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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr.

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Altes und neues Heer

Am zehnten des Monats bereits ohne Geld, am Ende 200 Mark Schulden
bei der Kantine, Kamm, Taschenspiegel und Pomade stets bei der Hand, vom
Urlaub die Mütze schief gerückt, stolpert glänzenden Auges aus der Kaserne: der
junge Soldat.

Wer ihn lenken will -- braucht nicht Verstand, nur Herz.


Der Söldner

Er steht vor dem Hauptmann, unfreien Blicks. Mit gleichgültiger Miene
läßt er sich drei Tage wegen Urlaubsüberschreitung einsperren. Langsam macht
er kehrt:

"Rutscht mir den Buckel runterI"

Ihm sind Dienst, Lob und Strafe gleichgültig; Hauptsache, daß er seine
Löhnung erhält, nach zwölf Jahren den Versorgungsschein und im übrigen in der
freien Zeit nicht belästigt wird.

Mürrisch in der Kaserne, ausgelassen lustig außerhalb ihrer Mauern, geht
er mit fünf, sechs anderen derben Vergnügungen nach, verschafft sich gelegentlich
Nebenarbeit, trottet still, gleichmäßig, aber zufrieden durchs Leben.

Er war der Sohn einer kinderreichen stets mit der Not ringenden Fabrik¬
arbeiterfamilie. Nach der Schulentlassung gezwungen sofort Geld zu verdienen,
wurde er nach einer freudlosen Jugend kurz vor Kriegsschluß eingezogen. Zwar
hatte er den soldatischen Zwang hart empfunden, aber gezwungen, sich selbst zu
unterhalten, ohne gelernten Beruf und arbeitslos, war er schließlich doch zur
Reichswehr gegangen.

Sein einziges geistiges Interesse war die Politik, auch das worüber allein
zu Hause gesprochen worden war. Er meinte, die Republik, die ihm das Geld
gab, politisch unterstützen zu müssen; denn bei Rückkehr des alten Regimes, so
mutmaßte er, bestand die Gefahr der Abschaffung des Söldnerheeres. So schloß
er sich einer radikal-republikanisch-sozialistischen Soldatenvereinigung an, vermied
es aber, das seinen Offizieren anzuzeigen, weil er fühlte, daß sein Schicksal in
erster Linie doch von ihnen abhing.

Der Söldner -- nur ein sehr kluger Offizier kann einen Soldaten aus
ihm machen I


Der geborene Soldat

Sein Vater war königlich-preußischer Wachtmeister. Sie wohnten gegen¬
über dem Exerzierplatz der Dragonerkaserne. Jeden Morgen preßte das drei¬
jährige Bübchen die Nase gegen die Fensterscheibe und blickte auf die Dragoner,
die da schön im Kreise ritten, über Gräben sprangen, sich überpurzelten, Lanzen
warfen und Strohpuppen aufspießten. Die höchste Wonne aber, wenn Vater
Wachtmeister den Jungen Sonntags mit in den Stall nahm, er im Stroh
wühlen konnte und Vater ihn aufs Pferd setzte. Hei, und dann die Paraden!
Versäumte er später je eine Kaiserparade? Und Sonnabends, wenn die Dragoner
zum Tempelhofer Feld rückten, dann marschierte er neben dem Pferd mit den
großen Pauken rechts und links einher.

Nach der Schulzeit kam er nach der Unteroffizierschule, wo es streng her¬
ging, und wo er sich an den Umgang mit vielen Kameraden gewöhnte, der ihm
später zum Bedürfnis und zur Gewohnheit wurde. Zwar sah er des Abends


Altes und neues Heer

Am zehnten des Monats bereits ohne Geld, am Ende 200 Mark Schulden
bei der Kantine, Kamm, Taschenspiegel und Pomade stets bei der Hand, vom
Urlaub die Mütze schief gerückt, stolpert glänzenden Auges aus der Kaserne: der
junge Soldat.

Wer ihn lenken will — braucht nicht Verstand, nur Herz.


Der Söldner

Er steht vor dem Hauptmann, unfreien Blicks. Mit gleichgültiger Miene
läßt er sich drei Tage wegen Urlaubsüberschreitung einsperren. Langsam macht
er kehrt:

„Rutscht mir den Buckel runterI"

Ihm sind Dienst, Lob und Strafe gleichgültig; Hauptsache, daß er seine
Löhnung erhält, nach zwölf Jahren den Versorgungsschein und im übrigen in der
freien Zeit nicht belästigt wird.

Mürrisch in der Kaserne, ausgelassen lustig außerhalb ihrer Mauern, geht
er mit fünf, sechs anderen derben Vergnügungen nach, verschafft sich gelegentlich
Nebenarbeit, trottet still, gleichmäßig, aber zufrieden durchs Leben.

Er war der Sohn einer kinderreichen stets mit der Not ringenden Fabrik¬
arbeiterfamilie. Nach der Schulentlassung gezwungen sofort Geld zu verdienen,
wurde er nach einer freudlosen Jugend kurz vor Kriegsschluß eingezogen. Zwar
hatte er den soldatischen Zwang hart empfunden, aber gezwungen, sich selbst zu
unterhalten, ohne gelernten Beruf und arbeitslos, war er schließlich doch zur
Reichswehr gegangen.

