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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Pathologische Anatomie des acuten,
aber ist unseres Erachtens kein Grund vorhanden, jenem resignirenden
Ausspruche beizupflichten, den Esquirol gegen das Ende seiner ruhm-
vollen Laufbahn (a. 1835) that: dass die Sectionen ohne Nutzen ge-
wesen seien für die Feststellung der materiellen Bedingungen des
Irreseins; schon jetzt lassen sich ihnen für die Theorie, für Diagnose,
Prognose und Therapie wichtige Folgerungen entnehmen. Indem
wir in Folgendem von seltenen und vereinzelten Wahrnehmungen ganz
absehen, und nur die grösseren, constatirten Ergebnisse, die negativen
so gut als die positiven im Auge behalten, wollen wir versuchen, die
verschiedenen Zustände psychischer Krankheit mit den ihnen am
häufigsten entsprechenden anatomischen Ergebnisse resümirend zu-
sammenzuhalten. Wir theilen zu diesem Behufe die Fälle von Irresein
in drei Categorien, 1) acute, frische Fälle in der Form der Melancholie
und Manie, 2) chronische Fälle verschleppter, abgeschwächter Melan-
cholie und Manie, Verrücktheit und Blödsinn. 3) Paralytischer Blödsinn.

§. 147.
I. Acutes Irresein.

1) Da eine ziemliche Anzahl dieser Fälle dem Ansehen nach
ganz gesunde Gehirne auf den Sectionstisch liefert, so muss beim
gegenwärtigen Zustand der Wissenschaft angenommen werden, dass
sie ziemlich oft auf einer bloss nervösen Cerebral-Irritation beruhen.

2) Da die Hyperämie des ganzen Gehirns und besonders die
einfachen und ecchymosirten Hyperämieen der zarten Gehirnhäute
und der grauen Rinde mit ihren nächsten Folgen die häufigste Läsion
abgeben, welche sich findet, so ist dieser Zustand für sehr viele Fälle
als die anatomische Grundlage der Symptome anzusehen.

3) Diese Hyperämie ist häufig von Verdickung und Trübung
der zarten Hirnhäute, dem Resultat einer chronischen Stase begleitet.
Dieses Ergebniss mag oft aus denselben Ursachen wie jene Hyperämie
selbst hervorgehen, oft aber mag sie das Resultat lange früher vor-
ausgegangener congestionirender Momente (s. g. Ursachen des Irreseins,
Trunksucht, andauernde Affecte, Herzkrankheiten etc.) sein. Diese
Alteration selbst hat begreiflich keine eigenen psychischen Symptome.

4) Durchgreifende, constante Unterschiede zwischen Melancholie
und Manie gibt es von anatomischer Seite nicht; aber die Störungen
für beide Formen sind desshalb doch nicht ganz die gleichen.

sche Anatomie des Irreseins; nur sind sie leider fast ohne Frwähnung der Sym-
ptome während des Lebens mitgetheilt.

Pathologische Anatomie des acuten,
aber ist unseres Erachtens kein Grund vorhanden, jenem resignirenden
Ausspruche beizupflichten, den Esquirol gegen das Ende seiner ruhm-
vollen Laufbahn (a. 1835) that: dass die Sectionen ohne Nutzen ge-
wesen seien für die Feststellung der materiellen Bedingungen des
Irreseins; schon jetzt lassen sich ihnen für die Theorie, für Diagnose,
Prognose und Therapie wichtige Folgerungen entnehmen. Indem
wir in Folgendem von seltenen und vereinzelten Wahrnehmungen ganz
absehen, und nur die grösseren, constatirten Ergebnisse, die negativen
so gut als die positiven im Auge behalten, wollen wir versuchen, die
verschiedenen Zustände psychischer Krankheit mit den ihnen am
häufigsten entsprechenden anatomischen Ergebnisse resümirend zu-
sammenzuhalten. Wir theilen zu diesem Behufe die Fälle von Irresein
in drei Categorien, 1) acute, frische Fälle in der Form der Melancholie
und Manie, 2) chronische Fälle verschleppter, abgeschwächter Melan-
cholie und Manie, Verrücktheit und Blödsinn. 3) Paralytischer Blödsinn.

§. 147.
I. Acutes Irresein.

