Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Nostalgie.
und Verhärtung der Prostata, Abscesse in derselben, Obliteration der ductus
ejaculatorii mit Erweiterung des Samenbläschen und des vas deferens nach (des
pertes seminales. I. p. 64).

Einige Fälle von Wahn der Geschlechtsumänderung erzählt Leuret (Frag-
ments, p. 114 seqq.). Diese Fälle sind im Ganzen nicht häufig; um so häufiger
findet man in den französischen Anstalten, z. B. in der Salpetriere den Wahn,
dass die umgebenden weiblichen Kranken Männer seien.

3) Eine weitere Unterart ist die Melancholie, welche sich durch
Sehnsucht nach der Heimath und durch das Vorherrschen der auf
die Rückkehr nach Hause bezüglichen Vorstellungen characterisirt,
-- das Heimweh. Eine ähnliche Affection bildet sich auch
in den Gefängnissen bei mangelnder Beschäftigung, oft unter Mit-
wirkung von schlechter Nahrung, Feuchtigkeit und Onanie aus. Die
nostalgische Melancholie kommt zuweilen mit auffallender Kopfcon-
gestion, ja wirklicher Gehirn-Entzündung vor (Larrey); auch in dieser
Form treten entsprechende Hallucinationen (Gesichte der Heimath-
gegenden etc.) auf. Nicht selten werden von Menschen, welche an
mässigeren oder höheren Graden von Heimweh leiden, gewaltthätige
Handlungen begangen, (namentlich Tödtung kleiner Kinder und Brand-
stiftung durch Dienstboten), die noch öfter aus evident selbstsüchtigen
Motiven, namentlich dem Bestreben, aus einer aufgedrungenen unange-
nehmen Lage wegzukommen, als aus dem, auch sonst unwillkühr-
lich auftretenden Drange der Melancholischen, sich durch die
Verübung einer auffallenden Unthat eine Art von Erleichterung zu
verschaffen, hervorgehen.

Von grösserer Wichtigkeit ist die Aufstellung von verschiedenen
Arten der Melancholie, nach dem verschiedenen Verhalten der
motorischen Seite des Seelenlebens
, des Wollens und Han-
delns. Die bisher betrachteten Zustände können nemlich nach zwei
verschiedenen, zum Theil entgegengesetzten Seiten hin wichtige Modifi-
cationen erleiden; einerseits können sie sich zu einem Zustande noch
tieferen Insichversunkenseins mit völliger Willenlosigkeit oder viel-
mehr krampfhaft, tetanisch festgehaltener Strebung fortentwickeln;
andrerseits treten in ihnen neue, der negativen Allgemeinstimmung ent-
sprechende Triebe und Willenserregungen auf, die entweder nur
in einzelnen, sporadischen Gewaltthaten, oder in einer anhaltenden
äusseren Unruhe und Aufregung explodiren, wo dann wieder mit dem
letzteren Verhalten die Schwermuth in die Form der Tobsucht übergeht.

Wir können demgemäss als Hauptarten der Schwermuth folgende
Formen aufstellen:

Nostalgie.
und Verhärtung der Prostata, Abscesse in derselben, Obliteration der ductus
ejaculatorii mit Erweiterung des Samenbläschen und des vas deferens nach (des
pertes séminales. I. p. 64).

Einige Fälle von Wahn der Geschlechtsumänderung erzählt Leuret (Frag-
ments, p. 114 seqq.). Diese Fälle sind im Ganzen nicht häufig; um so häufiger
findet man in den französischen Anstalten, z. B. in der Salpetrière den Wahn,
dass die umgebenden weiblichen Kranken Männer seien.

3) Eine weitere Unterart ist die Melancholie, welche sich durch
Sehnsucht nach der Heimath und durch das Vorherrschen der auf
die Rückkehr nach Hause bezüglichen Vorstellungen characterisirt,
das Heimweh. Eine ähnliche Affection bildet sich auch
in den Gefängnissen bei mangelnder Beschäftigung, oft unter Mit-
wirkung von schlechter Nahrung, Feuchtigkeit und Onanie aus. Die
nostalgische Melancholie kommt zuweilen mit auffallender Kopfcon-
gestion, ja wirklicher Gehirn-Entzündung vor (Larrey); auch in dieser
Form treten entsprechende Hallucinationen (Gesichte der Heimath-
gegenden etc.) auf. Nicht selten werden von Menschen, welche an
mässigeren oder höheren Graden von Heimweh leiden, gewaltthätige
Handlungen begangen, (namentlich Tödtung kleiner Kinder und Brand-
stiftung durch Dienstboten), die noch öfter aus evident selbstsüchtigen
Motiven, namentlich dem Bestreben, aus einer aufgedrungenen unange-
nehmen Lage wegzukommen, als aus dem, auch sonst unwillkühr-
lich auftretenden Drange der Melancholischen, sich durch die
Verübung einer auffallenden Unthat eine Art von Erleichterung zu
verschaffen, hervorgehen.

