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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. consonantische ableitungen. V.
cere) etc. -- mhd. ver-gel-wen (flavescere); rid-wen (tre-
mere) Bon. 48, 88. schil-wen (strabum esse) Herb. 21b. --
nhd. ver-nar-ben (cicatrice obduci).


[IV] der vocal i vor dem ableitenden v ist kaum mit
sicherheit nachzuweisen. In dem goth. gen. pl. sunive,
tunthive (1, 601.) scheint das v an sich nicht ableiterisch
(2, 95.); auch nicht in den adjectiven haithivisks, judai-
visks (vergl. unten beim SK). Mehr hierher gehörig ist
das ahd. mil-iwa (tinea) T. 36, 1. falls dabei keine assimi-
lation aus mil-awa wirkt. In hul-iwa (sordes, uligo) gl.
flor. kann keine assim. eintreten, aber diese glossen sind
in den vocalen unsicher. Mhd. kommen mil-we und
hül-we (nur beim Stricker) vor; wo der umlaut, wenn
man seiner sicher wäre, entscheiden würde. Nhd. nur
mil-be. Aus den übrigen sprachen ergibt sich gar nichts
für iv.


[UV] gleichfalls selten und unsicher: gothisch schwan-
ken vid-uvo und vid-ovo, ein vielleicht undeutsches, aus
dem lat. vidua entlehntes wort (altn. eckja); ahd. wit-
awa oder wit-uwa? mhd. wit-ewe, wit-we; nhd. wit-we
(nicht wit-be, wohl aber veraltend wittib); ags. vid-uve,
vid-eve; engl. wid-ow. Ein dunkles wort ist sisuva, viel-
leicht sis-uwa, das gl. mons. 319, gleichbedeutend mit
spaniseiu giposi zur übersetzung von iberas nenias braucht;
eine elwang. gl. hat sisva (? siswa) neniae. Die parallele
gl. doc. 223b läßt es weg und gibt dafür lotar-sprahha.
Der sinn ist entweder lügen, eitle erdichtungen oder klag-
gesänge.


[EV] ev erscheint nur im goth. al-ev (oleum), dem
aber kein ahd. al-aw entspricht, da es ol-i, gen. ol-jes,
ol-es, mhd. öl, ags. el-e, gen. el-es heißt. Diese ahd.
ags. formen find offenbar aus dem latein gefloßen, wel-
ches ich von der goth. nicht glaube. In ihr verhält sich
das goth. a zum lat. o wie in namo zu nomen. Auch
hat die litth. form allejus.


anmerkungen zu den v-ableitungen:

a) das ableitende v ist gleich den übrigen spiranten
häufig weggefallen, zumahl in den neueren sprachen.

III. conſonantiſche ableitungen. V.
cere) etc. — mhd. ver-gël-wen (flaveſcere); rid-wen (tre-
mere) Bon. 48, 88. ſchil-wen (ſtrabum eſſe) Herb. 21b. —
nhd. ver-nar-ben (cicatrice obduci).


[IV] der vocal i vor dem ableitenden v iſt kaum mit
ſicherheit nachzuweiſen. In dem goth. gen. pl. ſunivê,
tunþivê (1, 601.) ſcheint das v an ſich nicht ableiteriſch
(2, 95.); auch nicht in den adjectiven háiþiviſks, judái-
viſks (vergl. unten beim SK). Mehr hierher gehörig iſt
das ahd. mil-iwa (tinea) T. 36, 1. falls dabei keine aſſimi-
lation aus mil-awa wirkt. In hul-iwa (ſordes, uligo) gl.
flor. kann keine aſſim. eintreten, aber dieſe gloſſen ſind
in den vocalen unſicher. Mhd. kommen mil-we und
hül-we (nur beim Stricker) vor; wo der umlaut, wenn
man ſeiner ſicher wäre, entſcheiden würde. Nhd. nur
mil-be. Aus den übrigen ſprachen ergibt ſich gar nichts
für iv.


