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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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als Ursachen.
so häufige als wichtige Ursache bildet jene, in neuerer Zeit als
Atherosis bezeichnete dyscrasische Disposition zu dem eigenthüm-
lichen Erkranken der Arterien, das mit Verkalkung der Gefässwan-
dungen endigt. Einestheils setzt diese Erkrankung, wenn sie die
Arterien in der Schädelhöhle befällt, bedeutende unmittelbare Circu-
lationsstörungen im Gehirn, namentlich eine Verlangsamung des
Kreislaufs in ihm; andrerseits kommen eben hier gleichzeitig die
schwersten organischen Herzkrankheiten vor, deren übler Einfluss
bekannt ist.

Auch mit diesem Verhältnisse fällt die von den Schriftstellern als Ursache der
Geisteskrankheiten aufgeführte Gicht zum Theil zusammen. -- Die Cholämie ist
zwar von sehr bedeutendem Einflusse auf die psychischen Thätigkeiten, namentlich
sieht man Angst, Neigung zum Zorn und Zank, Gleichgültigkeit, bösartige
Launen, später auch Delirien, beim acuten Icterus auftreten; indessen wüssten
wir nicht, dass wirkliches Irresein hieraus zurückgeblieben oder sich entschieden
als Folge chronischer Gelbsucht gebildet hätte. -- Die Tuberculose wird im
folgenden §. besprochen. -- Was das Pellagra betrifft, welchem in Oberitalien
etwa die Hälfte der Geisteskranken angehören soll, so wird man, bei den grossen
Meinungsverschiedenheiten, die über diese Krankheit unter den Aerzten jener
Gegenden selbst herrschen, einen Arzt, der dasselbe nicht selbst beobachtet hat, *)
von einer näheren Besprechung desselben dispensiren.

§. 85.

3) Unter den Erkrankungen der Eingeweide, welche eine
secundäre Gehirnaffection mit dem Symptomencomplex des Irreseins
setzen können, stehen oben an die Brustkrankheiten und unter
ihnen wieder alle Erkrankungen des Herzens. **) Ungleiche Blut-
vertheilung und ungleiche Schnelligkeit der Strömung in verschiedenen
Organen sind ihre directen Folgen, aus denen sich rasch verlaufende

*) Dieser Umstand hindert den Vf. auch, einen in Würtemberg beobachteten
Fall, der sehr grosse Aehnlichkeit mit der Beschreibung der leichteren Grade des
Pellagra hatte (tiefe Melancholie mit hartnäckigem, sehr schmerzhaftem Erythem
der Extremitäten; Entstehung in grossem Elend und höchster physischer Vernach-
lässigung unter Mitwirkung psychischer Ursachen) entschieden als Pellagra zu
betrachten. Bekanntlich hat man in neuerer Zeit auch ausserhalb Oberitaliens,
namentlich in Paris, zuverlässige, sporadische Fälle von Pellagra beobachtet.
**) Vgl. §. 76. und das 2te Capitel der patholog. Anatomie. Nasse (von der
psych. Beziehung des Herzens; in seiner Zeitschrift für psych. Aerzte. 1811 I.
p. 49) hat zuerst diesen Punkt gehörig berücksichtigt. Von dort an finden sich
allenthalben Angaben, die neueste von Lippich (Oestr. Jahrb. 1842. Juli. p. 32),
namentlich in Bezug auf Italien, wo die Herzkrankheiten besonders häufig sein
sollen. Vgl. auch die interessante Arbeit von Burrows über Gehirn- und Rücken-
marks-Erkrankung während acuter Herzleiden. Gazette medic. 1843. Nro. 50.

als Ursachen.
so häufige als wichtige Ursache bildet jene, in neuerer Zeit als
Atherosis bezeichnete dyscrasische Disposition zu dem eigenthüm-
lichen Erkranken der Arterien, das mit Verkalkung der Gefässwan-
dungen endigt. Einestheils setzt diese Erkrankung, wenn sie die
Arterien in der Schädelhöhle befällt, bedeutende unmittelbare Circu-
lationsstörungen im Gehirn, namentlich eine Verlangsamung des
Kreislaufs in ihm; andrerseits kommen eben hier gleichzeitig die
schwersten organischen Herzkrankheiten vor, deren übler Einfluss
bekannt ist.

Auch mit diesem Verhältnisse fällt die von den Schriftstellern als Ursache der
Geisteskrankheiten aufgeführte Gicht zum Theil zusammen. — Die Cholämie ist
zwar von sehr bedeutendem Einflusse auf die psychischen Thätigkeiten, namentlich
sieht man Angst, Neigung zum Zorn und Zank, Gleichgültigkeit, bösartige
Launen, später auch Delirien, beim acuten Icterus auftreten; indessen wüssten
wir nicht, dass wirkliches Irresein hieraus zurückgeblieben oder sich entschieden
als Folge chronischer Gelbsucht gebildet hätte. — Die Tuberculose wird im
folgenden §. besprochen. — Was das Pellagra betrifft, welchem in Oberitalien
etwa die Hälfte der Geisteskranken angehören soll, so wird man, bei den grossen
Meinungsverschiedenheiten, die über diese Krankheit unter den Aerzten jener
Gegenden selbst herrschen, einen Arzt, der dasselbe nicht selbst beobachtet hat, *)
von einer näheren Besprechung desselben dispensiren.

§. 85.

