Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

Bild:
<< vorherige Seite
I. altnordische vocale.
d) dasselbe geschieht noch in andern fällen, die keiner
allgemeinen angabe fähig sind. z. b. fedr (patres). e)
apocope des auslantenden i zieht auch keinen rück-
umlaut nach sich, sondern das e bleibt; eine für die
flexionslehre sehr ergiebige regel, z. b. ben (vulnus)
elr (gignit) offenbar f. beni, elir, obgleich zuweilen
ein unorganisches vordringen des umlauts aus der
häufigeren in die seltnere endung anzunehmen ist, z. b.
belgr (follis) el (gigno) mag aus belgir (folles) elir
(gignit) entsprungen seyn, indem der nom. sg. balgr,
die I. sg. al oder ala zu vermuthen wären. Näheres
bei den flexionen selbst. z) folgt in der endung i und
die wurzel behält dennoch a, so gilt der schluß, daß
dieses i unorganisch an die stelle eines früheren andern
vocals getreten sey. vgl. die part. vakinn, valinn (nicht
vekinn, velinn); die pl. dalir (valles) bragir (carmina);
die dat. landi, grasi (nicht delir, bregir, lendi, gresi);
lauter anzeichen, daß die endung i hier fehlerhaft
angenommen worden, wie auch die vergleichung an-
derer mundarten bestätigt, z. b. die im goth. und alth.
entschiedene partic. endung -an. Auch das rückum-
lautende valdi und fatli müste wegen der weitern en-
dung i von neuem in veldi, fetli umlauten, wenn sie
organisch wären, beide aber stehen vermuthlich für
valda (velida) und fatla (fetila), goth. valida, fatla,
alth. welita, feßila oder feßile. Das nähere gibt die
flexionslehre selbst. --
II) e = goth. i und ai, alth. e; hss. und drucke zeich-
nen es von dem vorigen e nicht aus, nach der ana-
logie des hochd. führe ich auch hier das punctierte e
ein. Ohne zweifel war doch die aussprache beider e
verschieden, brenna (ardere) kann nicht wie brenna
(comburere) gelautet haben. Wenigstens vom altnord.
muß dies gelten, wenn sich gleich allmählig in der
heutigen isländ. aussprache manche e und e (wie im
neuhochd.) vermischen; Rask §. 15. 16. nimmt in
verk (opus) und her (exercitus) in vegir und degi
den nämlichen laut an, für die altn. sprache gebe ich
das nicht zu. Daß das e in vegr und verk dem i-
laut weit näher liege scheint mir selbst aus einem an-
dern gebrauch oder misbrauch der neuisländ. aus.
sprache zu folgen, wonach manche ursprüngliche e
mit dem langen e vermengt werden; nämlich Rask
lehrt §. 17. mer (mihi) und bref (epistola); ek (ego)
eta (edere) und fell (cecidit) gleich auszusprechen.
I. altnordiſche vocale.
δ) dasſelbe geſchieht noch in andern fällen, die keiner
allgemeinen angabe fähig ſind. z. b. fedr (patres). ε)
apocope des auslantenden i zieht auch keinen rück-
umlaut nach ſich, ſondern das e bleibt; eine für die
flexionslehre ſehr ergiebige regel, z. b. ben (vulnus)
elr (gignit) offenbar f. beni, elir, obgleich zuweilen
ein unorganiſches vordringen des umlauts aus der
häufigeren in die ſeltnere endung anzunehmen iſt, z. b.
belgr (follis) el (gigno) mag aus belgir (folles) elir
(gignit) entſprungen ſeyn, indem der nom. ſg. balgr,
die I. ſg. al oder ala zu vermuthen wären. Näheres
bei den flexionen ſelbſt. ζ) folgt in der endung i und
die wurzel behält dennoch a, ſo gilt der ſchluß, daß
dieſes i unorganiſch an die ſtelle eines früheren andern
vocals getreten ſey. vgl. die part. vakinn, valinn (nicht
vekinn, velinn); die pl. dalir (valles) bragir (carmina);
die dat. landi, graſi (nicht delir, bregir, lendi, greſi);
lauter anzeichen, daß die endung i hier fehlerhaft
angenommen worden, wie auch die vergleichung an-
derer mundarten beſtätigt, z. b. die im goth. und alth.
