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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. verbale comp. -- verb. mit adj.
sind *). Hiernach wäre auch ein ahd. maka-leih? muga-
leih? zu vermuthen, gleichergestalt muoß-leih (licitus) tuka-
leih (validus) chun-leih (notus) durf-leih (egenus)? ich kenne
kein mhd. tüg-l. und unmuoß-l. (occupatus) Barl. gehört
sicher zu dem subst. unmuoße.

b) die berührung dieser compositionsmittel ist fast nach
dem s. 579, 666. erörterten zu beurtheilen; -bar und -lich
drücken mehr das passivum, -haft und -sam mehr das
activum aus, oder jene sind sächlicher, diese persönlicher.
Jene stimmen meist zu der lat. verbalableitung -bilis:
trinkbar (potabilis) verdammlich (damnabilis); häufig dür-
fen sie miteinander wechseln: erklärbar und erklärlich,
unvermeidbar und unvermeidlich, unabweisbar und un-
abweislich, bezwingbar und bezwinglich. Zuweilen thun
sich aber feinere unterschiede kund, z. b. leserlich gilt
bloß von den schriftzügen, lesbar von dem buche selbst
und a. H. 198b scheint zwar genislich auch fur genis-
baere stehen zu dürfen, nicht aber umgekehrt, d. h. die
siecheit heißt nicht genisbaere. Noch weniger können
wir heute wohnbar, ausführbar mit wöhnlich, ausführ-
lich vertauschen und neben eßbar, trinkbar besteht kein
eßlich, trinklich, neben erbittlich, ziemlich kein erbittbar,
ziembar. Mich dünkt, -lich sei um einen grad noch ab-
stracter als -bar. Manche unterscheidungen mögen aber
wiederum davon abhängen, ob das erste wort rein ver-
bal, oder aus einem inf. und part. entsprungen ist.

Verbum und verbum

setzen sich nie zusammen (s. 405.), wohl aber können aus
verbal componierten nominibus verba abgeleitet werden,
z. b. aus nhd. kenn-zeichen, wall-fahrt: kenn-zeichnen,
wall-fahrten; aus ahd. bere-haft, huge-leih: bere-hafton
N. Cap. 154. gehuge-leichon N. 103, 15; aus altn. brenni-
mark (stigma): brenni-merkja etc.

Participialzusammensetzungen.

Als adjectiva betrachtet sollten sich participia vielfältig
wie andere adjectiva componieren können, thun es aber
nur in weit engern schranken. Offenbar tritt ihre zu-

*) Der Gothe gebraucht für diese begriffe die unzusammenge-
setzten verbaladjectiva skulds, mahts, kunths, munds; vgl. die ahd.
chund und kiwis (certus, vom praet. wissa).

III. verbale comp. — verb. mit adj.
ſind *). Hiernach wäre auch ein ahd. maka-lîh? muga-
lîh? zu vermuthen, gleichergeſtalt muoƷ-lîh (licitus) tuka-
lîh (validus) chun-lîh (notus) durf-lîh (egenus)? ich kenne
kein mhd. tüg-l. und unmuoƷ-l. (occupatus) Barl. gehört
ſicher zu dem ſubſt. unmuoƷe.

b) die berührung dieſer compoſitionsmittel iſt faſt nach
dem ſ. 579, 666. erörterten zu beurtheilen; -bar und -lich
drücken mehr das paſſivum, -haft und -ſam mehr das
activum aus, oder jene ſind ſächlicher, dieſe perſönlicher.
Jene ſtimmen meiſt zu der lat. verbalableitung -bilis:
trinkbar (potabilis) verdammlich (damnabilis); häufig dür-
fen ſie miteinander wechſeln: erklärbar und erklärlich,
unvermeidbar und unvermeidlich, unabweiſbar und un-
abweiſlich, bezwingbar und bezwinglich. Zuweilen thun
ſich aber feinere unterſchiede kund, z. b. leſerlich gilt
bloß von den ſchriftzügen, lesbar von dem buche ſelbſt
und a. H. 198b ſcheint zwar genislich auch fur genis-
bære ſtehen zu dürfen, nicht aber umgekehrt, d. h. die
ſiecheit heißt nicht genisbære. Noch weniger können
wir heute wohnbar, ausführbar mit wöhnlich, ausführ-
lich vertauſchen und neben eßbar, trinkbar beſteht kein
eßlich, trinklich, neben erbittlich, ziemlich kein erbittbar,
ziembar. Mich dünkt, -lich ſei um einen grad noch ab-
ſtracter als -bar. Manche unterſcheidungen mögen aber
wiederum davon abhängen, ob das erſte wort rein ver-
bal, oder aus einem inf. und part. entſprungen iſt.

