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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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gab ihm Wagen und Pferde und prächtige Gold-
kleider, und schickte ihn fort, seine erwählte Braut
abzuholen. Wie der Kutscher mit der Botschaft
ankam, freute sich seine Schwester, allein die
schwarze ärgerte sich über alle Maßen vor großer
Eifersucht, und sprach zu ihrer Mutter: "was
helfen nun all' eure Künste, da ihr mir kein sol-
ches Glück verschaffen könnt." Da sagte die
Alte: "sey still, ich will dirs schon zuwenden,"
und durch ihre Hexenkünste trübte sie dem Kut-
scher die Augen, daß er halb blind war, und der
weißen verstopfte sie die Ohren, daß sie schwer
hörte. Darauf stiegen sie in den Wagen, erst die
Braut in den herrlichen königlichen Kleidern,
dann die Stiefmutter mit ihrer Tochter, und der
Kutscher saß auf dem Bock, um zu fahren. Wie
sie eine Weile gereist waren unterwegs rief der
Kutscher:

"Deck dich zu, mein Schwesterlein,
daß Regen dich nicht näßt,
daß Wind dich nicht bestäubt,
daß du fein schön zum König kommst!"

Die Braut fragte: "was sagt mein lieber Bru-
der?" "Ach, sprach die Alte, er hat gesagt, du
solltest dein gülden Kleid ausziehen und es deiner
Schwester geben." Da zog sie's aus und that's
der Schwarzen an, die gab ihr dafür einen schlech-
ten grauen Kittel. So fuhren sie weiter, über
ein Weilchen rief der Bruder wieder:

gab ihm Wagen und Pferde und praͤchtige Gold-
kleider, und ſchickte ihn fort, ſeine erwaͤhlte Braut
abzuholen. Wie der Kutſcher mit der Botſchaft
ankam, freute ſich ſeine Schweſter, allein die
ſchwarze aͤrgerte ſich uͤber alle Maßen vor großer
Eiferſucht, und ſprach zu ihrer Mutter: „was
helfen nun all’ eure Kuͤnſte, da ihr mir kein ſol-
ches Gluͤck verſchaffen koͤnnt.“ Da ſagte die
Alte: „ſey ſtill, ich will dirs ſchon zuwenden,“
und durch ihre Hexenkuͤnſte truͤbte ſie dem Kut-
ſcher die Augen, daß er halb blind war, und der
weißen verſtopfte ſie die Ohren, daß ſie ſchwer
hoͤrte. Darauf ſtiegen ſie in den Wagen, erſt die
Braut in den herrlichen koͤniglichen Kleidern,
dann die Stiefmutter mit ihrer Tochter, und der
Kutſcher ſaß auf dem Bock, um zu fahren. Wie
ſie eine Weile gereiſt waren unterwegs rief der
Kutſcher:

„Deck dich zu, mein Schweſterlein,
daß Regen dich nicht naͤßt,
daß Wind dich nicht beſtaͤubt,
daß du fein ſchoͤn zum Koͤnig kommſt!“

Die Braut fragte: „was ſagt mein lieber Bru-
der?“ „Ach, ſprach die Alte, er hat geſagt, du
ſollteſt dein guͤlden Kleid ausziehen und es deiner
Schweſter geben.“ Da zog ſie’s aus und that’s
der Schwarzen an, die gab ihr dafuͤr einen ſchlech-
ten grauen Kittel. So fuhren ſie weiter, uͤber
ein Weilchen rief der Bruder wieder:

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[255/0276] gab ihm Wagen und Pferde und praͤchtige Gold- kleider, und ſchickte ihn fort, ſeine erwaͤhlte Braut abzuholen. Wie der Kutſcher mit der Botſchaft ankam, freute ſich ſeine Schweſter, allein die ſchwarze aͤrgerte ſich uͤber alle Maßen vor großer Eiferſucht, und ſprach zu ihrer Mutter: „was helfen nun all’ eure Kuͤnſte, da ihr mir kein ſol- ches Gluͤck verſchaffen koͤnnt.“ Da ſagte die Alte: „ſey ſtill, ich will dirs ſchon zuwenden,“ und durch ihre Hexenkuͤnſte truͤbte ſie dem Kut- ſcher die Augen, daß er halb blind war, und der weißen verſtopfte ſie die Ohren, daß ſie ſchwer hoͤrte. Darauf ſtiegen ſie in den Wagen, erſt die Braut in den herrlichen koͤniglichen Kleidern, dann die Stiefmutter mit ihrer Tochter, und der Kutſcher ſaß auf dem Bock, um zu fahren. Wie ſie eine Weile gereiſt waren unterwegs rief der Kutſcher: „Deck dich zu, mein Schweſterlein, daß Regen dich nicht naͤßt, daß Wind dich nicht beſtaͤubt, daß du fein ſchoͤn zum Koͤnig kommſt!“ Die Braut fragte: „was ſagt mein lieber Bru- der?“ „Ach, ſprach die Alte, er hat geſagt, du ſollteſt dein guͤlden Kleid ausziehen und es deiner Schweſter geben.“ Da zog ſie’s aus und that’s der Schwarzen an, die gab ihr dafuͤr einen ſchlech- ten grauen Kittel. So fuhren ſie weiter, uͤber ein Weilchen rief der Bruder wieder:

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/276>, abgerufen am 29.03.2024.