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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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chen vermißt, und geschah allenthalben Frage, bis
er zuletzt bei dem armen Geigerlein gefunden, auch
es als ein böser Dieb verdammt und ausgeführt
wurde, um zu hangen. Unterwegs aber ging
der Zug an dem Gotteshaus vorbei, wo die Bild-
säule stand, begehrte der Spielmann hineingehen
zu dürfen, daß er zu guter Letzt Abschied nähme
mit seinem Geiglein und seiner Gutthäterin die
Noth seines Herzens klagen könnte. Dies wurde
ihm nun erlaubt. Kaum aber hat er den ersten
Strich gethan, siehe, so ließ das Bild auch den
andern güldnen Pantoffel herabfallen, und zeigte
damit, daß er des Diebstahls unschuldig wäre.
Also wurde der Geiger der Eisen und Bande ledig-
zog vergnügt seiner Straßen, die heil. Jungfrau
aber hieß Kummerniß.

67.
Das Märchen vom Schlauraffenland.

In der Schlauraffenzeit da ging ich und sah
an einem kleinen Seidenfaden hing Rom und der
Lateran, und ein fußloser Mann, der überlief
ein schnelles Pferd, und ein bitterscharfes Schwert
eine Brücke durchhauen; da sah ich einen jungen
Esel mit einer silbernen Nase der jug hinter zwei
schnellen Hasen her, und eine Linde, die war
breit, auf der wuchsen heiße Fladen, da sah ich
eine alte dürre Geis, trug wohl hundert Fuder

chen vermißt, und geſchah allenthalben Frage, bis
er zuletzt bei dem armen Geigerlein gefunden, auch
es als ein boͤſer Dieb verdammt und ausgefuͤhrt
wurde, um zu hangen. Unterwegs aber ging
der Zug an dem Gotteshaus vorbei, wo die Bild-
ſaͤule ſtand, begehrte der Spielmann hineingehen
zu duͤrfen, daß er zu guter Letzt Abſchied naͤhme
mit ſeinem Geiglein und ſeiner Gutthaͤterin die
Noth ſeines Herzens klagen koͤnnte. Dies wurde
ihm nun erlaubt. Kaum aber hat er den erſten
Strich gethan, ſiehe, ſo ließ das Bild auch den
andern guͤldnen Pantoffel herabfallen, und zeigte
damit, daß er des Diebſtahls unſchuldig waͤre.
Alſo wurde der Geiger der Eiſen und Bande ledig-
zog vergnuͤgt ſeiner Straßen, die heil. Jungfrau
aber hieß Kummerniß.

67.
Das Maͤrchen vom Schlauraffenland.

In der Schlauraffenzeit da ging ich und ſah
an einem kleinen Seidenfaden hing Rom und der
Lateran, und ein fußloſer Mann, der uͤberlief
ein ſchnelles Pferd, und ein bitterſcharfes Schwert
eine Bruͤcke durchhauen; da ſah ich einen jungen
Eſel mit einer ſilbernen Naſe der jug hinter zwei
ſchnellen Haſen her, und eine Linde, die war
breit, auf der wuchſen heiße Fladen, da ſah ich
eine alte duͤrre Geis, trug wohl hundert Fuder

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[294/0315] chen vermißt, und geſchah allenthalben Frage, bis er zuletzt bei dem armen Geigerlein gefunden, auch es als ein boͤſer Dieb verdammt und ausgefuͤhrt wurde, um zu hangen. Unterwegs aber ging der Zug an dem Gotteshaus vorbei, wo die Bild- ſaͤule ſtand, begehrte der Spielmann hineingehen zu duͤrfen, daß er zu guter Letzt Abſchied naͤhme mit ſeinem Geiglein und ſeiner Gutthaͤterin die Noth ſeines Herzens klagen koͤnnte. Dies wurde ihm nun erlaubt. Kaum aber hat er den erſten Strich gethan, ſiehe, ſo ließ das Bild auch den andern guͤldnen Pantoffel herabfallen, und zeigte damit, daß er des Diebſtahls unſchuldig waͤre. Alſo wurde der Geiger der Eiſen und Bande ledig- zog vergnuͤgt ſeiner Straßen, die heil. Jungfrau aber hieß Kummerniß. 67. Das Maͤrchen vom Schlauraffenland. In der Schlauraffenzeit da ging ich und ſah an einem kleinen Seidenfaden hing Rom und der Lateran, und ein fußloſer Mann, der uͤberlief ein ſchnelles Pferd, und ein bitterſcharfes Schwert eine Bruͤcke durchhauen; da ſah ich einen jungen Eſel mit einer ſilbernen Naſe der jug hinter zwei ſchnellen Haſen her, und eine Linde, die war breit, auf der wuchſen heiße Fladen, da ſah ich eine alte duͤrre Geis, trug wohl hundert Fuder

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/315>, abgerufen am 28.03.2024.