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Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845.

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Pathologische Anatomie

Die veränderte Lage des Colon ward besonders von Esquirol
(Journal de medec. 1820. Bd. 62. 63. und im ersten Band der Geistes-
krankheiten, und Bergmann l. c.) als häufig bei Geisteskranken vor-
kommend gewürdigt. Die Sache besteht meist darin, dass das Quer-
colon, in seiner Mitte oder mit seiner linken Hälfte bis in die Regio
hypogastrica, hinter die Symphysis oder selbst ins Becken herabge-
sunken ist und dann wieder steil gegen die Milz heraufsteigt. Sie
soll besonders bei Melancholischen vorkommen, und als Ursache der
ziehenden, spannenden Bauchschmerzen, woran diese Kranken zu-
weilen leiden, gelten. Ihr nicht seltenes Vorkommen bei Nicht-Irren
steht ausser Zweifel; ihre Ursache ist nicht gehörig bekannt; der
Darm wird meist leer und sonst von normaler Beschaffenheit gefunden.
Die Meisten sehen sie als eine ursprüngliche regelwidrige Länge des
Dickdarms an; Georget *) will sie von Erschlaffung des Peritoneum
herleiten.

Als weitere Störungen in der Bauchhöhle sind zu erwähnen: in
erster Reihe die Hypertrophie der Gangliennerven, welche in einzelnen
Fällen gefunden wurde, so von Rokitansky (II. p. 871) "beträchtliche
Volumsvermehrung der centralen Bauchganglien in einem Fall von
eminenter Hypochondriasis neben allgemeiner Tabes;" dann Anomalieen
der Eingeweide: der Vorfall des Mastdarms, den Bergmann oft bei
Blödsinnigen mit sehr träger Darmfunction entstehen sah; der Magen-
krebs (Esquirol sah ihn bei einer Frau, welche glaubte, ein Thier
im Magen zu haben), die alten peritonitischen Adhäsionen und Darm-
Verwachsungen, wo gleichfalls die dunkeln, schmerzhaften Empfin-
dungen den Stoff zu einzelnen Delirien abgeben können (eine derartige
Kranke Esquirol's gab an, den Pontius Pilatus, alle Personen der
ganzen Bibel und ein Concil von Päpsten, eine Andere, mehre Teufel
im Bauche zu haben) etc. Die fremden Körper im Darmcanal, z. B.
Kieselsteine in einzelnen Beispielen in unglaublicher Menge verschlun-
gen, verschluckte ganze Löffel und dgl.; die organischen Erkrankun-
gen der Leber, des Pancreas (das letztere von Jessen häufig erkrankt
gefunden, namentlich bei Kranken, die viel salivirten) **); die Entozoen
des Darms, zuweilen an ganz ungewohnten Orten ***); Krankheiten

*) Dictionnaire en 25 vol. Tom. XIII. Art. Folie. p. 302.
**) Jakobi und Nasse, Zeitschr. I. 1838. p. 682.
***) Hayner (Nasse, Zeitschr. f. psych. Aerzte. 1818. Heft 4.) erzählt den
Fall eines Kranken, der verhungern zu müssen glaubte, und über etwas Leben-
diges in der Magengegend klagte, das von da in den Schlund heraufstiege. Man
fand in den Gallengängen der Leber 7 todte Spulwürmer, einen achten
Pathologische Anatomie

Die veränderte Lage des Colon ward besonders von Esquirol
(Journal de médec. 1820. Bd. 62. 63. und im ersten Band der Geistes-
krankheiten, und Bergmann l. c.) als häufig bei Geisteskranken vor-
kommend gewürdigt. Die Sache besteht meist darin, dass das Quer-
colon, in seiner Mitte oder mit seiner linken Hälfte bis in die Regio
hypogastrica, hinter die Symphysis oder selbst ins Becken herabge-
sunken ist und dann wieder steil gegen die Milz heraufsteigt. Sie
soll besonders bei Melancholischen vorkommen, und als Ursache der
ziehenden, spannenden Bauchschmerzen, woran diese Kranken zu-
weilen leiden, gelten. Ihr nicht seltenes Vorkommen bei Nicht-Irren
steht ausser Zweifel; ihre Ursache ist nicht gehörig bekannt; der
Darm wird meist leer und sonst von normaler Beschaffenheit gefunden.
Die Meisten sehen sie als eine ursprüngliche regelwidrige Länge des
Dickdarms an; Georget *) will sie von Erschlaffung des Peritoneum
herleiten.