3) Unter den Erkrankungen der Eingeweide, welche eine
secundäre Gehirnaffection mit dem Symptomencomplex des Irreseins
setzen können, stehen oben an die Brustkrankheiten und unter
ihnen wieder alle Erkrankungen des Herzens. **) Ungleiche Blut-
vertheilung und ungleiche Schnelligkeit der Strömung in verschiedenen
Organen sind ihre directen Folgen, aus denen sich rasch verlaufende

*) Dieser Umstand hindert den Vf. auch, einen in Würtemberg beobachteten
Fall, der sehr grosse Aehnlichkeit mit der Beschreibung der leichteren Grade des
Pellagra hatte (tiefe Melancholie mit hartnäckigem, sehr schmerzhaftem Erythem
der Extremitäten; Entstehung in grossem Elend und höchster physischer Vernach-
lässigung unter Mitwirkung psychischer Ursachen) entschieden als Pellagra zu
betrachten. Bekanntlich hat man in neuerer Zeit auch ausserhalb Oberitaliens,
namentlich in Paris, zuverlässige, sporadische Fälle von Pellagra beobachtet.
**) Vgl. §. 76. und das 2te Capitel der patholog. Anatomie. Nasse (von der
psych. Beziehung des Herzens; in seiner Zeitschrift für psych. Aerzte. 1811 I.
p. 49) hat zuerst diesen Punkt gehörig berücksichtigt. Von dort an finden sich
allenthalben Angaben, die neueste von Lippich (Oestr. Jahrb. 1842. Juli. p. 32),
namentlich in Bezug auf Italien, wo die Herzkrankheiten besonders häufig sein
sollen. Vgl. auch die interessante Arbeit von Burrows über Gehirn- und Rücken-
marks-Erkrankung während acuter Herzleiden. Gazette médic. 1843. Nro. 50.
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[141/0155] als Ursachen. so häufige als wichtige Ursache bildet jene, in neuerer Zeit als Atherosis bezeichnete dyscrasische Disposition zu dem eigenthüm- lichen Erkranken der Arterien, das mit Verkalkung der Gefässwan- dungen endigt. Einestheils setzt diese Erkrankung, wenn sie die Arterien in der Schädelhöhle befällt, bedeutende unmittelbare Circu- lationsstörungen im Gehirn, namentlich eine Verlangsamung des Kreislaufs in ihm; andrerseits kommen eben hier gleichzeitig die schwersten organischen Herzkrankheiten vor, deren übler Einfluss bekannt ist. Auch mit diesem Verhältnisse fällt die von den Schriftstellern als Ursache der Geisteskrankheiten aufgeführte Gicht zum Theil zusammen. — Die Cholämie ist zwar von sehr bedeutendem Einflusse auf die psychischen Thätigkeiten, namentlich sieht man Angst, Neigung zum Zorn und Zank, Gleichgültigkeit, bösartige Launen, später auch Delirien, beim acuten Icterus auftreten; indessen wüssten wir nicht, dass wirkliches Irresein hieraus zurückgeblieben oder sich entschieden als Folge chronischer Gelbsucht gebildet hätte. — Die Tuberculose wird im folgenden §. besprochen. — Was das Pellagra betrifft, welchem in Oberitalien etwa die Hälfte der Geisteskranken angehören soll, so wird man, bei den grossen Meinungsverschiedenheiten, die über diese Krankheit unter den Aerzten jener Gegenden selbst herrschen, einen Arzt, der dasselbe nicht selbst beobachtet hat, *) von einer näheren Besprechung desselben dispensiren. §. 85. 3) Unter den Erkrankungen der Eingeweide, welche eine secundäre Gehirnaffection mit dem Symptomencomplex des Irreseins setzen können, stehen oben an die Brustkrankheiten und unter ihnen wieder alle Erkrankungen des Herzens. **) Ungleiche Blut- vertheilung und ungleiche Schnelligkeit der Strömung in verschiedenen Organen sind ihre directen Folgen, aus denen sich rasch verlaufende *) Dieser Umstand hindert den Vf. auch, einen in Würtemberg beobachteten Fall, der sehr grosse Aehnlichkeit mit der Beschreibung der leichteren Grade des Pellagra hatte (tiefe Melancholie mit hartnäckigem, sehr schmerzhaftem Erythem der Extremitäten; Entstehung in grossem Elend und höchster physischer Vernach- lässigung unter Mitwirkung psychischer Ursachen) entschieden als Pellagra zu betrachten. Bekanntlich hat man in neuerer Zeit auch ausserhalb Oberitaliens, namentlich in Paris, zuverlässige, sporadische Fälle von Pellagra beobachtet. **) Vgl. §. 76. und das 2te Capitel der patholog. Anatomie. Nasse (von der psych. Beziehung des Herzens; in seiner Zeitschrift für psych. Aerzte. 1811 I. p. 49) hat zuerst diesen Punkt gehörig berücksichtigt. Von dort an finden sich allenthalben Angaben, die neueste von Lippich (Oestr. Jahrb. 1842. Juli. p. 32), namentlich in Bezug auf Italien, wo die Herzkrankheiten besonders häufig sein sollen. Vgl. auch die interessante Arbeit von Burrows über Gehirn- und Rücken- marks-Erkrankung während acuter Herzleiden. Gazette médic. 1843. Nro. 50.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/155>, abgerufen am 29.03.2024.