Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

I. mittelhochdeutsche consonanten. linguales.
nft, früher mft, sind vorhin s. 396. angeführt, von ihrer
berührung mit nst (vernunft vernunst; brunft, brunst)
und der ft mit ht in der wortbildungslehre. Hierher
gehört noch die wah nehmung wieder einer dialecti-
schen verschiedenheit. Statt des gewöhnlichen sigenunft,
-nünfte (auf kunft reimend M. S. 2, 133a Barl. 59. 66 etc.)
verstattet sich Conrad sigenuft, -nüfte und reimt auf
luft (troj. 29c ebenso Lohengr. 93. 100.) schon im alth.
bestehen farnumft, farnuft (und farnunst) teilnumft und
teilnuft nebeneinander.

(T. D. Z. S.) linguales.

(T. D) die verhältnisse fließen aus den vorange-
schickten allg. regeln. Folgendes nähere ist zu merken
1) die starken stämme eid und ied dem goth. eith, iuth
entsprechend) verändern d in t nicht bloß nach allg.
grundsatz auslautend (im praet. sneit und imp. sneit) son-
dern auch inlautend, sobald sie im ablaut kurzen vo-
cal bekommen. Also eine ausnahme der s. 378. gegebe-
nen regel, daß unorg auslaute t inlautend wieder zu d
würden. Beispiele sneiden, sneidet; sneit, snite, sniten,
gesniten; ebenso leiden, meiden; sieden, sindet; sot, süte,
suten, gesoten und nicht suide, sniden, süde, suden,
gesoden, da doch im goth. th unverrückt bleibt, sneithan,
sneithith, snaith, snith[u]n. Diese merkwürdige (und schon
im alth. allgemein geltende) anomalie stimmt ganz zu
dem s. 252. angezeigten wechsel des angels. dh und d
in sneidhan, snidon, seodhan, sudon; bei werden, wur-
den, worden (nicht wurten, worten) hat sie sich ver-
wischt, vgl. oben s. 160. und unten bei der alth. conj.
die erwägung, ob der wechsel noch für andere verba an-
zunehmen sey. Andere verba, wie laden, luot, luoden,
scheiden, schiet, schieden etc. sind ihm nirgends ausge-
setzt. -- 2) bei inclinationen pflegt d. (zumahl wenn es
an einen auslaut s. stößt, oben 381.) in t. überzugehen,
als wiltu, muostu, bistu, listu (lege) daßtu (? dastn)
für daß dau, destu für des dau (Barl. 9, 34.) und deste st.
desdiu mit folgendem compar. Im 10ten jahrh. galt
noch des-de (W. 5, 9.), das in mittelh. hss. vorkom-
mende dester f. deste verdient tadel. 3) dafür daß t
das org. d im auslaute verdrängt, pflegt es inlautend
nach l. m und zumahl n von d. verdrängt zu werden,
wie schon vorhin (s. 393.) bei den verhindungen ld. nd.
gezeigt wurde. Diese neigung zur inlautenden med. of-
fenbart sich allgemein auch außer eigentlicher verbin-

I. mittelhochdeutſche conſonanten. linguales.
nft, früher mft, ſind vorhin ſ. 396. angeführt, von ihrer
berührung mit nſt (vernunft vernunſt; brunft, brunſt)
und der ft mit ht in der wortbildungslehre. Hierher
gehört noch die wah nehmung wieder einer dialecti-
ſchen verſchiedenheit. Statt des gewöhnlichen ſigenunft,
-nünfte (auf kunft reimend M. S. 2, 133a Barl. 59. 66 etc.)
verſtattet ſich Conrad ſigenuft, -nüfte und reimt auf
luft (troj. 29c ebenſo Lohengr. 93. 100.) ſchon im alth.
beſtehen farnumft, farnuft (und farnunſt) teilnumft und
teilnuft nebeneinander.

(T. D. Z. S.) linguales.

