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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

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und die Augen wurden ihm naß. Einmal auch
konnten seine zitterigen Hände das Schüsselchen
nicht fest halten, es fiel zur Erde und zerbrach.
Die junge Frau schalt, er aber sagte nichts und
seufzte nur. Da kauften sie ihm ein hölzernes
Schüsselchen für ein paar Heller, daraus mußte
er nun essen: wie sie nun da so sitzen, so trägt
der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde
kleine Brettlein zusammen. "Was machst du
da?" fragt der Vater. "Ei, antwortete das
Kind, ich mach ein Tröglein, daraus sollen Va-
ter und Mutter essen, wenn ich groß bin."
Da sahen sich Mann und Frau eine Weile an,
fangen endlich an zu weinen, holten alsofort
den alten Großvater an den Tisch, und ließen
ihn von nun an immer mit essen, sagten auch
nichts, wenn er ein wenig verschüttete.

79.
Die Wassernix.

Ein Brüderchen und ein Schwesterchen spiel-
ten an einem Brunnen, und wie sie so spiel-
ten, plumpten sie beide hinein. Da war eine
Wassernix, die sprach: "jetzt hab ich euch, jetzt
sollt ihr mir brav arbeiten!" und dem Mäd-
chen gab sie verwirrten, garstigen Flachs zu spin-
nen, und Wasser mußte es in ein hohles Faß
schleppen, der Jung aber sollte einen Baum mit

und die Augen wurden ihm naß. Einmal auch
konnten ſeine zitterigen Haͤnde das Schuͤſſelchen
nicht feſt halten, es fiel zur Erde und zerbrach.
Die junge Frau ſchalt, er aber ſagte nichts und
ſeufzte nur. Da kauften ſie ihm ein hoͤlzernes
Schuͤſſelchen fuͤr ein paar Heller, daraus mußte
er nun eſſen: wie ſie nun da ſo ſitzen, ſo traͤgt
der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde
kleine Brettlein zuſammen. „Was machſt du
da?“ fragt der Vater. „Ei, antwortete das
Kind, ich mach ein Troͤglein, daraus ſollen Va-
ter und Mutter eſſen, wenn ich groß bin.“
Da ſahen ſich Mann und Frau eine Weile an,
fangen endlich an zu weinen, holten alſofort
den alten Großvater an den Tiſch, und ließen
ihn von nun an immer mit eſſen, ſagten auch
nichts, wenn er ein wenig verſchuͤttete.

79.
Die Waſſernix.

Ein Bruͤderchen und ein Schweſterchen ſpiel-
ten an einem Brunnen, und wie ſie ſo ſpiel-
ten, plumpten ſie beide hinein. Da war eine
Waſſernix, die ſprach: „jetzt hab ich euch, jetzt
ſollt ihr mir brav arbeiten!“ und dem Maͤd-
chen gab ſie verwirrten, garſtigen Flachs zu ſpin-
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[356/0390] und die Augen wurden ihm naß. Einmal auch konnten ſeine zitterigen Haͤnde das Schuͤſſelchen nicht feſt halten, es fiel zur Erde und zerbrach. Die junge Frau ſchalt, er aber ſagte nichts und ſeufzte nur. Da kauften ſie ihm ein hoͤlzernes Schuͤſſelchen fuͤr ein paar Heller, daraus mußte er nun eſſen: wie ſie nun da ſo ſitzen, ſo traͤgt der kleine Enkel von vier Jahren auf der Erde kleine Brettlein zuſammen. „Was machſt du da?“ fragt der Vater. „Ei, antwortete das Kind, ich mach ein Troͤglein, daraus ſollen Va- ter und Mutter eſſen, wenn ich groß bin.“ Da ſahen ſich Mann und Frau eine Weile an, fangen endlich an zu weinen, holten alſofort den alten Großvater an den Tiſch, und ließen ihn von nun an immer mit eſſen, ſagten auch nichts, wenn er ein wenig verſchuͤttete. 79. Die Waſſernix. Ein Bruͤderchen und ein Schweſterchen ſpiel- ten an einem Brunnen, und wie ſie ſo ſpiel- ten, plumpten ſie beide hinein. Da war eine Waſſernix, die ſprach: „jetzt hab ich euch, jetzt ſollt ihr mir brav arbeiten!“ und dem Maͤd- chen gab ſie verwirrten, garſtigen Flachs zu ſpin- nen, und Waſſer mußte es in ein hohles Faß ſchleppen, der Jung aber ſollte einen Baum mit

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/390>, abgerufen am 29.03.2024.