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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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Wasser herauslief: "so stark bist du doch nicht." --
"Wenns weiter nichts ist, sagte das Schneider-
lein, das kann ich auch." Darauf griff es in
die Tasche, holte den faulen Käs und drückte
ihn, daß der Saft heraus lief: "gelt! das war
noch besser." Der Riese verwunderte sich, nahm
einen Stein und warf ihn so hoch, daß man
ihn kaum mehr sehen konnte: "das mach mir
nach." -- "Der Wurf war gut, sagte das
Schneiderlein, doch hat dein Stein wieder zur
Erde fallen müssen, ich aber will dir einen wer-
fen, der soll gar nicht wiederkommen." Da
nahm es den Vogel aus der Tasche und warf
ihn in die Luft und der Vogel flog ganz fort:
"wie gefällt dir das!" der Riese erstaunte, schlug
sich zu ihm und sie gingen zusammen weiter.
Da kamen sie an einen Kirschbaum, der Riese
nahm die Krone und bog sie herunter und gab
sie dem Schneiderlein, daß es auch davon essen
könnte. Das Schneiderlein aber war zu schwach
und konnte der Stärke des Baums nicht wider-
stehen und ward mit in die Höhe geschnellt.
"Was ist das, sagte der Riese, hast du die
schwache Gerte nicht halten können!" -- "Das
ist ja nichts, antwortete das Schneiderlein dazu,
für einen der 29 auf einen Streich getroffen hat:
weißt du, warum ich es gethan habe? da unten
da schießen die Jäger in das Gebüsch, da bin
ich flugs über den Baum hinüber gesprungen,

Waſſer herauslief: „ſo ſtark biſt du doch nicht.“ —
„Wenns weiter nichts iſt, ſagte das Schneider-
lein, das kann ich auch.“ Darauf griff es in
die Taſche, holte den faulen Kaͤs und druͤckte
ihn, daß der Saft heraus lief: „gelt! das war
noch beſſer.“ Der Rieſe verwunderte ſich, nahm
einen Stein und warf ihn ſo hoch, daß man
ihn kaum mehr ſehen konnte: „das mach mir
nach.“ — „Der Wurf war gut, ſagte das
Schneiderlein, doch hat dein Stein wieder zur
Erde fallen muͤſſen, ich aber will dir einen wer-
fen, der ſoll gar nicht wiederkommen.“ Da
nahm es den Vogel aus der Taſche und warf
ihn in die Luft und der Vogel flog ganz fort:
„wie gefaͤllt dir das!“ der Rieſe erſtaunte, ſchlug
ſich zu ihm und ſie gingen zuſammen weiter.
Da kamen ſie an einen Kirſchbaum, der Rieſe
nahm die Krone und bog ſie herunter und gab
ſie dem Schneiderlein, daß es auch davon eſſen
koͤnnte. Das Schneiderlein aber war zu ſchwach
und konnte der Staͤrke des Baums nicht wider-
ſtehen und ward mit in die Hoͤhe geſchnellt.
„Was iſt das, ſagte der Rieſe, haſt du die
ſchwache Gerte nicht halten koͤnnen!“ — „Das
iſt ja nichts, antwortete das Schneiderlein dazu,
fuͤr einen der 29 auf einen Streich getroffen hat:
weißt du, warum ich es gethan habe? da unten
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[87/0121] Waſſer herauslief: „ſo ſtark biſt du doch nicht.“ — „Wenns weiter nichts iſt, ſagte das Schneider- lein, das kann ich auch.“ Darauf griff es in die Taſche, holte den faulen Kaͤs und druͤckte ihn, daß der Saft heraus lief: „gelt! das war noch beſſer.“ Der Rieſe verwunderte ſich, nahm einen Stein und warf ihn ſo hoch, daß man ihn kaum mehr ſehen konnte: „das mach mir nach.“ — „Der Wurf war gut, ſagte das Schneiderlein, doch hat dein Stein wieder zur Erde fallen muͤſſen, ich aber will dir einen wer- fen, der ſoll gar nicht wiederkommen.“ Da nahm es den Vogel aus der Taſche und warf ihn in die Luft und der Vogel flog ganz fort: „wie gefaͤllt dir das!“ der Rieſe erſtaunte, ſchlug ſich zu ihm und ſie gingen zuſammen weiter. Da kamen ſie an einen Kirſchbaum, der Rieſe nahm die Krone und bog ſie herunter und gab ſie dem Schneiderlein, daß es auch davon eſſen koͤnnte. Das Schneiderlein aber war zu ſchwach und konnte der Staͤrke des Baums nicht wider- ſtehen und ward mit in die Hoͤhe geſchnellt. „Was iſt das, ſagte der Rieſe, haſt du die ſchwache Gerte nicht halten koͤnnen!“ — „Das iſt ja nichts, antwortete das Schneiderlein dazu, fuͤr einen der 29 auf einen Streich getroffen hat: weißt du, warum ich es gethan habe? da unten da ſchießen die Jaͤger in das Gebuͤſch, da bin ich flugs uͤber den Baum hinuͤber geſprungen,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/121>, abgerufen am 28.03.2024.