entſchiedene partic. endung -an. Auch das rückum-
lautende valdi und fatli müſte wegen der weitern en-
dung i von neuem in veldi, fetli umlauten, wenn ſie
organiſch wären, beide aber ſtehen vermuthlich für
valda (velida) und fatla (fetila), goth. valida, fatla,
alth. welita, feƷila oder feƷile. Das nähere gibt die
flexionslehre ſelbſt. —
II) ë = goth. i und ái, alth. ë; hſſ. und drucke zeich-
nen es von dem vorigen e nicht aus, nach der ana-
logie des hochd. führe ich auch hier das punctierte ë
ein. Ohne zweifel war doch die ausſprache beider e
verſchieden, brënna (ardere) kann nicht wie brenna
(comburere) gelautet haben. Wenigſtens vom altnord.
muß dies gelten, wenn ſich gleich allmählig in der
heutigen isländ. ausſprache manche e und ë (wie im
neuhochd.) vermiſchen; Raſk §. 15. 16. nimmt in
vërk (opus) und her (exercitus) in vëgir und degi
den nämlichen laut an, für die altn. ſprache gebe ich
das nicht zu. Daß das ë in vëgr und vërk dem i-
laut weit näher liege ſcheint mir ſelbſt aus einem an-
dern gebrauch oder misbrauch der neuisländ. aus.
ſprache zu folgen, wonach manche urſprüngliche ë
mit dem langen ê vermengt werden; nämlich Raſk
lehrt §. 17. mër (mihi) und brêf (epiſtola); ëk (ego)
ëta (edere) und fêll (cecidit) gleich auszuſprechen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <list>
              <item><pb facs="#f0308" n="282"/><fw place="top" type="header">I. <hi rendition="#i">altnordi&#x017F;che vocale.</hi></fw><lb/><hi rendition="#i">&#x03B4;</hi>) das&#x017F;elbe ge&#x017F;chieht noch in andern fällen, die keiner<lb/>
allgemeinen angabe fähig &#x017F;ind. z. b. fedr (patres). <hi rendition="#i">&#x03B5;</hi>)<lb/>
apocope des auslantenden i zieht auch keinen rück-<lb/>
umlaut nach &#x017F;ich, &#x017F;ondern das e bleibt; eine für die<lb/>
flexionslehre &#x017F;ehr ergiebige regel, z. b. ben (vulnus)<lb/>
elr (gignit) offenbar f. beni, elir, obgleich zuweilen<lb/>
ein unorgani&#x017F;ches vordringen des umlauts aus der<lb/>
häufigeren in die &#x017F;eltnere endung anzunehmen i&#x017F;t, z. b.<lb/>
belgr (follis) el (gigno) mag aus belgir (folles) elir<lb/>
(gignit) ent&#x017F;prungen &#x017F;eyn, indem der nom. &#x017F;g. balgr,<lb/>
die I. &#x017F;g. al oder ala zu vermuthen wären. Näheres<lb/>
bei den flexionen &#x017F;elb&#x017F;t. <hi rendition="#i">&#x03B6;</hi>) folgt in der endung i und<lb/>
die wurzel behält dennoch a, &#x017F;o gilt der &#x017F;chluß, daß<lb/>
die&#x017F;es i unorgani&#x017F;ch an die &#x017F;telle eines früheren andern<lb/>
vocals getreten &#x017F;ey. vgl. die part. vakinn, valinn (nicht<lb/>
vekinn, velinn); die pl. dalir (valles) bragir (carmina);<lb/>
die dat. landi, gra&#x017F;i (nicht delir, bregir, lendi, gre&#x017F;i);<lb/>
lauter anzeichen, daß die endung i hier fehlerhaft<lb/>
angenommen worden, wie auch die vergleichung an-<lb/>
derer mundarten be&#x017F;tätigt, z. b. die im goth. und alth.<lb/>
ent&#x017F;chiedene partic. endung -an. Auch das rückum-<lb/>
lautende valdi und fatli mü&#x017F;te wegen der weitern en-<lb/>
dung i von neuem in veldi, fetli umlauten, wenn &#x017F;ie<lb/>
organi&#x017F;ch wären, beide aber &#x017F;tehen vermuthlich für<lb/>
valda (velida) und fatla (fetila), goth. valida, fatla,<lb/>
alth. welita, fe&#x01B7;ila oder fe&#x01B7;ile. Das nähere gibt die<lb/>
flexionslehre &#x017F;elb&#x017F;t. &#x2014;</item><lb/>
              <item>II) ë = goth. i und ái, alth. ë; h&#x017F;&#x017F;. und drucke zeich-<lb/>
nen es von dem vorigen e nicht aus, nach der ana-<lb/>
logie des hochd. führe ich auch hier das punctierte ë<lb/>
