Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

der Gehirnhäute.
hirnsubstanz, ausserdem mechanische Hyperämie und Infiltration der Meningen zur
Folge. -- Die Bildung der organisirten Cystenwandungen scheint ebensowohl aus
der peripherischen Schichte des geronnenen Faserstoffs selbst als aus dem fibri-
nosen Exsudute einer im Umkreis des Blutcoagulums erst secundär entstandenen
Entzündung hervorgehen zu können.

Anders verhält sich die Sache bei einer nur unbedeutenden Quantität
des ergossenen Blutes. Diese geringen Ergüsse hinterlassen nach Aufsaugung
des flüssigen Antheils nur dünne, anfangs noch rostbraune und gelbe, später fast
ganz entfärbte Lamellen von geronnenem Faserstoff. In frischer Bildung beob-
achtet, bestehen sie aus einem Maschenwerke röthlicher Fäden, oft nur von
Spinnwebendicke, und noch mit kleinen Blutheerden vermischt; später erblassen
sie; eine Stratification in ihnen zeigt zuweilen ihren Ursprung aus mehren, suc-
cessiven Ergüssen, und der letzte, noch frischeste Erguss die hämorrhagische
Natur des Ganzen an. In geringster Menge und nach geschehener Transformation
bilden diese Blutergüsse endlich nur einen Anflug auf der Innenfläche der dura
mater, welcher leicht überschen oder irrig (als entzündliches Exsudat) gedeutet
werden kann.

Diese Blutergüsse in den Sack der Arachnoidea constituiren die, namentlich
von französischen Irrenärzten -- Calmeil *), Bayle **), Lelut ***), Boudet, Baillar-
ger, Aubanel +) -- vielfach bearbeiteten, sogenannten Pseudomembranen der
Arachnoidea
, womit indessen die Möglichkeit eines Vorkommens von rein
entzündlichen Pseudomembranen im Sacke der Arachnoidea nicht in Abrede ge-
zogen wird. Von jenen unterscheidet sich die Hämmorrhagie unter die Arach-
noidea wesentlich durch eine Verbreitung des Bluts, das sich mit dem Cerebrospi-
nalfluiduum mischt, in die Ventrikel und in den Rückenmarkscanal, durch das be-
ständige Fehlen der Pseudomembranen und durch eine weit schnellere Tödtlichkeit.

C. Die Pia Mater und die Gehirn-Rinde.
§. 141.

Die pathologischen Zustände beider sind so intim verbunden,
dass sie nothwendig eine beide zugleich zusammenfassende Abhand-
lung erfordern.

Was zuerst die Hyperämie der zarten Hirnhaut und der angren-
zenden Rindenschichten betrifft, so können wir nach eigener Erfah-
rung mit der Mehrzahl der Beobachter in dem Satze übereinstimmen,
dass dieselbe bei weitem der häufigste Befund in den Leichen Geistes-
kranker sei. Sie ist meist um so weniger mit anderweitigen Altera-
tionen verbunden, je frischer das Irresein war, in chronischen Fällen

*) Opp. citt.
**) Memoire sur les fausses membranes de l'arachnoide. Gaz. medic. 1836.
p. 1 seqq.
***) Des fausses membranes de l'arachnoide. Annal. med. psychol. 1843.
II. p. 55, 201.
+) Prus, Annal. med.-psychol. 1843. II. p. 131.

der Gehirnhäute.
hirnsubstanz, ausserdem mechanische Hyperämie und Infiltration der Meningen zur
Folge. — Die Bildung der organisirten Cystenwandungen scheint ebensowohl aus
der peripherischen Schichte des geronnenen Faserstoffs selbst als aus dem fibri-
nosen Exsudute einer im Umkreis des Blutcoagulums erst secundär entstandenen
Entzündung hervorgehen zu können.

Anders verhält sich die Sache bei einer nur unbedeutenden Quantität
des ergossenen Blutes. Diese geringen Ergüsse hinterlassen nach Aufsaugung
des flüssigen Antheils nur dünne, anfangs noch rostbraune und gelbe, später fast
ganz entfärbte Lamellen von geronnenem Faserstoff. In frischer Bildung beob-
achtet, bestehen sie aus einem Maschenwerke röthlicher Fäden, oft nur von
Spinnwebendicke, und noch mit kleinen Blutheerden vermischt; später erblassen
sie; eine Stratification in ihnen zeigt zuweilen ihren Ursprung aus mehren, suc-
cessiven Ergüssen, und der letzte, noch frischeste Erguss die hämorrhagische
Natur des Ganzen an. In geringster Menge und nach geschehener Transformation
bilden diese Blutergüsse endlich nur einen Anflug auf der Innenfläche der dura
mater, welcher leicht überschen oder irrig (als entzündliches Exsudat) gedeutet
werden kann.

