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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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40.
Der Räuberbräutigam.

Es war einmal ein Müller, der hatte eine schöne Tochter, als sie nun herangewachsen war, dachte er, wenn ein ordentlicher Freier kommt und um sie anhält, so will ich sie ihm geben, damit sie versorgt wird. Es trug sich zu, daß einer kam, der sehr reich schien, und da der Vater nichts an ihm auszusetzen wußte, so versprach er ihm seine Tochter; das Mädchen aber hatte ihn nicht recht lieb, wie eine Braut ihren Bräutigam lieb haben soll, und fühlte ein Grauen in seinem Herzen, so oft es ihn ansah, oder an ihn dachte. Er sprach zu ihr: "warum besuchst du mich nicht, da du meine Braut bist?" "Jch weiß nicht, wo euer Haus ist," sagte das Mädchen. "Draußen ists, im grünen dunkeln Wald," antwortete der Bräutigam. Da suchte es Ausreden und sprach: "da kann ich den Weg dahin nicht finden." Der Bräutigam aber sagte: "bis Sonntag mußt du hinaus zu mir kommen, dazu hab ich schon Gäste eingeladen, und damit du den Weg durch den Wald findest, so will ich dir Asche streuen." Als es nun Sonntag war, und das Mädchen fort gehen sollte, ward ihm so Angst, und es steckte sich beide Taschen voll Erbsen und Linsen. Es kam zu dem Wald, da fand es die Asche gestreut und ging auf dem Weg fort, aber rechts und links warf es bei jedem Schritt ein paar Erbsen und Linsen auf die Erde. Nun ging es fast den ganzen Tag, bis es zu einem Haus kam, das mitten im dunkelsten Walde stand. Es sah niemand darin und

40.
Der Raͤuberbraͤutigam.

Es war einmal ein Muͤller, der hatte eine schoͤne Tochter, als sie nun herangewachsen war, dachte er, wenn ein ordentlicher Freier kommt und um sie anhaͤlt, so will ich sie ihm geben, damit sie versorgt wird. Es trug sich zu, daß einer kam, der sehr reich schien, und da der Vater nichts an ihm auszusetzen wußte, so versprach er ihm seine Tochter; das Maͤdchen aber hatte ihn nicht recht lieb, wie eine Braut ihren Braͤutigam lieb haben soll, und fuͤhlte ein Grauen in seinem Herzen, so oft es ihn ansah, oder an ihn dachte. Er sprach zu ihr: „warum besuchst du mich nicht, da du meine Braut bist?“ „Jch weiß nicht, wo euer Haus ist,“ sagte das Maͤdchen. „Draußen ists, im gruͤnen dunkeln Wald,“ antwortete der Braͤutigam. Da suchte es Ausreden und sprach: „da kann ich den Weg dahin nicht finden.“ Der Braͤutigam aber sagte: „bis Sonntag mußt du hinaus zu mir kommen, dazu hab ich schon Gaͤste eingeladen, und damit du den Weg durch den Wald findest, so will ich dir Asche streuen.“ Als es nun Sonntag war, und das Maͤdchen fort gehen sollte, ward ihm so Angst, und es steckte sich beide Taschen voll Erbsen und Linsen. Es kam zu dem Wald, da fand es die Asche gestreut und ging auf dem Weg fort, aber rechts und links warf es bei jedem Schritt ein paar Erbsen und Linsen auf die Erde. Nun ging es fast den ganzen Tag, bis es zu einem Haus kam, das mitten im dunkelsten Walde stand. Es sah niemand darin und

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[206/0270] 40. Der Raͤuberbraͤutigam. Es war einmal ein Muͤller, der hatte eine schoͤne Tochter, als sie nun herangewachsen war, dachte er, wenn ein ordentlicher Freier kommt und um sie anhaͤlt, so will ich sie ihm geben, damit sie versorgt wird. Es trug sich zu, daß einer kam, der sehr reich schien, und da der Vater nichts an ihm auszusetzen wußte, so versprach er ihm seine Tochter; das Maͤdchen aber hatte ihn nicht recht lieb, wie eine Braut ihren Braͤutigam lieb haben soll, und fuͤhlte ein Grauen in seinem Herzen, so oft es ihn ansah, oder an ihn dachte. Er sprach zu ihr: „warum besuchst du mich nicht, da du meine Braut bist?“ „Jch weiß nicht, wo euer Haus ist,“ sagte das Maͤdchen. „Draußen ists, im gruͤnen dunkeln Wald,“ antwortete der Braͤutigam. Da suchte es Ausreden und sprach: „da kann ich den Weg dahin nicht finden.“ Der Braͤutigam aber sagte: „bis Sonntag mußt du hinaus zu mir kommen, dazu hab ich schon Gaͤste eingeladen, und damit du den Weg durch den Wald findest, so will ich dir Asche streuen.“ Als es nun Sonntag war, und das Maͤdchen fort gehen sollte, ward ihm so Angst, und es steckte sich beide Taschen voll Erbsen und Linsen. Es kam zu dem Wald, da fand es die Asche gestreut und ging auf dem Weg fort, aber rechts und links warf es bei jedem Schritt ein paar Erbsen und Linsen auf die Erde. Nun ging es fast den ganzen Tag, bis es zu einem Haus kam, das mitten im dunkelsten Walde stand. Es sah niemand darin und

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/270>, abgerufen am 28.03.2024.