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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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64.
Die alte Bettelfrau.

Ein Bruchstück und verworren. Wird in Stil-
lings Jünglingsjahren erzählt, scheint aber ein altes
Volksmärchen, wobei die es vortragende Amme oder
Mutter, den zuhörenden Kindern vielleicht auch den
Gang der krummen, gebückten Alten mit dem Stock
in der wackelnden Hand vormacht. Der Schluß fehlt,
vermuthlich rächt sich das Bettelweib durch eine Ver-
wünschung, wie man mehr Sagen von eintretenden
pilgernden Bettlerinnen hat, die man nicht ungestraft
beleidigt. Es ist merkwürdig, daß der in Bettlerge-
wand verhüllte Odin unter dem Namen Grimnir in
die Königshalle einkehrt und ihm die Kleider am
Feuer zu brennen anfangen. Der eine Jüngling
bringt ihm ein Horn zu trinken, während ihn der
andere hatte zwischen die Flamme sitzen lassen. Zu
spät merkt der des Pilgers Göttlichkeit, will ihn aus
der Flamme ziehen, fällt aber in sein eigen Schwert.

65.
Die drei Faulen.

Schimpf und Ernst Cap. 243. Die Gesta Ro-
manor. (deutsche Ausg. Cap. 3. lat. Cap. 91.) haben
das Märchen auch, doch so, daß der, welcher sich
lieber verbrennen will, der erste ist; welcher sich lie-
ber will aufhenken lassen, der zweite: der dritte aber
spricht: "läge ich in meinem Bett und mir fielen die
Dachtropfen in beide Augen, ehe ich mich auf eine
Seite wendete, ehe ließ ich mir die Tropfen die Augen
ausschlagen." Fischart im Gargantua 79b erzählt
einen andern Fall von dem faulen Heinz: "eben wie
jener Knecht, da man ihn früh weckt: o de Vägel-
ken pipen schun in de Nörken! oh, lat pipen, sahd he
lat pipen, de Vägelkens hefen klene Höfdken, hefen
bale utgeslapen, averst min Höfedken is tomal gar
grot, deit ime Noht me to slapen."

64.
Die alte Bettelfrau.

Ein Bruchſtuͤck und verworren. Wird in Stil-
lings Juͤnglingsjahren erzaͤhlt, ſcheint aber ein altes
Volksmaͤrchen, wobei die es vortragende Amme oder
Mutter, den zuhoͤrenden Kindern vielleicht auch den
Gang der krummen, gebuͤckten Alten mit dem Stock
in der wackelnden Hand vormacht. Der Schluß fehlt,
vermuthlich raͤcht ſich das Bettelweib durch eine Ver-
wuͤnſchung, wie man mehr Sagen von eintretenden
pilgernden Bettlerinnen hat, die man nicht ungeſtraft
beleidigt. Es iſt merkwuͤrdig, daß der in Bettlerge-
wand verhuͤllte Odin unter dem Namen Grimnir in
die Koͤnigshalle einkehrt und ihm die Kleider am
Feuer zu brennen anfangen. Der eine Juͤngling
bringt ihm ein Horn zu trinken, waͤhrend ihn der
andere hatte zwiſchen die Flamme ſitzen laſſen. Zu
ſpaͤt merkt der des Pilgers Goͤttlichkeit, will ihn aus
der Flamme ziehen, faͤllt aber in ſein eigen Schwert.

65.
Die drei Faulen.

Schimpf und Ernſt Cap. 243. Die Geſta Ro-
manor. (deutſche Ausg. Cap. 3. lat. Cap. 91.) haben
das Maͤrchen auch, doch ſo, daß der, welcher ſich
lieber verbrennen will, der erſte iſt; welcher ſich lie-
ber will aufhenken laſſen, der zweite: der dritte aber
ſpricht: „laͤge ich in meinem Bett und mir fielen die
Dachtropfen in beide Augen, ehe ich mich auf eine
Seite wendete, ehe ließ ich mir die Tropfen die Augen
ausſchlagen.“ Fiſchart im Gargantua 79b erzaͤhlt
einen andern Fall von dem faulen Heinz: „eben wie
jener Knecht, da man ihn fruͤh weckt: o de Vaͤgel-
ken pipen ſchun in de Noͤrken! oh, lat pipen, ſahd he
lat pipen, de Vaͤgelkens hefen klene Hoͤfdken, hefen
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[XXXXVIII[XLVIII]/0367] 64. Die alte Bettelfrau. Ein Bruchſtuͤck und verworren. Wird in Stil- lings Juͤnglingsjahren erzaͤhlt, ſcheint aber ein altes Volksmaͤrchen, wobei die es vortragende Amme oder Mutter, den zuhoͤrenden Kindern vielleicht auch den Gang der krummen, gebuͤckten Alten mit dem Stock in der wackelnden Hand vormacht. Der Schluß fehlt, vermuthlich raͤcht ſich das Bettelweib durch eine Ver- wuͤnſchung, wie man mehr Sagen von eintretenden pilgernden Bettlerinnen hat, die man nicht ungeſtraft beleidigt. Es iſt merkwuͤrdig, daß der in Bettlerge- wand verhuͤllte Odin unter dem Namen Grimnir in die Koͤnigshalle einkehrt und ihm die Kleider am Feuer zu brennen anfangen. Der eine Juͤngling bringt ihm ein Horn zu trinken, waͤhrend ihn der andere hatte zwiſchen die Flamme ſitzen laſſen. Zu ſpaͤt merkt der des Pilgers Goͤttlichkeit, will ihn aus der Flamme ziehen, faͤllt aber in ſein eigen Schwert. 65. Die drei Faulen. Schimpf und Ernſt Cap. 243. Die Geſta Ro- manor. (deutſche Ausg. Cap. 3. lat. Cap. 91.) haben das Maͤrchen auch, doch ſo, daß der, welcher ſich lieber verbrennen will, der erſte iſt; welcher ſich lie- ber will aufhenken laſſen, der zweite: der dritte aber ſpricht: „laͤge ich in meinem Bett und mir fielen die Dachtropfen in beide Augen, ehe ich mich auf eine Seite wendete, ehe ließ ich mir die Tropfen die Augen ausſchlagen.“ Fiſchart im Gargantua 79b erzaͤhlt einen andern Fall von dem faulen Heinz: „eben wie jener Knecht, da man ihn fruͤh weckt: o de Vaͤgel- ken pipen ſchun in de Noͤrken! oh, lat pipen, ſahd he lat pipen, de Vaͤgelkens hefen klene Hoͤfdken, hefen bale utgeſlapen, averſt min Hoͤfedken is tomal gar grot, deit ime Noht me to ſlapen.“

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. XXXXVIII[XLVIII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/367>, abgerufen am 28.03.2024.