Sein einziges geistiges Interesse war die Politik, auch das worüber allein
zu Hause gesprochen worden war. Er meinte, die Republik, die ihm das Geld
gab, politisch unterstützen zu müssen; denn bei Rückkehr des alten Regimes, so
mutmaßte er, bestand die Gefahr der Abschaffung des Söldnerheeres. So schloß
er sich einer radikal-republikanisch-sozialistischen Soldatenvereinigung an, vermied
es aber, das seinen Offizieren anzuzeigen, weil er fühlte, daß sein Schicksal in
erster Linie doch von ihnen abhing.

Der Söldner — nur ein sehr kluger Offizier kann einen Soldaten aus
ihm machen I


Der geborene Soldat

Sein Vater war königlich-preußischer Wachtmeister. Sie wohnten gegen¬
über dem Exerzierplatz der Dragonerkaserne. Jeden Morgen preßte das drei¬
jährige Bübchen die Nase gegen die Fensterscheibe und blickte auf die Dragoner,
die da schön im Kreise ritten, über Gräben sprangen, sich überpurzelten, Lanzen
warfen und Strohpuppen aufspießten. Die höchste Wonne aber, wenn Vater
Wachtmeister den Jungen Sonntags mit in den Stall nahm, er im Stroh
wühlen konnte und Vater ihn aufs Pferd setzte. Hei, und dann die Paraden!
Versäumte er später je eine Kaiserparade? Und Sonnabends, wenn die Dragoner
zum Tempelhofer Feld rückten, dann marschierte er neben dem Pferd mit den
großen Pauken rechts und links einher.

Nach der Schulzeit kam er nach der Unteroffizierschule, wo es streng her¬
ging, und wo er sich an den Umgang mit vielen Kameraden gewöhnte, der ihm
später zum Bedürfnis und zur Gewohnheit wurde. Zwar sah er des Abends


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[0086] Altes und neues Heer Am zehnten des Monats bereits ohne Geld, am Ende 200 Mark Schulden bei der Kantine, Kamm, Taschenspiegel und Pomade stets bei der Hand, vom Urlaub die Mütze schief gerückt, stolpert glänzenden Auges aus der Kaserne: der junge Soldat. Wer ihn lenken will — braucht nicht Verstand, nur Herz. Der Söldner Er steht vor dem Hauptmann, unfreien Blicks. Mit gleichgültiger Miene läßt er sich drei Tage wegen Urlaubsüberschreitung einsperren. Langsam macht er kehrt: „Rutscht mir den Buckel runterI" Ihm sind Dienst, Lob und Strafe gleichgültig; Hauptsache, daß er seine Löhnung erhält, nach zwölf Jahren den Versorgungsschein und im übrigen in der freien Zeit nicht belästigt wird. Mürrisch in der Kaserne, ausgelassen lustig außerhalb ihrer Mauern, geht er mit fünf, sechs anderen derben Vergnügungen nach, verschafft sich gelegentlich Nebenarbeit, trottet still, gleichmäßig, aber zufrieden durchs Leben. Er war der Sohn einer kinderreichen stets mit der Not ringenden Fabrik¬ arbeiterfamilie. Nach der Schulentlassung gezwungen sofort Geld zu verdienen, wurde er nach einer freudlosen Jugend kurz vor Kriegsschluß eingezogen. Zwar hatte er den soldatischen Zwang hart empfunden, aber gezwungen, sich selbst zu unterhalten, ohne gelernten Beruf und arbeitslos, war er schließlich doch zur Reichswehr gegangen. Sein einziges geistiges Interesse war die Politik, auch das worüber allein zu Hause gesprochen worden war. Er meinte, die Republik, die ihm das Geld gab, politisch unterstützen zu müssen; denn bei Rückkehr des alten Regimes, so mutmaßte er, bestand die Gefahr der Abschaffung des Söldnerheeres. So schloß er sich einer radikal-republikanisch-sozialistischen Soldatenvereinigung an, vermied es aber, das seinen Offizieren anzuzeigen, weil er fühlte, daß sein Schicksal in erster Linie doch von ihnen abhing. Der Söldner — nur ein sehr kluger Offizier kann einen Soldaten aus ihm machen I Der geborene Soldat Sein Vater war königlich-preußischer Wachtmeister. Sie wohnten gegen¬ über dem Exerzierplatz der Dragonerkaserne. Jeden Morgen preßte das drei¬ jährige Bübchen die Nase gegen die Fensterscheibe und blickte auf die Dragoner, die da schön im Kreise ritten, über Gräben sprangen, sich überpurzelten, Lanzen warfen und Strohpuppen aufspießten. Die höchste Wonne aber, wenn Vater Wachtmeister den Jungen Sonntags mit in den Stall nahm, er im Stroh wühlen konnte und Vater ihn aufs Pferd setzte. Hei, und dann die Paraden! Versäumte er später je eine Kaiserparade? Und Sonnabends, wenn die Dragoner zum Tempelhofer Feld rückten, dann marschierte er neben dem Pferd mit den großen Pauken rechts und links einher. Nach der Schulzeit kam er nach der Unteroffizierschule, wo es streng her¬ ging, und wo er sich an den Umgang mit vielen Kameraden gewöhnte, der ihm später zum Bedürfnis und zur Gewohnheit wurde. Zwar sah er des Abends

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339548/86>, abgerufen am 29.04.2024.