Von grösserer Wichtigkeit ist die Aufstellung von verschiedenen
Arten der Melancholie, nach dem verschiedenen Verhalten der
motorischen Seite des Seelenlebens
, des Wollens und Han-
delns. Die bisher betrachteten Zustände können nemlich nach zwei
verschiedenen, zum Theil entgegengesetzten Seiten hin wichtige Modifi-
cationen erleiden; einerseits können sie sich zu einem Zustande noch
tieferen Insichversunkenseins mit völliger Willenlosigkeit oder viel-
mehr krampfhaft, tetanisch festgehaltener Strebung fortentwickeln;
andrerseits treten in ihnen neue, der negativen Allgemeinstimmung ent-
sprechende Triebe und Willenserregungen auf, die entweder nur
in einzelnen, sporadischen Gewaltthaten, oder in einer anhaltenden
äusseren Unruhe und Aufregung explodiren, wo dann wieder mit dem
letzteren Verhalten die Schwermuth in die Form der Tobsucht übergeht.

Wir können demgemäss als Hauptarten der Schwermuth folgende
Formen aufstellen:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0199" n="185"/><fw place="top" type="header">Nostalgie.</fw><lb/>
und Verhärtung der Prostata, Abscesse in derselben, Obliteration der ductus<lb/>
ejaculatorii mit Erweiterung des Samenbläschen und des vas deferens nach (des<lb/>
pertes séminales. I. p. 64).</p><lb/>
              <p>Einige Fälle von Wahn der Geschlechtsumänderung erzählt Leuret (Frag-<lb/>
ments, p. 114 seqq.). Diese Fälle sind im Ganzen nicht häufig; um so häufiger<lb/>
findet man in den französischen Anstalten, z. B. in der Salpetrière den Wahn,<lb/>
dass die <hi rendition="#g">umgebenden</hi> weiblichen Kranken Männer seien.</p><lb/>
              <p>3) Eine weitere Unterart ist die Melancholie, welche sich durch<lb/>
Sehnsucht nach der Heimath und durch das Vorherrschen der auf<lb/>
die Rückkehr nach Hause bezüglichen Vorstellungen characterisirt,<lb/>
&#x2014; <hi rendition="#g">das Heimweh</hi>. Eine ähnliche Affection bildet sich auch<lb/>
in den Gefängnissen bei mangelnder Beschäftigung, oft unter Mit-<lb/>
wirkung von schlechter Nahrung, Feuchtigkeit und Onanie aus. Die<lb/>
nostalgische Melancholie kommt zuweilen mit auffallender Kopfcon-<lb/>
gestion, ja wirklicher Gehirn-Entzündung vor (Larrey); auch in dieser<lb/>
Form treten entsprechende Hallucinationen (Gesichte der Heimath-<lb/>
gegenden etc.) auf. Nicht selten werden von Menschen, welche an<lb/>
mässigeren oder höheren Graden von Heimweh leiden, gewaltthätige<lb/>
Handlungen begangen, (namentlich Tödtung kleiner Kinder und Brand-<lb/>
stiftung durch Dienstboten), die noch öfter aus evident selbstsüchtigen<lb/>
Motiven, namentlich dem Bestreben, aus einer aufgedrungenen unange-<lb/>
nehmen Lage wegzukommen, als aus dem, auch sonst unwillkühr-<lb/>
lich auftretenden Drange der Melancholischen, sich durch die<lb/>
Verübung einer auffallenden Unthat eine Art von Erleichterung zu<lb/>
verschaffen, hervorgehen.</p><lb/>
              <p>Von grösserer Wichtigkeit ist die Aufstellung von verschiedenen<lb/>
Arten der Melancholie, nach dem <hi rendition="#g">verschiedenen Verhalten der<lb/>
motorischen Seite des Seelenlebens</hi>, des Wollens und Han-<lb/>
delns. Die bisher betrachteten Zustände können nemlich nach zwei<lb/>
verschiedenen, zum Theil entgegengesetzten Seiten hin wichtige Modifi-<lb/>
cationen erleiden; einerseits können sie sich zu einem Zustande noch<lb/>