Verbum und verbum

ſetzen ſich nie zuſammen (ſ. 405.), wohl aber können aus
verbal componierten nominibus verba abgeleitet werden,
z. b. aus nhd. kenn-zeichen, wall-fahrt: kenn-zeichnen,
wall-fahrten; aus ahd. bëre-haft, huge-lîh: bëre-haftôn
N. Cap. 154. gehuge-lîchôn N. 103, 15; aus altn. brenni-
mark (ſtigma): brenni-merkja etc.

Participialzuſammenſetzungen.

Als adjectiva betrachtet ſollten ſich participia vielfältig
wie andere adjectiva componieren können, thun es aber
nur in weit engern ſchranken. Offenbar tritt ihre zu-

*) Der Gothe gebraucht für dieſe begriffe die unzuſammenge-
ſetzten verbaladjectiva ſkulds, mahts, kunþs, munds; vgl. die ahd.
chund und kiwis (certus, vom praet. wiſſa).
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[687/0705] III. verbale comp. — verb. mit adj. ſind *). Hiernach wäre auch ein ahd. maka-lîh? muga- lîh? zu vermuthen, gleichergeſtalt muoƷ-lîh (licitus) tuka- lîh (validus) chun-lîh (notus) durf-lîh (egenus)? ich kenne kein mhd. tüg-l. und unmuoƷ-l. (occupatus) Barl. gehört ſicher zu dem ſubſt. unmuoƷe. b) die berührung dieſer compoſitionsmittel iſt faſt nach dem ſ. 579, 666. erörterten zu beurtheilen; -bar und -lich drücken mehr das paſſivum, -haft und -ſam mehr das activum aus, oder jene ſind ſächlicher, dieſe perſönlicher. Jene ſtimmen meiſt zu der lat. verbalableitung -bilis: trinkbar (potabilis) verdammlich (damnabilis); häufig dür- fen ſie miteinander wechſeln: erklärbar und erklärlich, unvermeidbar und unvermeidlich, unabweiſbar und un- abweiſlich, bezwingbar und bezwinglich. Zuweilen thun ſich aber feinere unterſchiede kund, z. b. leſerlich gilt bloß von den ſchriftzügen, lesbar von dem buche ſelbſt und a. H. 198b ſcheint zwar genislich auch fur genis- bære ſtehen zu dürfen, nicht aber umgekehrt, d. h. die ſiecheit heißt nicht genisbære. Noch weniger können wir heute wohnbar, ausführbar mit wöhnlich, ausführ- lich vertauſchen und neben eßbar, trinkbar beſteht kein eßlich, trinklich, neben erbittlich, ziemlich kein erbittbar, ziembar. Mich dünkt, -lich ſei um einen grad noch ab- ſtracter als -bar. Manche unterſcheidungen mögen aber wiederum davon abhängen, ob das erſte wort rein ver- bal, oder aus einem inf. und part. entſprungen iſt. Verbum und verbum ſetzen ſich nie zuſammen (ſ. 405.), wohl aber können aus verbal componierten nominibus verba abgeleitet werden, z. b. aus nhd. kenn-zeichen, wall-fahrt: kenn-zeichnen, wall-fahrten; aus ahd. bëre-haft, huge-lîh: bëre-haftôn N. Cap. 154. gehuge-lîchôn N. 103, 15; aus altn. brenni- mark (ſtigma): brenni-merkja etc. Participialzuſammenſetzungen. Als adjectiva betrachtet ſollten ſich participia vielfältig wie andere adjectiva componieren können, thun es aber nur in weit engern ſchranken. Offenbar tritt ihre zu- *) Der Gothe gebraucht für dieſe begriffe die unzuſammenge- ſetzten verbaladjectiva ſkulds, mahts, kunþs, munds; vgl. die ahd. chund und kiwis (certus, vom praet. wiſſa).

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 687. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/705>, abgerufen am 28.03.2024.