Diese Blutergüsse in den Sack der Arachnoidea constituiren die, namentlich
von französischen Irrenärzten — Calmeil *), Bayle **), Lélut ***), Boudet, Baillar-
ger, Aubanel †) — vielfach bearbeiteten, sogenannten Pseudomembranen der
Arachnoidea
, womit indessen die Möglichkeit eines Vorkommens von rein
entzündlichen Pseudomembranen im Sacke der Arachnoidea nicht in Abrede ge-
zogen wird. Von jenen unterscheidet sich die Hämmorrhagie unter die Arach-
noidea wesentlich durch eine Verbreitung des Bluts, das sich mit dem Cerebrospi-
nalfluiduum mischt, in die Ventrikel und in den Rückenmarkscanal, durch das be-
ständige Fehlen der Pseudomembranen und durch eine weit schnellere Tödtlichkeit.

C. Die Pia Mater und die Gehirn-Rinde.
§. 141.

Die pathologischen Zustände beider sind so intim verbunden,
dass sie nothwendig eine beide zugleich zusammenfassende Abhand-
lung erfordern.

Was zuerst die Hyperämie der zarten Hirnhaut und der angren-
zenden Rindenschichten betrifft, so können wir nach eigener Erfah-
rung mit der Mehrzahl der Beobachter in dem Satze übereinstimmen,
dass dieselbe bei weitem der häufigste Befund in den Leichen Geistes-
kranker sei. Sie ist meist um so weniger mit anderweitigen Altera-
tionen verbunden, je frischer das Irresein war, in chronischen Fällen