Als weitere Störungen in der Bauchhöhle sind zu erwähnen: in
erster Reihe die Hypertrophie der Gangliennerven, welche in einzelnen
Fällen gefunden wurde, so von Rokitansky (II. p. 871) „beträchtliche
Volumsvermehrung der centralen Bauchganglien in einem Fall von
eminenter Hypochondriasis neben allgemeiner Tabes;“ dann Anomalieen
der Eingeweide: der Vorfall des Mastdarms, den Bergmann oft bei
Blödsinnigen mit sehr träger Darmfunction entstehen sah; der Magen-
krebs (Esquirol sah ihn bei einer Frau, welche glaubte, ein Thier
im Magen zu haben), die alten peritonitischen Adhäsionen und Darm-
Verwachsungen, wo gleichfalls die dunkeln, schmerzhaften Empfin-
dungen den Stoff zu einzelnen Delirien abgeben können (eine derartige
Kranke Esquirol’s gab an, den Pontius Pilatus, alle Personen der
ganzen Bibel und ein Concil von Päpsten, eine Andere, mehre Teufel
im Bauche zu haben) etc. Die fremden Körper im Darmcanal, z. B.
Kieselsteine in einzelnen Beispielen in unglaublicher Menge verschlun-
gen, verschluckte ganze Löffel und dgl.; die organischen Erkrankun-
gen der Leber, des Pancreas (das letztere von Jessen häufig erkrankt
gefunden, namentlich bei Kranken, die viel salivirten) **); die Entozoen
des Darms, zuweilen an ganz ungewohnten Orten ***); Krankheiten

*) Dictionnaire en 25 vol. Tom. XIII. Art. Folie. p. 302.
**) Jakobi und Nasse, Zeitschr. I. 1838. p. 682.
***) Hayner (Nasse, Zeitschr. f. psych. Aerzte. 1818. Heft 4.) erzählt den
Fall eines Kranken, der verhungern zu müssen glaubte, und über etwas Leben-
diges in der Magengegend klagte, das von da in den Schlund heraufstiege. Man
fand in den Gallengängen der Leber 7 todte Spulwürmer, einen achten
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[328/0342] Pathologische Anatomie Die veränderte Lage des Colon ward besonders von Esquirol (Journal de médec. 1820. Bd. 62. 63. und im ersten Band der Geistes- krankheiten, und Bergmann l. c.) als häufig bei Geisteskranken vor- kommend gewürdigt. Die Sache besteht meist darin, dass das Quer- colon, in seiner Mitte oder mit seiner linken Hälfte bis in die Regio hypogastrica, hinter die Symphysis oder selbst ins Becken herabge- sunken ist und dann wieder steil gegen die Milz heraufsteigt. Sie soll besonders bei Melancholischen vorkommen, und als Ursache der ziehenden, spannenden Bauchschmerzen, woran diese Kranken zu- weilen leiden, gelten. Ihr nicht seltenes Vorkommen bei Nicht-Irren steht ausser Zweifel; ihre Ursache ist nicht gehörig bekannt; der Darm wird meist leer und sonst von normaler Beschaffenheit gefunden. Die Meisten sehen sie als eine ursprüngliche regelwidrige Länge des Dickdarms an; Georget *) will sie von Erschlaffung des Peritoneum herleiten. Als weitere Störungen in der Bauchhöhle sind zu erwähnen: in erster Reihe die Hypertrophie der Gangliennerven, welche in einzelnen Fällen gefunden wurde, so von Rokitansky (II. p. 871) „beträchtliche Volumsvermehrung der centralen Bauchganglien in einem Fall von eminenter Hypochondriasis neben allgemeiner Tabes;“ dann Anomalieen der Eingeweide: der Vorfall des Mastdarms, den Bergmann oft bei Blödsinnigen mit sehr träger Darmfunction entstehen sah; der Magen- krebs (Esquirol sah ihn bei einer Frau, welche glaubte, ein Thier im Magen zu haben), die alten peritonitischen Adhäsionen und Darm- Verwachsungen, wo gleichfalls die dunkeln, schmerzhaften Empfin- dungen den Stoff zu einzelnen Delirien abgeben können (eine derartige Kranke Esquirol’s gab an, den Pontius Pilatus, alle Personen der ganzen Bibel und ein Concil von Päpsten, eine Andere, mehre Teufel im Bauche zu haben) etc. Die fremden Körper im Darmcanal, z. B. Kieselsteine in einzelnen Beispielen in unglaublicher Menge verschlun- gen, verschluckte ganze Löffel und dgl.; die organischen Erkrankun- gen der Leber, des Pancreas (das letztere von Jessen häufig erkrankt gefunden, namentlich bei Kranken, die viel salivirten) **); die Entozoen des Darms, zuweilen an ganz ungewohnten Orten ***); Krankheiten *) Dictionnaire en 25 vol. Tom. XIII. Art. Folie. p. 302. **) Jakobi und Nasse, Zeitschr. I. 1838. p. 682. ***) Hayner (Nasse, Zeitschr. f. psych. Aerzte. 1818. Heft 4.) erzählt den Fall eines Kranken, der verhungern zu müssen glaubte, und über etwas Leben- diges in der Magengegend klagte, das von da in den Schlund heraufstiege. Man fand in den Gallengängen der Leber 7 todte Spulwürmer, einen achten

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Zitationshilfe: Griesinger, Wilhelm: Die Pathologie und Therapie der psychischen Krankheiten, für Ärzte und Studierende. Stuttgart, 1845, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/griesinger_psychische_1845/342>, abgerufen am 18.04.2024.