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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. neuhochdeutsche vocale.
in main (moenus) hain (hagen); fehlerhaft scheint ei in
vertheidigen st. thaidigen, d. h. tagedingen, aber der
übergang geschah schon im mittelh. und ei wurde wie
in reinhart unverstanden beibehalten (s. 426.).

(AU) häufiger diphth. in welchem sich zweierlei
org. laute nachtheilig mischen. 1) au = mittelh. au, in
haus (domus) raunen (susurrare) mauer (murus) etc. 2)
au = mittelh. ou in taub (surdus) baum (arbor) etc.
Die vermengung des au und ou begann schon im mit-
telh., heutzutage unterscheidet die gebildete aussprache
nicht mehr zwischen beiden lauten (unthunlich wäre,
nach einigen gemeinen volksdialecten, das erste au durch
au, das zweite durch au zu bezeichnen) d. h. kaum
(vix) reimt untadelhaft auf baum (arbor) oder schaum
(spuma) auf traum (somnium).

(EI) ganz analoge vereinigung 1) des mittelh. ei in
mein (meus) eis (glacies) fleiß (dilig.) etc. und 2) des
mittelh. ei in klein (parvus) reise (iter) schweiß (su-
dor) etc. Aus gleichem grunde die zurückführung der
alten unterscheidung (etwa durch accentnierung mein
und kein) aufzugeben, und die vermischte aussprache
in den reimen der genausten dichter bewährt, leim (glu-
ten):heim (domi); eile (fest.):teile (parte).

(EU) = mittelh. iu, vgl. neu (novus) treue (fides)
leute (homines) heute (hodie) seule (columna) etc. ver-
hält sich zu dem gleichfolgenden äu wie e zu ä.
Ganz tadelhaft schreiben einige eu für ei in reuter (eques).

(AEU) äu (nicht aü) umlaut des au und zwar bei-
der arten desselben, z. b. mäuse (mures) und bäume (ar-
bores). Wo man den umlaut nicht mehr fühlte wurde
die schreibung eu gewählt vgl. keusch (castus) grcuel
(horror) mittelh. mit iu; heu (foenum) freude (gaud.)
mittelh. oei.

(IE) 1) organisch wie im mittelh. als: dieb (fur) die-
nen (servire) etc. wohin auch die schon im mittelh. gül-
tige endung ie romanischer wörter (revier, turnier, re-
gieren); verschiedene ie in cons. verbindungen hat man
schwankend gekürzt, vgl. ging (ivit) fing (cepit) f. gieng,
hieng, nicht aber hilt f. hielt. 2) unorganisch für kur-
zes i in wieder (rursus) giebt (dat) wiese (pratum) etc.
In diesem falle setze ich (grammatisch) ei, welches man
auch für das erste ie brauchen, d. h. deib (fur) leibe (amor)
schreiben könnte, wie gaut, raum (mittelh. guot, ruom).

Schtußbemerkungen. 1) das verkennen der alten
kürzen und der unterscheidungen ei, ei, au, au, hat em-

I. neuhochdeutſche vocale.
in main (moenus) hain (hagen); fehlerhaft ſcheint ei in
vertheidigen ſt. thaidigen, d. h. tagedingen, aber der
übergang geſchah ſchon im mittelh. und ei wurde wie
in reinhart unverſtanden beibehalten (ſ. 426.).

(AU) häufiger diphth. in welchem ſich zweierlei
org. laute nachtheilig miſchen. 1) au = mittelh. û, in
haus (domus) raunen (ſuſurrare) mauer (murus) etc. 2)
au = mittelh. ou in taub (ſurdus) baum (arbor) etc.
Die vermengung des û und ou begann ſchon im mit-
telh., heutzutage unterſcheidet die gebildete ausſprache
nicht mehr zwiſchen beiden lauten (unthunlich wäre,
nach einigen gemeinen volksdialecten, das erſte au durch
, das zweite durch àu zu bezeichnen) d. h. kaum
(vix) reimt untadelhaft auf baum (arbor) oder ſchaum
(ſpuma) auf traum (ſomnium).

(EI) ganz analoge vereinigung 1) des mittelh. î in
mein (meus) eis (glacies) fleiß (dilig.) etc. und 2) des
mittelh. ei in klein (parvus) reiſe (iter) ſchweiß (ſu-
dor) etc. Aus gleichem grunde die zurückführung der
alten unterſcheidung (etwa durch accentnierung meín
und kein) aufzugeben, und die vermiſchte ausſprache
in den reimen der genauſten dichter bewährt, leim (glu-
ten):heim (domi); eile (feſt.):teile (parte).