*) Opp. citt.
**) Mémoire sur les fausses membranes de l’arachnoide. Gaz. medic. 1836.
p. 1 seqq.
***) Des fausses membranes de l’arachnoide. Annal. med. psychol. 1843.
II. p. 55, 201.
†) Prus, Annal. med.-psychol. 1843. II. p. 131.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0317" n="303"/><fw place="top" type="header">der Gehirnhäute.</fw><lb/>
hirnsubstanz, ausserdem mechanische Hyperämie und Infiltration der Meningen zur<lb/>
Folge. &#x2014; Die Bildung der organisirten Cystenwandungen scheint ebensowohl aus<lb/>
der peripherischen Schichte des geronnenen Faserstoffs selbst als aus dem fibri-<lb/>
nosen Exsudute einer im Umkreis des Blutcoagulums erst secundär entstandenen<lb/>
Entzündung hervorgehen zu können.</p><lb/>
              <p>Anders verhält sich die Sache bei einer nur <hi rendition="#g">unbedeutenden Quantität</hi><lb/>
des ergossenen Blutes. Diese geringen Ergüsse hinterlassen nach Aufsaugung<lb/>
des flüssigen Antheils nur dünne, anfangs noch rostbraune und gelbe, später fast<lb/>
ganz entfärbte Lamellen von geronnenem Faserstoff. In frischer Bildung beob-<lb/>
achtet, bestehen sie aus einem Maschenwerke röthlicher Fäden, oft nur von<lb/>
Spinnwebendicke, und noch mit kleinen Blutheerden vermischt; später erblassen<lb/>
sie; eine Stratification in ihnen zeigt zuweilen ihren Ursprung aus mehren, suc-<lb/>
cessiven Ergüssen, und der letzte, noch frischeste Erguss die hämorrhagische<lb/>
Natur des Ganzen an. In geringster Menge und nach geschehener Transformation<lb/>
bilden diese Blutergüsse endlich nur einen Anflug auf der Innenfläche der dura<lb/>
mater, welcher leicht überschen oder irrig (als entzündliches Exsudat) gedeutet<lb/>
werden kann.</p><lb/>
              <p>Diese Blutergüsse in den Sack der Arachnoidea constituiren die, namentlich<lb/>
von französischen Irrenärzten &#x2014; Calmeil <note place="foot" n="*)">Opp. citt.</note>, Bayle <note place="foot" n="**)">Mémoire sur les fausses membranes de l&#x2019;arachnoide. Gaz. medic. 1836.<lb/>
p. 1 seqq.</note>, Lélut <note place="foot" n="***)">Des fausses membranes de l&#x2019;arachnoide. Annal. med. psychol. 1843.<lb/>
II. p. 55, 201.</note>, Boudet, Baillar-<lb/>
ger, Aubanel <note place="foot" n="&#x2020;)">Prus, Annal. med.-psychol. 1843. II. p. 131.</note> &#x2014; vielfach bearbeiteten, sogenannten <hi rendition="#g">Pseudomembranen der<lb/>
Arachnoidea</hi>, womit indessen die Möglichkeit eines Vorkommens von rein<lb/>
entzündlichen Pseudomembranen im Sacke der Arachnoidea nicht in Abrede ge-<lb/>
zogen wird. Von jenen unterscheidet sich die Hämmorrhagie <hi rendition="#g">unter</hi> die Arach-<lb/>
noidea wesentlich durch eine Verbreitung des Bluts, das sich mit dem Cerebrospi-<lb/>
nalfluiduum mischt, in die Ventrikel und in den Rückenmarkscanal, durch das be-<lb/>
ständige Fehlen der Pseudomembranen und durch eine weit schnellere Tödtlichkeit.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#i">C.</hi> Die Pia Mater und die Gehirn-Rinde.</head><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 141.</head><lb/>
              <p>Die pathologischen Zustände beider sind so intim verbunden,<lb/>
dass sie nothwendig eine beide zugleich zusammenfassende Abhand-<lb/>
lung erfordern.</p><lb/>
              <p>Was zuerst die Hyperämie der zarten Hirnhaut und der angren-<lb/>
zenden Rindenschichten betrifft, so können wir nach eigener Erfah-<lb/>
rung mit der Mehrzahl der Beobachter in dem Satze übereinstimmen,<lb/>
dass dieselbe bei weitem der häufigste Befund in den Leichen Geistes-<lb/>
kranker sei. Sie ist meist um so weniger mit anderweitigen Altera-<lb/>
tionen verbunden, je frischer das Irresein war, in chronischen Fällen<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[303/0317] der Gehirnhäute. hirnsubstanz, ausserdem mechanische Hyperämie und Infiltration der Meningen zur Folge. — Die Bildung der organisirten Cystenwandungen scheint ebensowohl aus der peripherischen Schichte des geronnenen Faserstoffs selbst als aus dem fibri- nosen Exsudute einer im Umkreis des Blutcoagulums erst secundär entstandenen Entzündung hervorgehen zu können. Anders verhält sich die Sache bei einer nur unbedeutenden Quantität des ergossenen Blutes. Diese geringen Ergüsse hinterlassen nach Aufsaugung des flüssigen Antheils nur dünne, anfangs noch rostbraune und gelbe, später fast ganz entfärbte Lamellen von geronnenem Faserstoff. In frischer Bildung beob- achtet, bestehen sie aus einem Maschenwerke röthlicher Fäden, oft nur von Spinnwebendicke, und noch mit kleinen Blutheerden vermischt; später erblassen sie; eine Stratification in ihnen zeigt zuweilen ihren Ursprung aus mehren, suc- cessiven Ergüssen, und der letzte, noch frischeste Erguss die hämorrhagische Natur des Ganzen an. In geringster Menge und nach geschehener Transformation bilden diese Blutergüsse endlich nur einen Anflug auf der Innenfläche der dura mater, welcher leicht überschen oder irrig (als entzündliches Exsudat) gedeutet werden kann. Diese Blutergüsse in den Sack der Arachnoidea constituiren die, namentlich von französischen Irrenärzten — Calmeil *), Bayle **), Lélut ***), Boudet, Baillar- ger, Aubanel †) — vielfach bearbeiteten, sogenannten Pseudomembranen der Arachnoidea, womit indessen die Möglichkeit eines Vorkommens von rein entzündlichen Pseudomembranen im Sacke der Arachnoidea nicht in Abrede ge- zogen wird. Von jenen unterscheidet sich die Hämmorrhagie unter die Arach- noidea wesentlich durch eine Verbreitung des Bluts, das sich mit dem Cerebrospi- nalfluiduum mischt, in die Ventrikel und in den Rückenmarkscanal, durch das be- ständige Fehlen der Pseudomembranen und durch eine weit schnellere Tödtlichkeit. C. Die Pia Mater und die Gehirn-Rinde. §. 141. Die pathologischen Zustände beider sind so intim verbunden, dass sie nothwendig eine beide zugleich zusammenfassende Abhand- lung erfordern. Was zuerst die Hyperämie der zarten Hirnhaut und der angren- zenden Rindenschichten betrifft, so können wir nach eigener Erfah- rung mit der Mehrzahl der Beobachter in dem Satze übereinstimmen, dass dieselbe bei weitem der häufigste Befund in den Leichen Geistes- kranker sei. Sie ist meist um so weniger mit anderweitigen Altera- tionen verbunden, je frischer das Irresein war, in chronischen Fällen *) Opp. citt. **) Mémoire sur les fausses membranes de l’arachnoide. Gaz. medic. 1836. p. 1 seqq. ***) Des fausses membranes de l’arachnoide. Annal. med. psychol. 1843. II. p. 55, 201. †) Prus, Annal. med.-psychol. 1843. II. p. 131.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/317
Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/317>, abgerufen am 29.03.2024.