ein. Ohne zweifel war doch die aus&#x017F;prache beider e<lb/>
ver&#x017F;chieden, brënna (ardere) kann nicht wie brenna<lb/>
(comburere) gelautet haben. Wenig&#x017F;tens vom altnord.<lb/>
muß dies gelten, wenn &#x017F;ich gleich allmählig in der<lb/>
heutigen isländ. aus&#x017F;prache manche e und ë (wie im<lb/>
neuhochd.) vermi&#x017F;chen; Ra&#x017F;k §. 15. 16. nimmt in<lb/>
vërk (opus) und her (exercitus) in vëgir und degi<lb/>
den nämlichen laut an, für die altn. &#x017F;prache gebe ich<lb/>
das nicht zu. Daß das ë in vëgr und vërk dem i-<lb/>
laut weit näher liege &#x017F;cheint mir &#x017F;elb&#x017F;t aus einem an-<lb/>
dern gebrauch oder misbrauch der neuisländ. aus.<lb/>
&#x017F;prache zu folgen, wonach manche ur&#x017F;prüngliche ë<lb/>
mit dem langen ê vermengt werden; nämlich Ra&#x017F;k<lb/>
lehrt §. 17. mër (mihi) und brêf (epi&#x017F;tola); ëk (ego)<lb/>
ëta (edere) und fêll (cecidit) gleich auszu&#x017F;prechen.<lb/></item>
            </list>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0308] I. altnordiſche vocale. δ) dasſelbe geſchieht noch in andern fällen, die keiner allgemeinen angabe fähig ſind. z. b. fedr (patres). ε) apocope des auslantenden i zieht auch keinen rück- umlaut nach ſich, ſondern das e bleibt; eine für die flexionslehre ſehr ergiebige regel, z. b. ben (vulnus) elr (gignit) offenbar f. beni, elir, obgleich zuweilen ein unorganiſches vordringen des umlauts aus der häufigeren in die ſeltnere endung anzunehmen iſt, z. b. belgr (follis) el (gigno) mag aus belgir (folles) elir (gignit) entſprungen ſeyn, indem der nom. ſg. balgr, die I. ſg. al oder ala zu vermuthen wären. Näheres bei den flexionen ſelbſt. ζ) folgt in der endung i und die wurzel behält dennoch a, ſo gilt der ſchluß, daß dieſes i unorganiſch an die ſtelle eines früheren andern vocals getreten ſey. vgl. die part. vakinn, valinn (nicht vekinn, velinn); die pl. dalir (valles) bragir (carmina); die dat. landi, graſi (nicht delir, bregir, lendi, greſi); lauter anzeichen, daß die endung i hier fehlerhaft angenommen worden, wie auch die vergleichung an- derer mundarten beſtätigt, z. b. die im goth. und alth. entſchiedene partic. endung -an. Auch das rückum- lautende valdi und fatli müſte wegen der weitern en- dung i von neuem in veldi, fetli umlauten, wenn ſie organiſch wären, beide aber ſtehen vermuthlich für valda (velida) und fatla (fetila), goth. valida, fatla, alth. welita, feƷila oder feƷile. Das nähere gibt die flexionslehre ſelbſt. — II) ë = goth. i und ái, alth. ë; hſſ. und drucke zeich- nen es von dem vorigen e nicht aus, nach der ana- logie des hochd. führe ich auch hier das punctierte ë ein. Ohne zweifel war doch die ausſprache beider e verſchieden, brënna (ardere) kann nicht wie brenna (comburere) gelautet haben. Wenigſtens vom altnord. muß dies gelten, wenn ſich gleich allmählig in der heutigen isländ. ausſprache manche e und ë (wie im neuhochd.) vermiſchen; Raſk §. 15. 16. nimmt in vërk (opus) und her (exercitus) in vëgir und degi den nämlichen laut an, für die altn. ſprache gebe ich das nicht zu. Daß das ë in vëgr und vërk dem i- laut weit näher liege ſcheint mir ſelbſt aus einem an- dern gebrauch oder misbrauch der neuisländ. aus. ſprache zu folgen, wonach manche urſprüngliche ë mit dem langen ê vermengt werden; nämlich Raſk lehrt §. 17. mër (mihi) und brêf (epiſtola); ëk (ego) ëta (edere) und fêll (cecidit) gleich auszuſprechen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/308
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/308>, abgerufen am 26.04.2024.