Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
6.
Der treue Johannes.

Es war einmal ein alter König, der war krank, und dachte 'es wird wohl das Todtenbett seyn, darauf ich liege;' da sprach er 'laßt mir den getreuen Johannes kommen.' Der getreue Johannes war aber sein liebster Diener, und hieß so, weil er ihm sein Lebelang so treu gewesen war. Als er nun vor das Bett kam, sprach der König zu ihm 'getreuester Johannes, ich fühle daß mein Ende sich naht, und da hab ich keine andere Sorge als um meinen Sohn: er ist noch in jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu rathen weiß, und wenn du mir nicht versprichst ihn zu unterrichten in allem, was er wissen muß, und sein Pflegevater zu seyn, so kann ich meine Augen nicht in Ruhe zuthun.' Da antwortete der getreue Johannes 'ich will ihn nicht verlassen, und will ihm mit Treue dienen wenns auch mein Leben kostet.' Da sagte der alte König 'so sterb ich getrost und in Frieden.' Und sprach dann weiter 'nach meinem Tode sollst du ihm das ganze Schloß zeigen, alle Kammern, Säle und Gewölbe, und alle Schätze, die darin liegen: aber eine Kammer sollst du ihm nicht zeigen, die, worin das Bild von der Königstochter vom goldenen Dache verborgen steht: denn wenn er sie erblickt, wird er eine heftige Liebe zu

6.
Der treue Johannes.

Es war einmal ein alter Koͤnig, der war krank, und dachte ‘es wird wohl das Todtenbett seyn, darauf ich liege;’ da sprach er ‘laßt mir den getreuen Johannes kommen.’ Der getreue Johannes war aber sein liebster Diener, und hieß so, weil er ihm sein Lebelang so treu gewesen war. Als er nun vor das Bett kam, sprach der Koͤnig zu ihm ‘getreuester Johannes, ich fuͤhle daß mein Ende sich naht, und da hab ich keine andere Sorge als um meinen Sohn: er ist noch in jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu rathen weiß, und wenn du mir nicht versprichst ihn zu unterrichten in allem, was er wissen muß, und sein Pflegevater zu seyn, so kann ich meine Augen nicht in Ruhe zuthun.’ Da antwortete der getreue Johannes ‘ich will ihn nicht verlassen, und will ihm mit Treue dienen wenns auch mein Leben kostet.’ Da sagte der alte Koͤnig ‘so sterb ich getrost und in Frieden.’ Und sprach dann weiter ‘nach meinem Tode sollst du ihm das ganze Schloß zeigen, alle Kammern, Saͤle und Gewoͤlbe, und alle Schaͤtze, die darin liegen: aber eine Kammer sollst du ihm nicht zeigen, die, worin das Bild von der Koͤnigstochter vom goldenen Dache verborgen steht: denn wenn er sie erblickt, wird er eine heftige Liebe zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0066" n="35"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">6.<lb/>
Der treue Johannes.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein alter Ko&#x0364;nig, der war krank, und dachte &#x2018;es wird wohl das Todtenbett seyn, darauf ich liege;&#x2019; da sprach er &#x2018;laßt mir den getreuen Johannes kommen.&#x2019; Der getreue Johannes war aber sein liebster Diener, und hieß so, weil er ihm sein Lebelang so treu gewesen war. Als er nun vor das Bett kam, sprach der Ko&#x0364;nig zu ihm &#x2018;getreuester Johannes, ich fu&#x0364;hle daß mein Ende sich naht, und da hab ich keine andere Sorge als um meinen Sohn: er ist noch in jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu rathen weiß, und wenn du mir nicht versprichst ihn zu unterrichten in allem, was er wissen muß, und sein Pflegevater zu seyn, so kann ich meine Augen nicht in Ruhe zuthun.&#x2019; Da antwortete der getreue Johannes &#x2018;ich will ihn nicht verlassen, und will ihm mit Treue dienen wenns auch mein Leben kostet.&#x2019; Da sagte der alte Ko&#x0364;nig &#x2018;so sterb ich getrost und in Frieden.&#x2019; Und sprach dann weiter &#x2018;nach meinem Tode sollst du ihm das ganze Schloß zeigen, alle Kammern, Sa&#x0364;le und Gewo&#x0364;lbe, und alle Scha&#x0364;tze, die darin liegen: aber eine Kammer sollst du ihm nicht zeigen, die, worin das Bild von der Ko&#x0364;nigstochter vom goldenen Dache verborgen steht: denn wenn er sie erblickt, wird er eine heftige Liebe zu
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0066] 6. Der treue Johannes. Es war einmal ein alter Koͤnig, der war krank, und dachte ‘es wird wohl das Todtenbett seyn, darauf ich liege;’ da sprach er ‘laßt mir den getreuen Johannes kommen.’ Der getreue Johannes war aber sein liebster Diener, und hieß so, weil er ihm sein Lebelang so treu gewesen war. Als er nun vor das Bett kam, sprach der Koͤnig zu ihm ‘getreuester Johannes, ich fuͤhle daß mein Ende sich naht, und da hab ich keine andere Sorge als um meinen Sohn: er ist noch in jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu rathen weiß, und wenn du mir nicht versprichst ihn zu unterrichten in allem, was er wissen muß, und sein Pflegevater zu seyn, so kann ich meine Augen nicht in Ruhe zuthun.’ Da antwortete der getreue Johannes ‘ich will ihn nicht verlassen, und will ihm mit Treue dienen wenns auch mein Leben kostet.’ Da sagte der alte Koͤnig ‘so sterb ich getrost und in Frieden.’ Und sprach dann weiter ‘nach meinem Tode sollst du ihm das ganze Schloß zeigen, alle Kammern, Saͤle und Gewoͤlbe, und alle Schaͤtze, die darin liegen: aber eine Kammer sollst du ihm nicht zeigen, die, worin das Bild von der Koͤnigstochter vom goldenen Dache verborgen steht: denn wenn er sie erblickt, wird er eine heftige Liebe zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Göttinger Digitalisierungszentrum: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/66
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/66>, abgerufen am 19.04.2024.