Sohn an seinen Hauptmann, Angst vorm gestrengen Herrn Feldwebel,
niemals nach Hause schreibend, mit seinem Herzensfreund zusammen die ersten
Liebschaften durchkostend, im Kindergesicht große Augen, die erstaunt in eine neue
Welt schauen: Der junge Soldat.

Wenn das erste Mal die Kugeln pfeifen, sich in die Ecke verkriechend, vom
Unteroffizier durch derbe Kolbenstöße ermutigt, jetzt tapfer und stolz aufhaltend,
mit knurrenden Magen auf kaltem Flur schlafend, im Bürgerkriege acht Tage
nicht aus dem Anzug, aber immer fröhlich, immer begeistert, abenteuerlustig:
der junge Soldat.

Aus Leichtsinn nachlässig im Dienst, nachexerzierend, Gewehrstrecken bis
Zum Umfallen, schimpfend über Schliff und Schärfe. Kopfhängenlassen und
verdrießliches Gesicht, ein Mädchenbrief und die Sonne lacht wieder: der
junge Soldat.


Altes und neues Heer

Der Herr Leutnant — Erscheinung und Opfer der Revolution. Schicksal,
nicht Schuld I


Der alte Soldat

Er stand im Stall bei seinen Pferden, die er zwei Stunden lang gestriegelt
hatte, fuhr noch einmal liebkosend über seine beiden Viecher und wandte sich dann
nach einigen ermahnenden Worten an die jungen Pferdeburschen, leise pfeifend
zum gehen. Langsam, seine Braut konnte warten, erst kamen die Pferde! Er
war schon ein altgedienter Kavallerist. 1913 eingezogen, hatte er den Krieg an
vielen Fronten mitgemacht, wovon E. K. l. und die Narben im Gesicht und am
Körper, um die ihn die Jungen beneideten, erzählten. Wenn er jetzt bei der
Reichswehr diente, geschah es, um nicht die Gewohnheit zu wechseln, vor allem:
er hatte die Tiere lieb. Sein alter Beruf, am Schraubstock zu stehen, in der
engen Fabrik, in der dumpfen Stadt behagte ihm nicht. Die Vorgesetzten waren
froh, bei den vielen jungen Soldaten einen sachkundigen Mann zu haben, dessen
ruhiges, verständiges Wesen, gleichmäßige soldatische Straffheit, von der man
merkte, daß sie ihm in Leib und Seele übergegangen war. und daß er sie
unbewußt übte, guten Einfluß auf die jungen Soldaten hatte, die Respekt
vor ihm hatten und sich von ihm zu Ordnung, Sauberkeit und Disziplin erziehen
ließen. Er hatte nur eine Besonderheit: er sah die jungen Offiziere scheel an.
Sie durften ihm in seine Arbeit nicht hineinreden; dann wurde er dickköpfig und
interesselos. Er war fest davon überzeugt, daß die jungen Herren ihm, den alt¬
gedienter, nichts lehren konnten. Sein Ton war zwar militärisch, aber er nahm
sich doch Freiheiten heraus, wenn auch in seiner stillen Art, die man nur ihm
durchgehen ließ. Als einer der jungen Soldaten sich ein vorlautes Wort erlaubte,
und dann sich auf sein Beispiel berief, machte er dem Jungen handgreiflich klar:
„Was ich darf, darfst du noch lange nicht!"

Der alte Soldat — der Vorgesetzte brauchte nur Takt, dann war er die
treueste Stütze der Truppe.


Der junge Soldat

Hackenklappend, schleppsäbelmsselnd. sporenklirrend — kichernd, neckend,
blitzenden Auges — rasch verliebt, schnell im Streit, immer fröhlich und hilfs¬
bereit, weich und lenksam wie ein Kind, wild wie ein dummer Junge, anhänglich
wie ein Sohn an seinen Hauptmann, Angst vorm gestrengen Herrn Feldwebel,
niemals nach Hause schreibend, mit seinem Herzensfreund zusammen die ersten
Liebschaften durchkostend, im Kindergesicht große Augen, die erstaunt in eine neue
Welt schauen: Der junge Soldat.

