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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Staub, als käm eine Heerde gezogen. Da schrie
sie noch einmal: "Brüder, meine lieben Brü-
der! kommt helft mir!" und ihre Angst ward
immer größer. Der Blaubart aber rief: "wenn
du nicht bald kommst, so hol ich dich, mein
Messer ist gewetzt!" Da sah sie wieder hin-
aus, und sah ihre drei Brüder durch das Feld
reiten, als flögen sie wie Vögel in der Luft,
da schrie sie zum drittenmal in der höchsten
Noth und aus allen Kräften: "Brüder, meine
lieben Brüder! kommt, helft mir!" und der
jüngste war schon so nah, daß sie seine Stim-
me hörte: "tröste dich, liebe Schwester, noch
einen Augenblick, so sind wir bei dir!" Der
Blaubart aber rief: "nun ists genug gebetet,
ich will nicht länger warten, kommst du nicht,
so hol ich dich!" "Ach! nur noch für meine
drei lieben Brüder laß mich beten." --, Er
hörte aber nicht, kam die Treppe heraufgegan-
gen und zog sie hinunter, und eben hatte er sie
an den Haaren gefaßt, und wollte ihr das Mes-
ser in das Herz stoßen, da schlugen die drei
Brüder an die Hausthüre, drangen herein und
rissen sie ihm aus der Hand, dann zogen sie
ihre Säbel und hieben ihn nieder. Da ward
er in die Blutkammer aufgehängt zu den an-
dern Weibern, die er getödtet, die Brüder aber
nahmen ihre liebste Schwester mit nach Haus,
und alle Reichthümer des Blaubarts gehörten ihr.


Kindermärchen. T

Staub, als kaͤm eine Heerde gezogen. Da ſchrie
ſie noch einmal: „Bruͤder, meine lieben Bruͤ-
der! kommt helft mir!“ und ihre Angſt ward
immer groͤßer. Der Blaubart aber rief: „wenn
du nicht bald kommſt, ſo hol ich dich, mein
Meſſer iſt gewetzt!“ Da ſah ſie wieder hin-
aus, und ſah ihre drei Bruͤder durch das Feld
reiten, als floͤgen ſie wie Voͤgel in der Luft,
da ſchrie ſie zum drittenmal in der hoͤchſten
Noth und aus allen Kraͤften: „Bruͤder, meine
lieben Bruͤder! kommt, helft mir!“ und der
juͤngſte war ſchon ſo nah, daß ſie ſeine Stim-
me hoͤrte: „troͤſte dich, liebe Schweſter, noch
einen Augenblick, ſo ſind wir bei dir!“ Der
Blaubart aber rief: „nun iſts genug gebetet,
ich will nicht laͤnger warten, kommſt du nicht,
ſo hol ich dich!“ „Ach! nur noch fuͤr meine
drei lieben Bruͤder laß mich beten.“ —, Er
hoͤrte aber nicht, kam die Treppe heraufgegan-
gen und zog ſie hinunter, und eben hatte er ſie
an den Haaren gefaßt, und wollte ihr das Meſ-
ſer in das Herz ſtoßen, da ſchlugen die drei
Bruͤder an die Hausthuͤre, drangen herein und
riſſen ſie ihm aus der Hand, dann zogen ſie
ihre Saͤbel und hieben ihn nieder. Da ward
er in die Blutkammer aufgehaͤngt zu den an-
dern Weibern, die er getoͤdtet, die Bruͤder aber
nahmen ihre liebſte Schweſter mit nach Haus,
und alle Reichthuͤmer des Blaubarts gehoͤrten ihr.


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[289/0323] Staub, als kaͤm eine Heerde gezogen. Da ſchrie ſie noch einmal: „Bruͤder, meine lieben Bruͤ- der! kommt helft mir!“ und ihre Angſt ward immer groͤßer. Der Blaubart aber rief: „wenn du nicht bald kommſt, ſo hol ich dich, mein Meſſer iſt gewetzt!“ Da ſah ſie wieder hin- aus, und ſah ihre drei Bruͤder durch das Feld reiten, als floͤgen ſie wie Voͤgel in der Luft, da ſchrie ſie zum drittenmal in der hoͤchſten Noth und aus allen Kraͤften: „Bruͤder, meine lieben Bruͤder! kommt, helft mir!“ und der juͤngſte war ſchon ſo nah, daß ſie ſeine Stim- me hoͤrte: „troͤſte dich, liebe Schweſter, noch einen Augenblick, ſo ſind wir bei dir!“ Der Blaubart aber rief: „nun iſts genug gebetet, ich will nicht laͤnger warten, kommſt du nicht, ſo hol ich dich!“ „Ach! nur noch fuͤr meine drei lieben Bruͤder laß mich beten.“ —, Er hoͤrte aber nicht, kam die Treppe heraufgegan- gen und zog ſie hinunter, und eben hatte er ſie an den Haaren gefaßt, und wollte ihr das Meſ- ſer in das Herz ſtoßen, da ſchlugen die drei Bruͤder an die Hausthuͤre, drangen herein und riſſen ſie ihm aus der Hand, dann zogen ſie ihre Saͤbel und hieben ihn nieder. Da ward er in die Blutkammer aufgehaͤngt zu den an- dern Weibern, die er getoͤdtet, die Bruͤder aber nahmen ihre liebſte Schweſter mit nach Haus, und alle Reichthuͤmer des Blaubarts gehoͤrten ihr. Kindermärchen. T

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/323>, abgerufen am 24.04.2024.