(T. D) die verhältniſſe fließen aus den vorange-
ſchickten allg. regeln. Folgendes nähere iſt zu merken
1) die ſtarken ſtämme îd und ied dem goth. eiþ, iuþ
entſprechend) verändern d in t nicht bloß nach allg.
grundſatz auslautend (im praet. ſneit und imp. ſnît) ſon-
dern auch inlautend, ſobald ſie im ablaut kurzen vo-
cal bekommen. Alſo eine ausnahme der ſ. 378. gegebe-
nen regel, daß unorg auslaute t inlautend wieder zu d
würden. Beiſpiele ſnîden, ſnîdet; ſneit, ſnite, ſniten,
geſniten; ebenſo lîden, mîden; ſieden, ſindet; ſôt, ſüte,
ſuten, geſoten und nicht ſuide, ſniden, ſüde, ſuden,
geſoden, da doch im goth. þ unverrückt bleibt, ſneiþan,
ſneiþiþ, ſnáiþ, ſniþ[u]n. Dieſe merkwürdige (und ſchon
im alth. allgemein geltende) anomalie ſtimmt ganz zu
dem ſ. 252. angezeigten wechſel des angelſ. dh und d
in ſnîdhan, ſnidon, ſëodhan, ſudon; bei wërden, wur-
den, worden (nicht wurten, worten) hat ſie ſich ver-
wiſcht, vgl. oben ſ. 160. und unten bei der alth. conj.
die erwägung, ob der wechſel noch für andere verba an-
zunehmen ſey. Andere verba, wie laden, luot, luoden,
ſcheiden, ſchiet, ſchieden etc. ſind ihm nirgends ausge-
ſetzt. — 2) bei inclinationen pflegt d. (zumahl wenn es
an einen auslaut ſ. ſtößt, oben 381.) in t. überzugehen,
als wiltu, muoſtu, biſtu, liſtu (lege) daƷtu (? daſtn)
für daƷ dû, dëſtu für dës dû (Barl. 9, 34.) und dëſte ſt.
dësdiu mit folgendem compar. Im 10ten jahrh. galt
noch dës-dè (W. 5, 9.), das in mittelh. hſſ. vorkom-
mende dëſter f. dëſte verdient tadel. 3) dafür daß t
das org. d im auslaute verdrängt, pflegt es inlautend
nach l. m und zumahl n von d. verdrängt zu werden,
wie ſchon vorhin (ſ. 393.) bei den verhindungen ld. nd.
gezeigt wurde. Dieſe neigung zur inlautenden med. of-
fenbart ſich allgemein auch außer eigentlicher verbin-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0434" n="408"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">mittelhochdeut&#x017F;che con&#x017F;onanten. linguales.</hi></fw><lb/>
nft, früher mft, &#x017F;ind vorhin &#x017F;. 396. angeführt, von ihrer<lb/>
berührung mit n&#x017F;t (vernunft vernun&#x017F;t; brunft, brun&#x017F;t)<lb/>
und der ft mit ht in der wortbildungslehre. Hierher<lb/>
gehört noch die wah nehmung wieder einer dialecti-<lb/>
&#x017F;chen ver&#x017F;chiedenheit. Statt des gewöhnlichen &#x017F;igenunft,<lb/>
-nünfte (auf kunft reimend M. S. 2, 133<hi rendition="#sup">a</hi> Barl. 59. 66 etc.)<lb/>
ver&#x017F;tattet &#x017F;ich Conrad &#x017F;igenuft, -nüfte und reimt auf<lb/>
luft (troj. 29<hi rendition="#sup">c</hi> eben&#x017F;o Lohengr. 93. 100.) &#x017F;chon im alth.<lb/>
be&#x017F;tehen farnumft, farnuft (und farnun&#x017F;t) teilnumft und<lb/>
teilnuft nebeneinander.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>(T. D. Z. S.) <hi rendition="#i">linguales.</hi></head><lb/>
              <p>(T. D) die verhältni&#x017F;&#x017F;e fließen aus den vorange-<lb/>
&#x017F;chickten allg. regeln. Folgendes nähere i&#x017F;t zu merken<lb/>
1) die &#x017F;tarken &#x017F;tämme <hi rendition="#i">îd</hi> und <hi rendition="#i">ied</hi> dem goth. eiþ, iuþ<lb/>
ent&#x017F;prechend) verändern d in t nicht bloß nach allg.<lb/>
grund&#x017F;atz auslautend (im praet. &#x017F;neit und imp. &#x017F;nît) &#x017F;on-<lb/>
dern auch inlautend, &#x017F;obald &#x017F;ie im ablaut kurzen vo-<lb/>
cal bekommen. Al&#x017F;o eine ausnahme der &#x017F;. 378. gegebe-<lb/>
nen regel, daß unorg auslaute t inlautend wieder zu d<lb/>
würden. Bei&#x017F;piele &#x017F;nîden, &#x017F;nîdet; &#x017F;neit, &#x017F;nite, &#x017F;niten,<lb/>
ge&#x017F;niten; eben&#x017F;o lîden, mîden; &#x017F;ieden, &#x017F;indet; &#x017F;ôt, &#x017F;üte,<lb/>
&#x017F;uten, ge&#x017F;oten und nicht &#x017F;uide, &#x017F;niden, &#x017F;üde, &#x017F;uden,<lb/>
ge&#x017F;oden, da doch im goth. þ unverrückt bleibt, &#x017F;neiþan,<lb/>
&#x017F;neiþiþ, &#x017F;náiþ, &#x017F;niþ<supplied>u</supplied>n. Die&#x017F;e merkwürdige (und &#x017F;chon<lb/>
im alth. allgemein geltende) anomalie &#x017F;timmt ganz zu<lb/>
