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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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sprach er zu dem Kalb 'kannst du da stehen, und dich satt fressen, so kannst du auch auf deinen vier Beinen gehen, ich mag dich nicht wieder auf dem Arm heim schleppen.' Das Bürle stand aber vor seiner Hausthür, und wartete auf sein Kälbchen; als nun der Kuhhirt durchs Dorf trieb, und das Kälbchen fehlte, fragte er darnach. Der Hirt antwortete 'das steht noch immer draußen und frißt; es wollte nicht aufhören und nicht mitgehen.' Bürle aber sprach 'ei was, ich muß mein Vieh wieder haben.' Da gingen sie zusammen nach der Wiese zurück, aber einer hatte das Kalb gestohlen, und es war fort. Sprach der Hirt 'es wird wohl wohin gelaufen seyn.' Das Bürle aber sagte 'mir nicht so!' und führte den Hirten vor den Schultheiß, der verdammte ihn für seine Nachlässigkeit daß er dem Bürle für das entkommene Kalb mußte eine Kuh geben.

Nun hatte das Bürle und seine Frau die lang gewünschte Kuh; sie freuten sich von Herzen, hatten aber kein Futter, und konnten ihr nichts zu fressen geben, also mußte sie bald geschlachtet werden. Das Fleisch salzten sie ein, und das Bürle gieng in die Stadt, und wollte das Fell dort verkaufen, um für den Erlös ein neues Kälbchen zu bestellen. Unterwegs kam er an eine Mühle, da saß ein Rabe mit gebrochenen Flügeln, den nahm er aus Erbarmen auf, und wickelte ihn in das Fell. Weil aber das Wetter so schlecht ward, und Wind und Regen stürmte, konnte er nicht weiter, kehrte in die Mühle ein, und bat um Herberge. Die Müllerin war allein zu Haus, und sprach zu dem Bürle 'da leg dich auf die Streu,' und gab ihm ein Käsebrot. Das

sprach er zu dem Kalb ‘kannst du da stehen, und dich satt fressen, so kannst du auch auf deinen vier Beinen gehen, ich mag dich nicht wieder auf dem Arm heim schleppen.’ Das Buͤrle stand aber vor seiner Hausthuͤr, und wartete auf sein Kaͤlbchen; als nun der Kuhhirt durchs Dorf trieb, und das Kaͤlbchen fehlte, fragte er darnach. Der Hirt antwortete ‘das steht noch immer draußen und frißt; es wollte nicht aufhoͤren und nicht mitgehen.’ Buͤrle aber sprach ‘ei was, ich muß mein Vieh wieder haben.’ Da gingen sie zusammen nach der Wiese zuruͤck, aber einer hatte das Kalb gestohlen, und es war fort. Sprach der Hirt ‘es wird wohl wohin gelaufen seyn.’ Das Buͤrle aber sagte ‘mir nicht so!’ und fuͤhrte den Hirten vor den Schultheiß, der verdammte ihn fuͤr seine Nachlaͤssigkeit daß er dem Buͤrle fuͤr das entkommene Kalb mußte eine Kuh geben.

Nun hatte das Buͤrle und seine Frau die lang gewuͤnschte Kuh; sie freuten sich von Herzen, hatten aber kein Futter, und konnten ihr nichts zu fressen geben, also mußte sie bald geschlachtet werden. Das Fleisch salzten sie ein, und das Buͤrle gieng in die Stadt, und wollte das Fell dort verkaufen, um fuͤr den Erloͤs ein neues Kaͤlbchen zu bestellen. Unterwegs kam er an eine Muͤhle, da saß ein Rabe mit gebrochenen Fluͤgeln, den nahm er aus Erbarmen auf, und wickelte ihn in das Fell. Weil aber das Wetter so schlecht ward, und Wind und Regen stuͤrmte, konnte er nicht weiter, kehrte in die Muͤhle ein, und bat um Herberge. Die Muͤllerin war allein zu Haus, und sprach zu dem Buͤrle ‘da leg dich auf die Streu,’ und gab ihm ein Kaͤsebrot. Das

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[398/0429] sprach er zu dem Kalb ‘kannst du da stehen, und dich satt fressen, so kannst du auch auf deinen vier Beinen gehen, ich mag dich nicht wieder auf dem Arm heim schleppen.’ Das Buͤrle stand aber vor seiner Hausthuͤr, und wartete auf sein Kaͤlbchen; als nun der Kuhhirt durchs Dorf trieb, und das Kaͤlbchen fehlte, fragte er darnach. Der Hirt antwortete ‘das steht noch immer draußen und frißt; es wollte nicht aufhoͤren und nicht mitgehen.’ Buͤrle aber sprach ‘ei was, ich muß mein Vieh wieder haben.’ Da gingen sie zusammen nach der Wiese zuruͤck, aber einer hatte das Kalb gestohlen, und es war fort. Sprach der Hirt ‘es wird wohl wohin gelaufen seyn.’ Das Buͤrle aber sagte ‘mir nicht so!’ und fuͤhrte den Hirten vor den Schultheiß, der verdammte ihn fuͤr seine Nachlaͤssigkeit daß er dem Buͤrle fuͤr das entkommene Kalb mußte eine Kuh geben. Nun hatte das Buͤrle und seine Frau die lang gewuͤnschte Kuh; sie freuten sich von Herzen, hatten aber kein Futter, und konnten ihr nichts zu fressen geben, also mußte sie bald geschlachtet werden. Das Fleisch salzten sie ein, und das Buͤrle gieng in die Stadt, und wollte das Fell dort verkaufen, um fuͤr den Erloͤs ein neues Kaͤlbchen zu bestellen. Unterwegs kam er an eine Muͤhle, da saß ein Rabe mit gebrochenen Fluͤgeln, den nahm er aus Erbarmen auf, und wickelte ihn in das Fell. Weil aber das Wetter so schlecht ward, und Wind und Regen stuͤrmte, konnte er nicht weiter, kehrte in die Muͤhle ein, und bat um Herberge. Die Muͤllerin war allein zu Haus, und sprach zu dem Buͤrle ‘da leg dich auf die Streu,’ und gab ihm ein Kaͤsebrot. Das

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/429>, abgerufen am 18.04.2024.