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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

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alle Mädchen sich einfinden und zu Ehren des Brautpaars singen. Das treue Mädchen, als es hörte, daß sein Liebster Roland mit einer anderen Hochzeit machen sollte, ward so betrübt, daß ihr das Herz im Leibe zerspringen wollte und wollte nicht hingehen, aber endlich mußte es doch. Wenn die Reihe kam, daß es singen sollte, so ging es zurück, bis zu allerletzt, da konnte es nicht anders. Aber wie es anfing zu singen, daß es Roland hörte, sprang er auf und rief: "das ist die rechte Braut und keine andere will ich nicht!" denn er hatte sie gleich an der Stimme erkannt und alles war wieder in sein Herz heimgekommen, was er vergessen hatte. Da hielt das treue Mädchen Hochzeit mit seinem Liebsten Roland und war sein Leid zu Ende und seine Freude fing an.

57.
Vom goldnen Vogel.

Ein gewisser König hatte einen Lustgarten, in dem Garten stand ein Baum und der Baum trug goldne Aepfel. Wie sie nun zeitig geworden waren, fehlte gleich nach der ersten Nacht ein Apfel, so daß der König zornig wurde und seinem Gärtner befahl, alle Nächte unter dem Baum Wacht zu halten. Der Gärtner hieß seinen ältesten Sohn wachen, aber um zwölf Uhr Mitternachts schlief er ein, und am andern Morgen fehlte schon wieder ein Apfel. Da ließ der Gärtner seinen zweiten Sohn in der folgenden Nacht wachen, aber um zwölf Uhr Mitternacht da schlief er auch ein, und des Morgens fehlte noch ein Apfel. Da wollte

alle Maͤdchen sich einfinden und zu Ehren des Brautpaars singen. Das treue Maͤdchen, als es hoͤrte, daß sein Liebster Roland mit einer anderen Hochzeit machen sollte, ward so betruͤbt, daß ihr das Herz im Leibe zerspringen wollte und wollte nicht hingehen, aber endlich mußte es doch. Wenn die Reihe kam, daß es singen sollte, so ging es zuruͤck, bis zu allerletzt, da konnte es nicht anders. Aber wie es anfing zu singen, daß es Roland hoͤrte, sprang er auf und rief: „das ist die rechte Braut und keine andere will ich nicht!“ denn er hatte sie gleich an der Stimme erkannt und alles war wieder in sein Herz heimgekommen, was er vergessen hatte. Da hielt das treue Maͤdchen Hochzeit mit seinem Liebsten Roland und war sein Leid zu Ende und seine Freude fing an.

57.
Vom goldnen Vogel.

Ein gewisser Koͤnig hatte einen Lustgarten, in dem Garten stand ein Baum und der Baum trug goldne Aepfel. Wie sie nun zeitig geworden waren, fehlte gleich nach der ersten Nacht ein Apfel, so daß der Koͤnig zornig wurde und seinem Gaͤrtner befahl, alle Naͤchte unter dem Baum Wacht zu halten. Der Gaͤrtner hieß seinen aͤltesten Sohn wachen, aber um zwoͤlf Uhr Mitternachts schlief er ein, und am andern Morgen fehlte schon wieder ein Apfel. Da ließ der Gaͤrtner seinen zweiten Sohn in der folgenden Nacht wachen, aber um zwoͤlf Uhr Mitternacht da schlief er auch ein, und des Morgens fehlte noch ein Apfel. Da wollte

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[288/0352] alle Maͤdchen sich einfinden und zu Ehren des Brautpaars singen. Das treue Maͤdchen, als es hoͤrte, daß sein Liebster Roland mit einer anderen Hochzeit machen sollte, ward so betruͤbt, daß ihr das Herz im Leibe zerspringen wollte und wollte nicht hingehen, aber endlich mußte es doch. Wenn die Reihe kam, daß es singen sollte, so ging es zuruͤck, bis zu allerletzt, da konnte es nicht anders. Aber wie es anfing zu singen, daß es Roland hoͤrte, sprang er auf und rief: „das ist die rechte Braut und keine andere will ich nicht!“ denn er hatte sie gleich an der Stimme erkannt und alles war wieder in sein Herz heimgekommen, was er vergessen hatte. Da hielt das treue Maͤdchen Hochzeit mit seinem Liebsten Roland und war sein Leid zu Ende und seine Freude fing an. 57. Vom goldnen Vogel. Ein gewisser Koͤnig hatte einen Lustgarten, in dem Garten stand ein Baum und der Baum trug goldne Aepfel. Wie sie nun zeitig geworden waren, fehlte gleich nach der ersten Nacht ein Apfel, so daß der Koͤnig zornig wurde und seinem Gaͤrtner befahl, alle Naͤchte unter dem Baum Wacht zu halten. Der Gaͤrtner hieß seinen aͤltesten Sohn wachen, aber um zwoͤlf Uhr Mitternachts schlief er ein, und am andern Morgen fehlte schon wieder ein Apfel. Da ließ der Gaͤrtner seinen zweiten Sohn in der folgenden Nacht wachen, aber um zwoͤlf Uhr Mitternacht da schlief er auch ein, und des Morgens fehlte noch ein Apfel. Da wollte

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/352>, abgerufen am 29.03.2024.