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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

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Bei einer eigentlichen Erörterung des kerlingi-
schen Mythus von Berta, Pipins verlobter Gemah-
lin, die durch ihre Dienerin verdrängt wird, und in
der Mühle spinnt und webt würde sich ausführen
lassen, daß unser, dem Hauptinhalt nach sichtbar
damit zusammenkommendes Märchen, doch noch al-
terthümlicher, schöner und einfacher ist. -- In den
Reimen ist etwas abgebrochenes, in gangest statt
gehest, ganz das nord. ganga wie hangest statt
häbest); sich schnatzen von Haaren beißt flechten,
(zur nord. Form snua, wenden, winden, schnüren)
Schnatz, das geflochtene Haar; die Braut geht im
Schnatz zur Kirche (s in Estor's teutscher Rechtsge-
labrth. von Hofmann III. das oberheß Wörterbuch).
Sich aufsetzen und Aufsatz wird gleichfalls
vom Schmücken und Ordnen des Haars ge-
sagt. Räthsel gebrauchte die Erzählerin weiblich,
wie das frühere Rätersch bekanntlich auch vorkommt.
Kürdchen kann aus Conrädchen zusammengezogen
seyn, aber auch an Hirt, Chorter, Horder erinnern.
Besonders merkwürdig ist der Name Falada (die
mittlere Sylbe kurz), weil Rolands Pferd Valen-
tich, Falerich, Velentin heißet und daraus fast ein
äußerlicher Zusammenhang mit dem kerlingischen
Mythus scheint.

Ein Hauptgegenstück liefert endlich das eigenthüm-
liche, bald schwächere, bald schönere Märchen le doje
pizzelle
Pentamerone IV. 7. wo namentlich das
Kämmen mehr eingeleitet ist; der rechten Braut fal-
len Perlen und Gestein, der falschen Ungeziefer aus
den Haaren (vgl. auch Straparola III. 3.). Kürd-
chen fehlt oder vielmehr ist es ein Bruder der Braut,
aber die Gänse (papare) singen einen Reim, Abends
unter des Königs Fenster und offenbaren die verbor-
gene (vgl. Nr. 49.). Auch im Erdmänneken Nr. 5.
wird die Erzählung an den Ofen gerichtet.

4.
Der junge Riese.

(Aus der Leinegegend.) Dies und die zunächst
folgenden Märchen stehen zusammen, weil sich in ih-
nen merkwürdige Hinweisungen auf die alte Helden-

Bei einer eigentlichen Eroͤrterung des kerlingi-
ſchen Mythus von Berta, Pipins verlobter Gemah-
lin, die durch ihre Dienerin verdraͤngt wird, und in
der Muͤhle ſpinnt und webt wuͤrde ſich ausfuͤhren
laſſen, daß unſer, dem Hauptinhalt nach ſichtbar
damit zuſammenkommendes Maͤrchen, doch noch al-
terthuͤmlicher, ſchoͤner und einfacher iſt. — In den
Reimen iſt etwas abgebrochenes, in gangeſt ſtatt
geheſt, ganz das nord. ganga wie hangeſt ſtatt
haͤbeſt); ſich ſchnatzen von Haaren beißt flechten,
(zur nord. Form ſnua, wenden, winden, ſchnuͤren)
Schnatz, das geflochtene Haar; die Braut geht im
Schnatz zur Kirche (ſ in Eſtor’s teutſcher Rechtsge-
labrth. von Hofmann III. das oberheß Woͤrterbuch).
Sich aufſetzen und Aufſatz wird gleichfalls
vom Schmuͤcken und Ordnen des Haars ge-
ſagt. Raͤthſel gebrauchte die Erzaͤhlerin weiblich,
wie das fruͤhere Raͤterſch bekanntlich auch vorkommt.
Kuͤrdchen kann aus Conraͤdchen zuſammengezogen
ſeyn, aber auch an Hirt, Chorter, Horder erinnern.
Beſonders merkwuͤrdig iſt der Name Falada (die
mittlere Sylbe kurz), weil Rolands Pferd Valen-
tich, Falerich, Velentin heißet und daraus faſt ein
aͤußerlicher Zuſammenhang mit dem kerlingiſchen
Mythus ſcheint.