dem &#x017F;. 252. angezeigten wech&#x017F;el des angel&#x017F;. dh und d<lb/>
in &#x017F;nîdhan, &#x017F;nidon, &#x017F;ëodhan, &#x017F;udon; bei wërden, wur-<lb/>
den, worden (nicht wurten, worten) hat &#x017F;ie &#x017F;ich ver-<lb/>
wi&#x017F;cht, vgl. oben &#x017F;. 160. und unten bei der alth. conj.<lb/>
die erwägung, ob der wech&#x017F;el noch für andere verba an-<lb/>
zunehmen &#x017F;ey. Andere verba, wie laden, luot, luoden,<lb/>
&#x017F;cheiden, &#x017F;chiet, &#x017F;chieden etc. &#x017F;ind ihm nirgends ausge-<lb/>
&#x017F;etzt. &#x2014; 2) bei inclinationen pflegt d. (zumahl wenn es<lb/>
an einen auslaut &#x017F;. &#x017F;tößt, oben 381.) in t. überzugehen,<lb/>
als wiltu, muo&#x017F;tu, bi&#x017F;tu, li&#x017F;tu (lege) da&#x01B7;tu (? da&#x017F;tn)<lb/>
für da&#x01B7; dû, dë&#x017F;tu für dës dû (Barl. 9, 34.) und dë&#x017F;te &#x017F;t.<lb/>
dësdiu mit folgendem compar. Im 10ten jahrh. galt<lb/>
noch dës-dè (W. 5, 9.), das in mittelh. h&#x017F;&#x017F;. vorkom-<lb/>
mende dë&#x017F;ter f. dë&#x017F;te verdient tadel. 3) dafür daß t<lb/>
das org. d im auslaute verdrängt, pflegt es inlautend<lb/>
nach l. m und zumahl n von d. verdrängt zu werden,<lb/>
wie &#x017F;chon vorhin (&#x017F;. 393.) bei den verhindungen ld. nd.<lb/>
gezeigt wurde. Die&#x017F;e neigung zur inlautenden med. of-<lb/>
fenbart &#x017F;ich allgemein auch außer eigentlicher verbin-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[408/0434] I. mittelhochdeutſche conſonanten. linguales. nft, früher mft, ſind vorhin ſ. 396. angeführt, von ihrer berührung mit nſt (vernunft vernunſt; brunft, brunſt) und der ft mit ht in der wortbildungslehre. Hierher gehört noch die wah nehmung wieder einer dialecti- ſchen verſchiedenheit. Statt des gewöhnlichen ſigenunft, -nünfte (auf kunft reimend M. S. 2, 133a Barl. 59. 66 etc.) verſtattet ſich Conrad ſigenuft, -nüfte und reimt auf luft (troj. 29c ebenſo Lohengr. 93. 100.) ſchon im alth. beſtehen farnumft, farnuft (und farnunſt) teilnumft und teilnuft nebeneinander. (T. D. Z. S.) linguales. (T. D) die verhältniſſe fließen aus den vorange- ſchickten allg. regeln. Folgendes nähere iſt zu merken 1) die ſtarken ſtämme îd und ied dem goth. eiþ, iuþ entſprechend) verändern d in t nicht bloß nach allg. grundſatz auslautend (im praet. ſneit und imp. ſnît) ſon- dern auch inlautend, ſobald ſie im ablaut kurzen vo- cal bekommen. Alſo eine ausnahme der ſ. 378. gegebe- nen regel, daß unorg auslaute t inlautend wieder zu d würden. Beiſpiele ſnîden, ſnîdet; ſneit, ſnite, ſniten, geſniten; ebenſo lîden, mîden; ſieden, ſindet; ſôt, ſüte, ſuten, geſoten und nicht ſuide, ſniden, ſüde, ſuden, geſoden, da doch im goth. þ unverrückt bleibt, ſneiþan, ſneiþiþ, ſnáiþ, ſniþun. Dieſe merkwürdige (und ſchon im alth. allgemein geltende) anomalie ſtimmt ganz zu dem ſ. 252. angezeigten wechſel des angelſ. dh und d in ſnîdhan, ſnidon, ſëodhan, ſudon; bei wërden, wur- den, worden (nicht wurten, worten) hat ſie ſich ver- wiſcht, vgl. oben ſ. 160. und unten bei der alth. conj. die erwägung, ob der wechſel noch für andere verba an- zunehmen ſey. Andere verba, wie laden, luot, luoden, ſcheiden, ſchiet, ſchieden etc. ſind ihm nirgends ausge- ſetzt. — 2) bei inclinationen pflegt d. (zumahl wenn es an einen auslaut ſ. ſtößt, oben 381.) in t. überzugehen, als wiltu, muoſtu, biſtu, liſtu (lege) daƷtu (? daſtn) für daƷ dû, dëſtu für dës dû (Barl. 9, 34.) und dëſte ſt. dësdiu mit folgendem compar. Im 10ten jahrh. galt noch dës-dè (W. 5, 9.), das in mittelh. hſſ. vorkom- mende dëſter f. dëſte verdient tadel. 3) dafür daß t das org. d im auslaute verdrängt, pflegt es inlautend nach l. m und zumahl n von d. verdrängt zu werden, wie ſchon vorhin (ſ. 393.) bei den verhindungen ld. nd. gezeigt wurde. Dieſe neigung zur inlautenden med. of- fenbart ſich allgemein auch außer eigentlicher verbin-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/434
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/434>, abgerufen am 23.04.2024.