1) Da eine ziemliche Anzahl dieser Fälle dem Ansehen nach
ganz gesunde Gehirne auf den Sectionstisch liefert, so muss beim
gegenwärtigen Zustand der Wissenschaft angenommen werden, dass
sie ziemlich oft auf einer bloss nervösen Cerebral-Irritation beruhen.

2) Da die Hyperämie des ganzen Gehirns und besonders die
einfachen und ecchymosirten Hyperämieen der zarten Gehirnhäute
und der grauen Rinde mit ihren nächsten Folgen die häufigste Läsion
abgeben, welche sich findet, so ist dieser Zustand für sehr viele Fälle
als die anatomische Grundlage der Symptome anzusehen.

3) Diese Hyperämie ist häufig von Verdickung und Trübung
der zarten Hirnhäute, dem Resultat einer chronischen Stase begleitet.
Dieses Ergebniss mag oft aus denselben Ursachen wie jene Hyperämie
selbst hervorgehen, oft aber mag sie das Resultat lange früher vor-
ausgegangener congestionirender Momente (s. g. Ursachen des Irreseins,
Trunksucht, andauernde Affecte, Herzkrankheiten etc.) sein. Diese
Alteration selbst hat begreiflich keine eigenen psychischen Symptome.

4) Durchgreifende, constante Unterschiede zwischen Melancholie
und Manie gibt es von anatomischer Seite nicht; aber die Störungen
für beide Formen sind desshalb doch nicht ganz die gleichen.

sche Anatomie des Irreseins; nur sind sie leider fast ohne Frwähnung der Sym-
ptome während des Lebens mitgetheilt.
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[316/0330] Pathologische Anatomie des acuten, aber ist unseres Erachtens kein Grund vorhanden, jenem resignirenden Ausspruche beizupflichten, den Esquirol gegen das Ende seiner ruhm- vollen Laufbahn (a. 1835) that: dass die Sectionen ohne Nutzen ge- wesen seien für die Feststellung der materiellen Bedingungen des Irreseins; schon jetzt lassen sich ihnen für die Theorie, für Diagnose, Prognose und Therapie wichtige Folgerungen entnehmen. Indem wir in Folgendem von seltenen und vereinzelten Wahrnehmungen ganz absehen, und nur die grösseren, constatirten Ergebnisse, die negativen so gut als die positiven im Auge behalten, wollen wir versuchen, die verschiedenen Zustände psychischer Krankheit mit den ihnen am häufigsten entsprechenden anatomischen Ergebnisse resümirend zu- sammenzuhalten. Wir theilen zu diesem Behufe die Fälle von Irresein in drei Categorien, 1) acute, frische Fälle in der Form der Melancholie und Manie, 2) chronische Fälle verschleppter, abgeschwächter Melan- cholie und Manie, Verrücktheit und Blödsinn. 3) Paralytischer Blödsinn. §. 147. I. Acutes Irresein. 1) Da eine ziemliche Anzahl dieser Fälle dem Ansehen nach ganz gesunde Gehirne auf den Sectionstisch liefert, so muss beim gegenwärtigen Zustand der Wissenschaft angenommen werden, dass sie ziemlich oft auf einer bloss nervösen Cerebral-Irritation beruhen. 2) Da die Hyperämie des ganzen Gehirns und besonders die einfachen und ecchymosirten Hyperämieen der zarten Gehirnhäute und der grauen Rinde mit ihren nächsten Folgen die häufigste Läsion abgeben, welche sich findet, so ist dieser Zustand für sehr viele Fälle als die anatomische Grundlage der Symptome anzusehen. 3) Diese Hyperämie ist häufig von Verdickung und Trübung der zarten Hirnhäute, dem Resultat einer chronischen Stase begleitet. Dieses Ergebniss mag oft aus denselben Ursachen wie jene Hyperämie selbst hervorgehen, oft aber mag sie das Resultat lange früher vor- ausgegangener congestionirender Momente (s. g. Ursachen des Irreseins, Trunksucht, andauernde Affecte, Herzkrankheiten etc.) sein. Diese Alteration selbst hat begreiflich keine eigenen psychischen Symptome. 4) Durchgreifende, constante Unterschiede zwischen Melancholie und Manie gibt es von anatomischer Seite nicht; aber die Störungen für beide Formen sind desshalb doch nicht ganz die gleichen. ***) ***) sche Anatomie des Irreseins; nur sind sie leider fast ohne Frwähnung der Sym- ptome während des Lebens mitgetheilt.

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/330>, abgerufen am 23.04.2024.