tieferen Insichversunkenseins mit völliger <hi rendition="#g">Willenlosigkeit</hi> oder viel-<lb/>
mehr krampfhaft, tetanisch festgehaltener Strebung fortentwickeln;<lb/>
andrerseits treten in ihnen neue, der negativen Allgemeinstimmung ent-<lb/>
sprechende <hi rendition="#g">Triebe</hi> und <hi rendition="#g">Willenserregungen</hi> auf, die entweder nur<lb/>
in einzelnen, sporadischen Gewaltthaten, oder in einer anhaltenden<lb/>
äusseren Unruhe und Aufregung explodiren, wo dann wieder mit dem<lb/>
letzteren Verhalten die Schwermuth in die Form der Tobsucht übergeht.</p><lb/>
              <p>Wir können demgemäss als Hauptarten der Schwermuth folgende<lb/>
Formen aufstellen:</p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[185/0199] Nostalgie. und Verhärtung der Prostata, Abscesse in derselben, Obliteration der ductus ejaculatorii mit Erweiterung des Samenbläschen und des vas deferens nach (des pertes séminales. I. p. 64). Einige Fälle von Wahn der Geschlechtsumänderung erzählt Leuret (Frag- ments, p. 114 seqq.). Diese Fälle sind im Ganzen nicht häufig; um so häufiger findet man in den französischen Anstalten, z. B. in der Salpetrière den Wahn, dass die umgebenden weiblichen Kranken Männer seien. 3) Eine weitere Unterart ist die Melancholie, welche sich durch Sehnsucht nach der Heimath und durch das Vorherrschen der auf die Rückkehr nach Hause bezüglichen Vorstellungen characterisirt, — das Heimweh. Eine ähnliche Affection bildet sich auch in den Gefängnissen bei mangelnder Beschäftigung, oft unter Mit- wirkung von schlechter Nahrung, Feuchtigkeit und Onanie aus. Die nostalgische Melancholie kommt zuweilen mit auffallender Kopfcon- gestion, ja wirklicher Gehirn-Entzündung vor (Larrey); auch in dieser Form treten entsprechende Hallucinationen (Gesichte der Heimath- gegenden etc.) auf. Nicht selten werden von Menschen, welche an mässigeren oder höheren Graden von Heimweh leiden, gewaltthätige Handlungen begangen, (namentlich Tödtung kleiner Kinder und Brand- stiftung durch Dienstboten), die noch öfter aus evident selbstsüchtigen Motiven, namentlich dem Bestreben, aus einer aufgedrungenen unange- nehmen Lage wegzukommen, als aus dem, auch sonst unwillkühr- lich auftretenden Drange der Melancholischen, sich durch die Verübung einer auffallenden Unthat eine Art von Erleichterung zu verschaffen, hervorgehen. Von grösserer Wichtigkeit ist die Aufstellung von verschiedenen Arten der Melancholie, nach dem verschiedenen Verhalten der motorischen Seite des Seelenlebens, des Wollens und Han- delns. Die bisher betrachteten Zustände können nemlich nach zwei verschiedenen, zum Theil entgegengesetzten Seiten hin wichtige Modifi- cationen erleiden; einerseits können sie sich zu einem Zustande noch tieferen Insichversunkenseins mit völliger Willenlosigkeit oder viel- mehr krampfhaft, tetanisch festgehaltener Strebung fortentwickeln; andrerseits treten in ihnen neue, der negativen Allgemeinstimmung ent- sprechende Triebe und Willenserregungen auf, die entweder nur in einzelnen, sporadischen Gewaltthaten, oder in einer anhaltenden äusseren Unruhe und Aufregung explodiren, wo dann wieder mit dem letzteren Verhalten die Schwermuth in die Form der Tobsucht übergeht. Wir können demgemäss als Hauptarten der Schwermuth folgende Formen aufstellen:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/199
Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/199>, abgerufen am 16.04.2024.