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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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ging ihr nach; die Taube flog aber auf einen
hohen Berg und verschwand auf einmal in ei-
nem Felsenritz. Der Dummling sah sich um,
da stand ein kleines graues Männchen neben
ihm, zu dem sprach er: "Gott gesegne dich!"
-- "Gott hat mich gesegnet in diesem Augen-
blick durch diese deine Worte, antwortete das
Männchen, denn sie haben mich erlöst, steig du
in den Felsen hinab, da wirst du dein Glück
finden." Der Dummling trat in den Felsen,
viele Stufen führten ihn hinunter, und wie er
unten hinkam, sah er die weiße Taube ganz
von Spinnweben umstrickt und zugewebt. Wie
sie ihn aber erblickte brach sie hindurch, und
als sie den letzten Faden zerrissen, stand eine
schöne Prinzessin vor ihm, die hatte er auch
erlöst, und sie ward seine Gemahlin und er
ein reicher König, und regierte sein Land mit
Weisheit.

II.
Die Bienenkönigin.

Zwei Königssöhne gingen auf Abentheuer
aus, und geriethen in ein wildes, wüstes Le-
ben, so daß sie gar nicht wieder nach Haus ka-
men. Der jüngste, der Dummling, ging aus
und suchte seine Brüder; wie er sie fand, spot-
teten sie sein, daß er mit seiner Einfalt sich
durch die Welt schlagen wolle, da sie zwei nicht

ging ihr nach; die Taube flog aber auf einen
hohen Berg und verſchwand auf einmal in ei-
nem Felſenritz. Der Dummling ſah ſich um,
da ſtand ein kleines graues Maͤnnchen neben
ihm, zu dem ſprach er: „Gott geſegne dich!“
— „Gott hat mich geſegnet in dieſem Augen-
blick durch dieſe deine Worte, antwortete das
Maͤnnchen, denn ſie haben mich erloͤſt, ſteig du
in den Felſen hinab, da wirſt du dein Gluͤck
finden.“ Der Dummling trat in den Felſen,
viele Stufen fuͤhrten ihn hinunter, und wie er
unten hinkam, ſah er die weiße Taube ganz
von Spinnweben umſtrickt und zugewebt. Wie
ſie ihn aber erblickte brach ſie hindurch, und
als ſie den letzten Faden zerriſſen, ſtand eine
ſchoͤne Prinzeſſin vor ihm, die hatte er auch
erloͤſt, und ſie ward ſeine Gemahlin und er
ein reicher Koͤnig, und regierte ſein Land mit
Weisheit.

II.
Die Bienenkoͤnigin.

Zwei Koͤnigsſoͤhne gingen auf Abentheuer
aus, und geriethen in ein wildes, wuͤſtes Le-
ben, ſo daß ſie gar nicht wieder nach Haus ka-
men. Der juͤngſte, der Dummling, ging aus
und ſuchte ſeine Bruͤder; wie er ſie fand, ſpot-
teten ſie ſein, daß er mit ſeiner Einfalt ſich
durch die Welt ſchlagen wolle, da ſie zwei nicht

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[296/0330] ging ihr nach; die Taube flog aber auf einen hohen Berg und verſchwand auf einmal in ei- nem Felſenritz. Der Dummling ſah ſich um, da ſtand ein kleines graues Maͤnnchen neben ihm, zu dem ſprach er: „Gott geſegne dich!“ — „Gott hat mich geſegnet in dieſem Augen- blick durch dieſe deine Worte, antwortete das Maͤnnchen, denn ſie haben mich erloͤſt, ſteig du in den Felſen hinab, da wirſt du dein Gluͤck finden.“ Der Dummling trat in den Felſen, viele Stufen fuͤhrten ihn hinunter, und wie er unten hinkam, ſah er die weiße Taube ganz von Spinnweben umſtrickt und zugewebt. Wie ſie ihn aber erblickte brach ſie hindurch, und als ſie den letzten Faden zerriſſen, ſtand eine ſchoͤne Prinzeſſin vor ihm, die hatte er auch erloͤſt, und ſie ward ſeine Gemahlin und er ein reicher Koͤnig, und regierte ſein Land mit Weisheit. II. Die Bienenkoͤnigin. Zwei Koͤnigsſoͤhne gingen auf Abentheuer aus, und geriethen in ein wildes, wuͤſtes Le- ben, ſo daß ſie gar nicht wieder nach Haus ka- men. Der juͤngſte, der Dummling, ging aus und ſuchte ſeine Bruͤder; wie er ſie fand, ſpot- teten ſie ſein, daß er mit ſeiner Einfalt ſich durch die Welt ſchlagen wolle, da ſie zwei nicht

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/330>, abgerufen am 29.03.2024.