Ein Hauptgegenſtuͤck liefert endlich das eigenthuͤm-
liche, bald ſchwaͤchere, bald ſchoͤnere Maͤrchen le doje
pizzelle
Pentamerone IV. 7. wo namentlich das
Kaͤmmen mehr eingeleitet iſt; der rechten Braut fal-
len Perlen und Geſtein, der falſchen Ungeziefer aus
den Haaren (vgl. auch Straparola III. 3.). Kuͤrd-
chen fehlt oder vielmehr iſt es ein Bruder der Braut,
aber die Gaͤnſe (papare) ſingen einen Reim, Abends
unter des Koͤnigs Fenſter und offenbaren die verbor-
gene (vgl. Nr. 49.). Auch im Erdmaͤnneken Nr. 5.
wird die Erzaͤhlung an den Ofen gerichtet.

4.
Der junge Rieſe.

(Aus der Leinegegend.) Dies und die zunaͤchſt
folgenden Maͤrchen ſtehen zuſammen, weil ſich in ih-
nen merkwuͤrdige Hinweiſungen auf die alte Helden-

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[VI/0325] Bei einer eigentlichen Eroͤrterung des kerlingi- ſchen Mythus von Berta, Pipins verlobter Gemah- lin, die durch ihre Dienerin verdraͤngt wird, und in der Muͤhle ſpinnt und webt wuͤrde ſich ausfuͤhren laſſen, daß unſer, dem Hauptinhalt nach ſichtbar damit zuſammenkommendes Maͤrchen, doch noch al- terthuͤmlicher, ſchoͤner und einfacher iſt. — In den Reimen iſt etwas abgebrochenes, in gangeſt ſtatt geheſt, ganz das nord. ganga wie hangeſt ſtatt haͤbeſt); ſich ſchnatzen von Haaren beißt flechten, (zur nord. Form ſnua, wenden, winden, ſchnuͤren) Schnatz, das geflochtene Haar; die Braut geht im Schnatz zur Kirche (ſ in Eſtor’s teutſcher Rechtsge- labrth. von Hofmann III. das oberheß Woͤrterbuch). Sich aufſetzen und Aufſatz wird gleichfalls vom Schmuͤcken und Ordnen des Haars ge- ſagt. Raͤthſel gebrauchte die Erzaͤhlerin weiblich, wie das fruͤhere Raͤterſch bekanntlich auch vorkommt. Kuͤrdchen kann aus Conraͤdchen zuſammengezogen ſeyn, aber auch an Hirt, Chorter, Horder erinnern. Beſonders merkwuͤrdig iſt der Name Falada (die mittlere Sylbe kurz), weil Rolands Pferd Valen- tich, Falerich, Velentin heißet und daraus faſt ein aͤußerlicher Zuſammenhang mit dem kerlingiſchen Mythus ſcheint. Ein Hauptgegenſtuͤck liefert endlich das eigenthuͤm- liche, bald ſchwaͤchere, bald ſchoͤnere Maͤrchen le doje pizzelle Pentamerone IV. 7. wo namentlich das Kaͤmmen mehr eingeleitet iſt; der rechten Braut fal- len Perlen und Geſtein, der falſchen Ungeziefer aus den Haaren (vgl. auch Straparola III. 3.). Kuͤrd- chen fehlt oder vielmehr iſt es ein Bruder der Braut, aber die Gaͤnſe (papare) ſingen einen Reim, Abends unter des Koͤnigs Fenſter und offenbaren die verbor- gene (vgl. Nr. 49.). Auch im Erdmaͤnneken Nr. 5. wird die Erzaͤhlung an den Ofen gerichtet. 4. Der junge Rieſe. (Aus der Leinegegend.) Dies und die zunaͤchſt folgenden Maͤrchen ſtehen zuſammen, weil ſich in ih- nen merkwuͤrdige Hinweiſungen auf die alte Helden-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/325>, abgerufen am 29.03.2024.