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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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Sie dachte aber, damit wollte sie das Schneider-
lein los werden, denn der Bär hatte noch keinen
Menschen lebendig gelassen, der ihm unter die
Tatzen gekommen war. Das Schneiderlein sprach
vergnügt: "das will ich auch noch vollbringen."

Als nun der Abend kam, ward mein Schnei-
derlein hinunter zum Bären gebracht; der Bär
wollt' auch gleich auf es los und ihm mit seiner Tatze
einen guten Willkommen geben. "Sachte, sachte,
sprach das Schneiderlein, ich kann dich noch dispen
(zur Ruh bringen)." Da holte es, als hätt' es keine
Sorgen, Welsche-Nüsse aus der Tasche, biß sie
auf und aß die Kerne; wie der Bär das sah,
kriegte er Lust und wollte auch Nüsse haben. Das
Schneiderlein griff in die Tasche und reichte ihm
eine Hand voll; es waren aber keine Nüsse, son-
dern Wackersteine. Der Bär steckte sie ins Maul,
er konnt' aber nichts aufbeißen, er mogte drücken
wie er wollte. "Ei, dachte er, was bist du für
ein dummer Klotz, du kannst nicht einmal die
Nüsse aufbeißen" und sprach zum Schneiderlein:
"mein, beiß mir die Nüsse auf." "Da siehst du
was du für ein Kerl bist, sprach das Schneider-
lein, hast so ein groß Maul und kannst die kleine
Nuß nicht aufbeißen." Da nahm es die Steine,
war hurtig, steckte dafür eine Nuß in den Mund
und knack! war sie entzwei. "Ich muß das Ding
noch einmal probiren, sprach der Bär, wenn ich's
so ansehe, ich mein', ich müßt's können." Da

Sie dachte aber, damit wollte ſie das Schneider-
lein los werden, denn der Baͤr hatte noch keinen
Menſchen lebendig gelaſſen, der ihm unter die
Tatzen gekommen war. Das Schneiderlein ſprach
vergnuͤgt: „das will ich auch noch vollbringen.“

Als nun der Abend kam, ward mein Schnei-
derlein hinunter zum Baͤren gebracht; der Baͤr
wollt’ auch gleich auf es los und ihm mit ſeiner Tatze
einen guten Willkommen geben. „Sachte, ſachte,
ſprach das Schneiderlein, ich kann dich noch diſpen
(zur Ruh bringen).“ Da holte es, als haͤtt’ es keine
Sorgen, Welſche-Nuͤſſe aus der Taſche, biß ſie
auf und aß die Kerne; wie der Baͤr das ſah,
kriegte er Luſt und wollte auch Nuͤſſe haben. Das
Schneiderlein griff in die Taſche und reichte ihm
eine Hand voll; es waren aber keine Nuͤſſe, ſon-
dern Wackerſteine. Der Baͤr ſteckte ſie ins Maul,
er konnt’ aber nichts aufbeißen, er mogte druͤcken
wie er wollte. „Ei, dachte er, was biſt du fuͤr
ein dummer Klotz, du kannſt nicht einmal die
Nuͤſſe aufbeißen“ und ſprach zum Schneiderlein:
„mein, beiß mir die Nuͤſſe auf.“ „Da ſiehſt du
was du fuͤr ein Kerl biſt, ſprach das Schneider-
lein, haſt ſo ein groß Maul und kannſt die kleine
Nuß nicht aufbeißen.“ Da nahm es die Steine,
war hurtig, ſteckte dafuͤr eine Nuß in den Mund
und knack! war ſie entzwei. „Ich muß das Ding
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[162/0183] Sie dachte aber, damit wollte ſie das Schneider- lein los werden, denn der Baͤr hatte noch keinen Menſchen lebendig gelaſſen, der ihm unter die Tatzen gekommen war. Das Schneiderlein ſprach vergnuͤgt: „das will ich auch noch vollbringen.“ Als nun der Abend kam, ward mein Schnei- derlein hinunter zum Baͤren gebracht; der Baͤr wollt’ auch gleich auf es los und ihm mit ſeiner Tatze einen guten Willkommen geben. „Sachte, ſachte, ſprach das Schneiderlein, ich kann dich noch diſpen (zur Ruh bringen).“ Da holte es, als haͤtt’ es keine Sorgen, Welſche-Nuͤſſe aus der Taſche, biß ſie auf und aß die Kerne; wie der Baͤr das ſah, kriegte er Luſt und wollte auch Nuͤſſe haben. Das Schneiderlein griff in die Taſche und reichte ihm eine Hand voll; es waren aber keine Nuͤſſe, ſon- dern Wackerſteine. Der Baͤr ſteckte ſie ins Maul, er konnt’ aber nichts aufbeißen, er mogte druͤcken wie er wollte. „Ei, dachte er, was biſt du fuͤr ein dummer Klotz, du kannſt nicht einmal die Nuͤſſe aufbeißen“ und ſprach zum Schneiderlein: „mein, beiß mir die Nuͤſſe auf.“ „Da ſiehſt du was du fuͤr ein Kerl biſt, ſprach das Schneider- lein, haſt ſo ein groß Maul und kannſt die kleine Nuß nicht aufbeißen.“ Da nahm es die Steine, war hurtig, ſteckte dafuͤr eine Nuß in den Mund und knack! war ſie entzwei. „Ich muß das Ding noch einmal probiren, ſprach der Baͤr, wenn ich’s ſo anſehe, ich mein’, ich muͤßt’s koͤnnen.“ Da

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/183>, abgerufen am 19.04.2024.