(EU) = mittelh. iu, vgl. neu (novus) treue (fides)
leute (homines) heute (hodie) ſeule (columna) etc. ver-
hält ſich zu dem gleichfolgenden äu wie e zu ä.
Ganz tadelhaft ſchreiben einige eu für ei in reuter (eques).

(AEU) äu (nicht aü) umlaut des au und zwar bei-
der arten deſſelben, z. b. mäuſe (mures) und bäume (ar-
bores). Wo man den umlaut nicht mehr fühlte wurde
die ſchreibung eu gewählt vgl. keuſch (caſtus) grcuel
(horror) mittelh. mit iu; heu (foenum) freude (gaud.)
mittelh. œi.

(IE) 1) organiſch wie im mittelh. als: dieb (fur) die-
nen (ſervire) etc. wohin auch die ſchon im mittelh. gül-
tige endung ie romaniſcher wörter (revier, turnier, re-
gieren); verſchiedene ie in conſ. verbindungen hat man
ſchwankend gekürzt, vgl. ging (ivit) fing (cepit) f. gieng,
hieng, nicht aber hilt f. hielt. 2) unorganiſch für kur-
zes i in wieder (rurſus) giebt (dat) wieſe (pratum) etc.
In dieſem falle ſetze ich (grammatiſch) î, welches man
auch für das erſte ie brauchen, d. h. dîb (fur) lîbe (amor)
ſchreiben könnte, wie gût, rûm (mittelh. guot, ruom).

Schtußbemerkungen. 1) das verkennen der alten
kürzen und der unterſcheidungen î, ei, û, au, hat em-

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[523/0549] I. neuhochdeutſche vocale. in main (moenus) hain (hagen); fehlerhaft ſcheint ei in vertheidigen ſt. thaidigen, d. h. tagedingen, aber der übergang geſchah ſchon im mittelh. und ei wurde wie in reinhart unverſtanden beibehalten (ſ. 426.). (AU) häufiger diphth. in welchem ſich zweierlei org. laute nachtheilig miſchen. 1) au = mittelh. û, in haus (domus) raunen (ſuſurrare) mauer (murus) etc. 2) au = mittelh. ou in taub (ſurdus) baum (arbor) etc. Die vermengung des û und ou begann ſchon im mit- telh., heutzutage unterſcheidet die gebildete ausſprache nicht mehr zwiſchen beiden lauten (unthunlich wäre, nach einigen gemeinen volksdialecten, das erſte au durch aú, das zweite durch àu zu bezeichnen) d. h. kaum (vix) reimt untadelhaft auf baum (arbor) oder ſchaum (ſpuma) auf traum (ſomnium). (EI) ganz analoge vereinigung 1) des mittelh. î in mein (meus) eis (glacies) fleiß (dilig.) etc. und 2) des mittelh. ei in klein (parvus) reiſe (iter) ſchweiß (ſu- dor) etc. Aus gleichem grunde die zurückführung der alten unterſcheidung (etwa durch accentnierung meín und kein) aufzugeben, und die vermiſchte ausſprache in den reimen der genauſten dichter bewährt, leim (glu- ten):heim (domi); eile (feſt.):teile (parte). (EU) = mittelh. iu, vgl. neu (novus) treue (fides) leute (homines) heute (hodie) ſeule (columna) etc. ver- hält ſich zu dem gleichfolgenden äu wie e zu ä. Ganz tadelhaft ſchreiben einige eu für ei in reuter (eques). (AEU) äu (nicht aü) umlaut des au und zwar bei- der arten deſſelben, z. b. mäuſe (mures) und bäume (ar- bores). Wo man den umlaut nicht mehr fühlte wurde die ſchreibung eu gewählt vgl. keuſch (caſtus) grcuel (horror) mittelh. mit iu; heu (foenum) freude (gaud.) mittelh. œi. (IE) 1) organiſch wie im mittelh. als: dieb (fur) die- nen (ſervire) etc. wohin auch die ſchon im mittelh. gül- tige endung ie romaniſcher wörter (revier, turnier, re- gieren); verſchiedene ie in conſ. verbindungen hat man ſchwankend gekürzt, vgl. ging (ivit) fing (cepit) f. gieng, hieng, nicht aber hilt f. hielt. 2) unorganiſch für kur- zes i in wieder (rurſus) giebt (dat) wieſe (pratum) etc. In dieſem falle ſetze ich (grammatiſch) î, welches man auch für das erſte ie brauchen, d. h. dîb (fur) lîbe (amor) ſchreiben könnte, wie gût, rûm (mittelh. guot, ruom). Schtußbemerkungen. 1) das verkennen der alten kürzen und der unterſcheidungen î, ei, û, au, hat em-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 523. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/549>, abgerufen am 26.04.2024.