[UV] gleichfalls ſelten und unſicher: gothiſch ſchwan-
ken vid-uvô und vid-ôvô, ein vielleicht undeutſches, aus
dem lat. vidua entlehntes wort (altn. eckja); ahd. wit-
awa oder wit-uwa? mhd. wit-ewe, wit-we; nhd. wit-we
(nicht wit-be, wohl aber veraltend wittib); agſ. vid-uve,
vid-eve; engl. wid-ow. Ein dunkles wort iſt ſiſuva, viel-
leicht ſiſ-uwâ, das gl. monſ. 319, gleichbedeutend mit
ſpâniſeiu gipoſi zur überſetzung von iberas nenias braucht;
eine elwang. gl. hat ſiſva (? ſiſwa) neniae. Die parallele
gl. doc. 223b läßt es weg und gibt dafür lotar-ſprâhha.
Der ſinn iſt entweder lügen, eitle erdichtungen oder klag-
geſänge.


[EV] êv erſcheint nur im goth. al-êv (oleum), dem
aber kein ahd. al-âw entſpricht, da es ol-i, gen. ol-jes,
ol-es, mhd. öl, agſ. el-e, gen. el-es heißt. Dieſe ahd.
agſ. formen find offenbar aus dem latein gefloßen, wel-
ches ich von der goth. nicht glaube. In ihr verhält ſich
das goth. a zum lat. o wie in namô zu nomen. Auch
hat die litth. form allêjus.


anmerkungen zu den v-ableitungen:

a) das ableitende v iſt gleich den übrigen ſpiranten
häufig weggefallen, zumahl in den neueren ſprachen.

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[192/0210] III. conſonantiſche ableitungen. V. cere) etc. — mhd. ver-gël-wen (flaveſcere); rid-wen (tre- mere) Bon. 48, 88. ſchil-wen (ſtrabum eſſe) Herb. 21b. — nhd. ver-nar-ben (cicatrice obduci). [IV] der vocal i vor dem ableitenden v iſt kaum mit ſicherheit nachzuweiſen. In dem goth. gen. pl. ſunivê, tunþivê (1, 601.) ſcheint das v an ſich nicht ableiteriſch (2, 95.); auch nicht in den adjectiven háiþiviſks, judái- viſks (vergl. unten beim SK). Mehr hierher gehörig iſt das ahd. mil-iwa (tinea) T. 36, 1. falls dabei keine aſſimi- lation aus mil-awa wirkt. In hul-iwa (ſordes, uligo) gl. flor. kann keine aſſim. eintreten, aber dieſe gloſſen ſind in den vocalen unſicher. Mhd. kommen mil-we und hül-we (nur beim Stricker) vor; wo der umlaut, wenn man ſeiner ſicher wäre, entſcheiden würde. Nhd. nur mil-be. Aus den übrigen ſprachen ergibt ſich gar nichts für iv. [UV] gleichfalls ſelten und unſicher: gothiſch ſchwan- ken vid-uvô und vid-ôvô, ein vielleicht undeutſches, aus dem lat. vidua entlehntes wort (altn. eckja); ahd. wit- awa oder wit-uwa? mhd. wit-ewe, wit-we; nhd. wit-we (nicht wit-be, wohl aber veraltend wittib); agſ. vid-uve, vid-eve; engl. wid-ow. Ein dunkles wort iſt ſiſuva, viel- leicht ſiſ-uwâ, das gl. monſ. 319, gleichbedeutend mit ſpâniſeiu gipoſi zur überſetzung von iberas nenias braucht; eine elwang. gl. hat ſiſva (? ſiſwa) neniae. Die parallele gl. doc. 223b läßt es weg und gibt dafür lotar-ſprâhha. Der ſinn iſt entweder lügen, eitle erdichtungen oder klag- geſänge. [EV] êv erſcheint nur im goth. al-êv (oleum), dem aber kein ahd. al-âw entſpricht, da es ol-i, gen. ol-jes, ol-es, mhd. öl, agſ. el-e, gen. el-es heißt. Dieſe ahd. agſ. formen find offenbar aus dem latein gefloßen, wel- ches ich von der goth. nicht glaube. In ihr verhält ſich das goth. a zum lat. o wie in namô zu nomen. Auch hat die litth. form allêjus. anmerkungen zu den v-ableitungen: a) das ableitende v iſt gleich den übrigen ſpiranten häufig weggefallen, zumahl in den neueren ſprachen.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/210>, abgerufen am 25.04.2024.