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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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du ihr von den Rapunzeln, es mag kosten was es will.' Jn der Abenddämmerung stieg er also über die Mauer in den Garten der Zauberin, stach in aller Eile eine Hand voll Rapunzeln, und brachte sie seiner Frau. Sie machte sich sogleich Salat daraus, und aß sie in voller Begierde auf. Sie hatten ihr aber so gut, so gut geschmeckt daß sie den andern Tag noch dreimal so viel Lust bekam. Sollte sie Ruhe haben, so mußte der Mann noch einmal in den Garten steigen. Er machte sich also in der Abenddämmerung wieder hinab, als er aber die Mauer herabgeklettert war, wie erschrack er als er die Zauberin vor sich stehen sah. 'Wie kannst du es wagen,' sagte sie zornig, 'in meinen Garten wie ein Dieb zu kommen, und mir meine Rapunzeln zu stehlen?' 'Ach,' antwortete er, 'ungern habe ich mich dazu entschlossen, und nur aus Noth: meine Frau hat eure Rapunzeln aus dem Fenster erblickt, und hat ein so großes Gelüsten danach daß sie sterben würde wenn sie nicht davon zu essen bekäme.' Da ließ die Zauberin in ihrem Zorne nach, und sprach zu dem Mann 'verhält es sich so, wie du sagst, so will ich dir gestatten Rapunzeln mitzunehmen so viel du willst, allein ich mache eine Bedingung: du mußt mir das Kind geben, das deine Frau zur Welt bringen wird. Es soll ihm gut gehen, und ich will für es sorgen wie eine Mutter.' Der Mann sagte in der Angst alles zu, und als die Frau in Wochen kam, so erschien gleich die Zauberin, gab dem Kind den Namen Rapunzel, und nahm es mit sich fort.

Rapunzel wurde das schönste Kind unter der Sonne. Als

du ihr von den Rapunzeln, es mag kosten was es will.’ Jn der Abenddaͤmmerung stieg er also uͤber die Mauer in den Garten der Zauberin, stach in aller Eile eine Hand voll Rapunzeln, und brachte sie seiner Frau. Sie machte sich sogleich Salat daraus, und aß sie in voller Begierde auf. Sie hatten ihr aber so gut, so gut geschmeckt daß sie den andern Tag noch dreimal so viel Lust bekam. Sollte sie Ruhe haben, so mußte der Mann noch einmal in den Garten steigen. Er machte sich also in der Abenddaͤmmerung wieder hinab, als er aber die Mauer herabgeklettert war, wie erschrack er als er die Zauberin vor sich stehen sah. ‘Wie kannst du es wagen,’ sagte sie zornig, ‘in meinen Garten wie ein Dieb zu kommen, und mir meine Rapunzeln zu stehlen?’ ‘Ach,’ antwortete er, ‘ungern habe ich mich dazu entschlossen, und nur aus Noth: meine Frau hat eure Rapunzeln aus dem Fenster erblickt, und hat ein so großes Geluͤsten danach daß sie sterben wuͤrde wenn sie nicht davon zu essen bekaͤme.’ Da ließ die Zauberin in ihrem Zorne nach, und sprach zu dem Mann ‘verhaͤlt es sich so, wie du sagst, so will ich dir gestatten Rapunzeln mitzunehmen so viel du willst, allein ich mache eine Bedingung: du mußt mir das Kind geben, das deine Frau zur Welt bringen wird. Es soll ihm gut gehen, und ich will fuͤr es sorgen wie eine Mutter.’ Der Mann sagte in der Angst alles zu, und als die Frau in Wochen kam, so erschien gleich die Zauberin, gab dem Kind den Namen Rapunzel, und nahm es mit sich fort.

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[77/0108] du ihr von den Rapunzeln, es mag kosten was es will.’ Jn der Abenddaͤmmerung stieg er also uͤber die Mauer in den Garten der Zauberin, stach in aller Eile eine Hand voll Rapunzeln, und brachte sie seiner Frau. Sie machte sich sogleich Salat daraus, und aß sie in voller Begierde auf. Sie hatten ihr aber so gut, so gut geschmeckt daß sie den andern Tag noch dreimal so viel Lust bekam. Sollte sie Ruhe haben, so mußte der Mann noch einmal in den Garten steigen. Er machte sich also in der Abenddaͤmmerung wieder hinab, als er aber die Mauer herabgeklettert war, wie erschrack er als er die Zauberin vor sich stehen sah. ‘Wie kannst du es wagen,’ sagte sie zornig, ‘in meinen Garten wie ein Dieb zu kommen, und mir meine Rapunzeln zu stehlen?’ ‘Ach,’ antwortete er, ‘ungern habe ich mich dazu entschlossen, und nur aus Noth: meine Frau hat eure Rapunzeln aus dem Fenster erblickt, und hat ein so großes Geluͤsten danach daß sie sterben wuͤrde wenn sie nicht davon zu essen bekaͤme.’ Da ließ die Zauberin in ihrem Zorne nach, und sprach zu dem Mann ‘verhaͤlt es sich so, wie du sagst, so will ich dir gestatten Rapunzeln mitzunehmen so viel du willst, allein ich mache eine Bedingung: du mußt mir das Kind geben, das deine Frau zur Welt bringen wird. Es soll ihm gut gehen, und ich will fuͤr es sorgen wie eine Mutter.’ Der Mann sagte in der Angst alles zu, und als die Frau in Wochen kam, so erschien gleich die Zauberin, gab dem Kind den Namen Rapunzel, und nahm es mit sich fort. Rapunzel wurde das schoͤnste Kind unter der Sonne. Als

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/108>, abgerufen am 29.03.2024.