Wenn das erste Mal die Kugeln pfeifen, sich in die Ecke verkriechend, vom
Unteroffizier durch derbe Kolbenstöße ermutigt, jetzt tapfer und stolz aufhaltend,
mit knurrenden Magen auf kaltem Flur schlafend, im Bürgerkriege acht Tage
nicht aus dem Anzug, aber immer fröhlich, immer begeistert, abenteuerlustig:
der junge Soldat.

Aus Leichtsinn nachlässig im Dienst, nachexerzierend, Gewehrstrecken bis
Zum Umfallen, schimpfend über Schliff und Schärfe. Kopfhängenlassen und
verdrießliches Gesicht, ein Mädchenbrief und die Sonne lacht wieder: der
junge Soldat.


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[0085] Altes und neues Heer Der Herr Leutnant — Erscheinung und Opfer der Revolution. Schicksal, nicht Schuld I Der alte Soldat Er stand im Stall bei seinen Pferden, die er zwei Stunden lang gestriegelt hatte, fuhr noch einmal liebkosend über seine beiden Viecher und wandte sich dann nach einigen ermahnenden Worten an die jungen Pferdeburschen, leise pfeifend zum gehen. Langsam, seine Braut konnte warten, erst kamen die Pferde! Er war schon ein altgedienter Kavallerist. 1913 eingezogen, hatte er den Krieg an vielen Fronten mitgemacht, wovon E. K. l. und die Narben im Gesicht und am Körper, um die ihn die Jungen beneideten, erzählten. Wenn er jetzt bei der Reichswehr diente, geschah es, um nicht die Gewohnheit zu wechseln, vor allem: er hatte die Tiere lieb. Sein alter Beruf, am Schraubstock zu stehen, in der engen Fabrik, in der dumpfen Stadt behagte ihm nicht. Die Vorgesetzten waren froh, bei den vielen jungen Soldaten einen sachkundigen Mann zu haben, dessen ruhiges, verständiges Wesen, gleichmäßige soldatische Straffheit, von der man merkte, daß sie ihm in Leib und Seele übergegangen war. und daß er sie unbewußt übte, guten Einfluß auf die jungen Soldaten hatte, die Respekt vor ihm hatten und sich von ihm zu Ordnung, Sauberkeit und Disziplin erziehen ließen. Er hatte nur eine Besonderheit: er sah die jungen Offiziere scheel an. Sie durften ihm in seine Arbeit nicht hineinreden; dann wurde er dickköpfig und interesselos. Er war fest davon überzeugt, daß die jungen Herren ihm, den alt¬ gedienter, nichts lehren konnten. Sein Ton war zwar militärisch, aber er nahm sich doch Freiheiten heraus, wenn auch in seiner stillen Art, die man nur ihm durchgehen ließ. Als einer der jungen Soldaten sich ein vorlautes Wort erlaubte, und dann sich auf sein Beispiel berief, machte er dem Jungen handgreiflich klar: „Was ich darf, darfst du noch lange nicht!" Der alte Soldat — der Vorgesetzte brauchte nur Takt, dann war er die treueste Stütze der Truppe. Der junge Soldat Hackenklappend, schleppsäbelmsselnd. sporenklirrend — kichernd, neckend, blitzenden Auges — rasch verliebt, schnell im Streit, immer fröhlich und hilfs¬ bereit, weich und lenksam wie ein Kind, wild wie ein dummer Junge, anhänglich wie ein Sohn an seinen Hauptmann, Angst vorm gestrengen Herrn Feldwebel, niemals nach Hause schreibend, mit seinem Herzensfreund zusammen die ersten Liebschaften durchkostend, im Kindergesicht große Augen, die erstaunt in eine neue Welt schauen: Der junge Soldat. Wenn das erste Mal die Kugeln pfeifen, sich in die Ecke verkriechend, vom Unteroffizier durch derbe Kolbenstöße ermutigt, jetzt tapfer und stolz aufhaltend, mit knurrenden Magen auf kaltem Flur schlafend, im Bürgerkriege acht Tage nicht aus dem Anzug, aber immer fröhlich, immer begeistert, abenteuerlustig: der junge Soldat. Aus Leichtsinn nachlässig im Dienst, nachexerzierend, Gewehrstrecken bis Zum Umfallen, schimpfend über Schliff und Schärfe. Kopfhängenlassen und verdrießliches Gesicht, ein Mädchenbrief und die Sonne lacht wieder: der junge Soldat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/85>, abgerufen am 28.04.2024.