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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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du unter der Schürze? -- "die Großmutter ist
krank und schwach, da bring ich ihr Kuchen und
Wein, gestern haben wir gebacken, da soll sie
sich stärken." -- "Rothkäppchen, wo wohnt
deine Großmutter?" -- "Noch eine gute Vier-
telstunde im Wald, unter den drei großen Eich-
bäumen, da steht ihr Haus, unten sind die
Nußhecken das wirst du ja wissen" sagte Roth-
käppchen. Der Wolf gedacht bei sich, das ist
ein guter fetter Bissen für mich, wie fängst
dus an, daß du den kriegst: "hör Rothkäpp-
chen, sagte er, hast du die schönen Blumen
nicht gesehen, die im Walde stehen, warum
guckst du nicht einmal um dich, ich glaube, du
hörst gar nicht darauf, wie die Vöglein lieblich
singen, du gehst ja für dich hin als wenn du
im Dorf in die Schule gingst, und ist so lustig
haußen in dem Wald."

Rothkäppchen schlug die Augen auf, und
sah wie die Sonne durch die Bäume gebrochen
war und alles voll schöner Blumen stand; da
gedacht es: ei! wenn ich der Großmutter einen
Strauß mitbringe, der wird ihr auch lieb seyn,
es ist noch früh, ich komm doch zu rechter Zeit
an, und sprang in den Wald und suchte Blu-
men. Und wenn es eine gebrochen hatte, meint
es, dort stünd noch eine schönere und lief dar-
nach und immer weiter in den Wald hinein.
Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem

du unter der Schuͤrze? — „die Großmutter iſt
krank und ſchwach, da bring ich ihr Kuchen und
Wein, geſtern haben wir gebacken, da ſoll ſie
ſich ſtaͤrken.“ — „Rothkaͤppchen, wo wohnt
deine Großmutter?“ — „Noch eine gute Vier-
telſtunde im Wald, unter den drei großen Eich-
baͤumen, da ſteht ihr Haus, unten ſind die
Nußhecken das wirſt du ja wiſſen“ ſagte Roth-
kaͤppchen. Der Wolf gedacht bei ſich, das iſt
ein guter fetter Biſſen fuͤr mich, wie faͤngſt
dus an, daß du den kriegſt: „hoͤr Rothkaͤpp-
chen, ſagte er, haſt du die ſchoͤnen Blumen
nicht geſehen, die im Walde ſtehen, warum
guckſt du nicht einmal um dich, ich glaube, du
hoͤrſt gar nicht darauf, wie die Voͤglein lieblich
ſingen, du gehſt ja fuͤr dich hin als wenn du
im Dorf in die Schule gingſt, und iſt ſo luſtig
haußen in dem Wald.“

Rothkaͤppchen ſchlug die Augen auf, und
ſah wie die Sonne durch die Baͤume gebrochen
war und alles voll ſchoͤner Blumen ſtand; da
gedacht es: ei! wenn ich der Großmutter einen
Strauß mitbringe, der wird ihr auch lieb ſeyn,
es iſt noch fruͤh, ich komm doch zu rechter Zeit
an, und ſprang in den Wald und ſuchte Blu-
men. Und wenn es eine gebrochen hatte, meint
es, dort ſtuͤnd noch eine ſchoͤnere und lief dar-
nach und immer weiter in den Wald hinein.
Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem

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[114/0148] du unter der Schuͤrze? — „die Großmutter iſt krank und ſchwach, da bring ich ihr Kuchen und Wein, geſtern haben wir gebacken, da ſoll ſie ſich ſtaͤrken.“ — „Rothkaͤppchen, wo wohnt deine Großmutter?“ — „Noch eine gute Vier- telſtunde im Wald, unter den drei großen Eich- baͤumen, da ſteht ihr Haus, unten ſind die Nußhecken das wirſt du ja wiſſen“ ſagte Roth- kaͤppchen. Der Wolf gedacht bei ſich, das iſt ein guter fetter Biſſen fuͤr mich, wie faͤngſt dus an, daß du den kriegſt: „hoͤr Rothkaͤpp- chen, ſagte er, haſt du die ſchoͤnen Blumen nicht geſehen, die im Walde ſtehen, warum guckſt du nicht einmal um dich, ich glaube, du hoͤrſt gar nicht darauf, wie die Voͤglein lieblich ſingen, du gehſt ja fuͤr dich hin als wenn du im Dorf in die Schule gingſt, und iſt ſo luſtig haußen in dem Wald.“ Rothkaͤppchen ſchlug die Augen auf, und ſah wie die Sonne durch die Baͤume gebrochen war und alles voll ſchoͤner Blumen ſtand; da gedacht es: ei! wenn ich der Großmutter einen Strauß mitbringe, der wird ihr auch lieb ſeyn, es iſt noch fruͤh, ich komm doch zu rechter Zeit an, und ſprang in den Wald und ſuchte Blu- men. Und wenn es eine gebrochen hatte, meint es, dort ſtuͤnd noch eine ſchoͤnere und lief dar- nach und immer weiter in den Wald hinein. Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/148>, abgerufen am 19.04.2024.