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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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auf den Schooß legte, fing die Prinzessin an
zu weinen und sagte: "ich bin eines Königs
Tochter und soll einen Fuchs lausen, säß ich jetzt
daheim in meiner Kammer, so könnt ich meine
Blumen im Garten sehen!" Da hörte der
Fuchs, daß er die rechte Braut hatte, verwan-
delte sich in das kleine, weiße Männchen, und
das war nun ihr Mann, bei dem mußt' sie in
einer kleinen Hütte wohnen, ihm kochen und
nähen, und es dauerte eine gute Zeit. Das
Männchen aber that ihr alles zu Liebe.

Einmal sagte das Männchen zu ihr: "ich
muß fortgehen, aber es werden bald drei weiße
Tauben geflogen kommen, die werden ganz nie-
drig über die Erde hinstreifen, davon fang die
mittelste, und wenn du sie hast, schneid ihr
gleich den Kopf ab, hüt' dich aber, daß du kei-
ne andere ergreifst, als die mittelste, sonst ent-
steht ein groß Unglück daraus." Das Männ-
chen ging fort; es dauerte auch nicht lang, so
kamen drei weiße Tauben daher geflogen. Die
Prinzessin gab Acht, ergriff die mittelste, nahm
ein Messer und schnitt ihr den Kopf ab. Kaum
aber lag der auf dem Boden, so stand ein schö-
ner junger Prinz vor ihr und sprach: "mich
hat eine Fee verzaubert, sieben Jahr lang sollt
ich meine Gestalt verlieren, und sodann als ei-
ne Taube an meiner Gemahlin vorbeifliegen,
zwischen zwei andern, da müsse sie mich fan-

auf den Schooß legte, fing die Prinzeſſin an
zu weinen und ſagte: „ich bin eines Koͤnigs
Tochter und ſoll einen Fuchs lauſen, ſaͤß ich jetzt
daheim in meiner Kammer, ſo koͤnnt ich meine
Blumen im Garten ſehen!“ Da hoͤrte der
Fuchs, daß er die rechte Braut hatte, verwan-
delte ſich in das kleine, weiße Maͤnnchen, und
das war nun ihr Mann, bei dem mußt' ſie in
einer kleinen Huͤtte wohnen, ihm kochen und
naͤhen, und es dauerte eine gute Zeit. Das
Maͤnnchen aber that ihr alles zu Liebe.

Einmal ſagte das Maͤnnchen zu ihr: „ich
muß fortgehen, aber es werden bald drei weiße
Tauben geflogen kommen, die werden ganz nie-
drig uͤber die Erde hinſtreifen, davon fang die
mittelſte, und wenn du ſie haſt, ſchneid ihr
gleich den Kopf ab, huͤt' dich aber, daß du kei-
ne andere ergreifſt, als die mittelſte, ſonſt ent-
ſteht ein groß Ungluͤck daraus.“ Das Maͤnn-
chen ging fort; es dauerte auch nicht lang, ſo
kamen drei weiße Tauben daher geflogen. Die
Prinzeſſin gab Acht, ergriff die mittelſte, nahm
ein Meſſer und ſchnitt ihr den Kopf ab. Kaum
aber lag der auf dem Boden, ſo ſtand ein ſchoͤ-
ner junger Prinz vor ihr und ſprach: „mich
hat eine Fee verzaubert, ſieben Jahr lang ſollt
ich meine Geſtalt verlieren, und ſodann als ei-
ne Taube an meiner Gemahlin vorbeifliegen,
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[319/0353] auf den Schooß legte, fing die Prinzeſſin an zu weinen und ſagte: „ich bin eines Koͤnigs Tochter und ſoll einen Fuchs lauſen, ſaͤß ich jetzt daheim in meiner Kammer, ſo koͤnnt ich meine Blumen im Garten ſehen!“ Da hoͤrte der Fuchs, daß er die rechte Braut hatte, verwan- delte ſich in das kleine, weiße Maͤnnchen, und das war nun ihr Mann, bei dem mußt' ſie in einer kleinen Huͤtte wohnen, ihm kochen und naͤhen, und es dauerte eine gute Zeit. Das Maͤnnchen aber that ihr alles zu Liebe. Einmal ſagte das Maͤnnchen zu ihr: „ich muß fortgehen, aber es werden bald drei weiße Tauben geflogen kommen, die werden ganz nie- drig uͤber die Erde hinſtreifen, davon fang die mittelſte, und wenn du ſie haſt, ſchneid ihr gleich den Kopf ab, huͤt' dich aber, daß du kei- ne andere ergreifſt, als die mittelſte, ſonſt ent- ſteht ein groß Ungluͤck daraus.“ Das Maͤnn- chen ging fort; es dauerte auch nicht lang, ſo kamen drei weiße Tauben daher geflogen. Die Prinzeſſin gab Acht, ergriff die mittelſte, nahm ein Meſſer und ſchnitt ihr den Kopf ab. Kaum aber lag der auf dem Boden, ſo ſtand ein ſchoͤ- ner junger Prinz vor ihr und ſprach: „mich hat eine Fee verzaubert, ſieben Jahr lang ſollt ich meine Geſtalt verlieren, und ſodann als ei- ne Taube an meiner Gemahlin vorbeifliegen, zwiſchen zwei andern, da muͤſſe ſie mich fan-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/353>, abgerufen am 24.04.2024.